Kinder von heute fürchten sich nicht mehr so leicht. Deswegen funktionieren Gruselgeschichten, mit denen selbst die Erwachsenen im 19. Jahrhundert noch das Fürchten lernten, nicht mehr wirklich. Bei Halloween verkleiden sich die Knirpse gleich mal selbst als Zombies und Gespenster. Und trotzdem lieben sie Gespenstergeschichten. Und der Leipziger Krimi-Autor Frank Kreisler schreibt extra welche für sie und geht damit in die Schulen. Aber was lernen die Kleinen da? Das Gruseln bestimmt nicht.

Das muss dann wohl eine andere Literaturgattung übernehmen. Eine, die mehr die Ratio der Kleinen anspricht. Denn Gründe zum Gruseln gibt es ja nur zu genug. Und einige Personen aus der Realität sind noch grauslicher, als es die Figuren bei Mary Shelley, Washington Irving oder Edgar Allan Poe je gewesen sind. Kopflos ist ja da kein Ausdruck. Eher ist es die Dummdreistigkeit, mit der das Böse sich in der Welt breitmacht.

Aber wie gesagt: Was bringt Frank Kreisler den Kindern tatsächlich bei, wenn er seine jugendlichen Helden um Mitternacht auf dem Friedhof des kleinen Städtchens spazieren lässt, das durchaus an ähnliche Städtchen bei Gustav Meyrink oder Alfred Kubin erinnert. Womit wir schon wieder in einer anderen Spukwelt landen. Augenscheinlich schaffen sich ja jede Nation und jede Epoche ihre eigene Gruselwelt, in der sich die realen Ängste der Gegenwart spiegeln.

Und die kleinen Städte mit ihren verschachtelten Straßen, alten Kirchtürmen, Galgenbergen und Friedhöfen bieten ja genug Kulisse für eine ausschweifende Phantasie. Und die hat Frank Kreisler, der sich durchaus noch mit Gänsehaut und Wohlbehagen an die Lektüre von „Käuzchenkuhle“ von Horst Beseler erinnert, ein Buch, das zur Schullektüre in der DDR gehörte, aber ganz augenscheinlich die meisten Kinder nicht wegen des politischen Zeigefingers fasziniert hat, sondern wegen der vielen grusligen und geheimnisvollen Szenen, die auch im DEFA-Film noch gruselig wirken. Anders gruselig.

Aber Gruseln funktioniert nur mit Phantasie. Wer keine Phantasie hat, fürchtet sich nicht. Denn er kann sich das Bedrohliche nicht vorstellen. Der sieht nicht den Tiger vor dem inneren Auge, wenn er ein Rascheln im Steppengras hört. Der frisst auch die in der Schule behandelten Bücher, als wären es nur ein paar Kohlehydrate, irgend so ein Zeug, das runter muss. Das man aber nicht verstehen muss.

Und aus dem man auch nichts gewinnt – schon gar nicht dieses Mehr an Vorstellungskraft, das gute Geschichten befeuern. Samt der Erfahrung, dass das spannendste Kino nicht auf irgendwelchen Bildschirmen zu sehen ist, sondern im eigenen Kopf passiert. Denn wenn Geschichten erzählt werden, wird auf-, um- und zugebaut im Kopf. Nichts stärkt die Fähigkeit kleiner Menschen zum lateralen Denken so sehr wie Geschichten. Und kaum etwas steht so sehr für diese Seitensprünge des Denkens wie Gespenstergeschichten.

Denn um sich des nachts zu gruseln, muss man schon in der Lage sein, sich alles Mögliche vorzustellen. Und genau das passiert in den Stunden, die Frank Kreisler in Schulen anbietet. Und so wie sein 2018 erschienener Erstling zum Thema „Wie ein kopfloses Skelett seinen Schädel wiederfand“ lehnt sich auch dieses zweite Gespenster-Buch an die interaktiven Schulstunden an, merkt man schon beim Lesen, dass der Autor auf die Neugier und die Gespanntheit der Kinder zielt, wenn er genauso launig erzählt, wie es Hannah und Samuel wieder auf den mitternächtlichen Friedhof zieht, von dem sie ja inzwischen wissen, was die Skelette der Toten dort treiben.

Nur haben sie diesmal spitzgekriegt, dass nicht nur die Toten nachts ihre Feste feiern, sondern auch ein paar richtige Gespenster gesichtet wurden, also diese etwas materielosen Gestalten, die durch Wände gehen können, schaurig heulen und mit den Menschen (zumeist in alten Gemäuern) gehörigen Schabernack treiben. So wie in „Das Gespenst von Canterville“, wohl dem Ur-Buch der gegen den Strich gekämmten Gespenstergeschichte, in dem neugierige Kinder eine zentrale Rolle spielen.

Nur dass die beiden Gespenster, die Hannah und Samuel zu treffen hoffen, eher keine uralten Probleme haben, bei denen ihnen geholfen werden muss. Außer Rosalinde vielleicht, die mit Baldur durch die Nacht geistert und auch allerlei Freude am Schabernack-Spielen hat. Nur dass halt auch Gespenster Phantasie brauchen, wenn sie die aus dem Schlaf Gerissenen mit richtig bedrohlichen Bildern in Entsetzen versetzen wollen.

Und Rosalinde hat da so einige finstere Bilder aus ihrer Vergangenheit als Gespenst in einer untergegangenen Stadt auf Lager. Die Bilder kann sie wohl alle zum Leben erwecken, bislang freilich nicht ahnend, dass mit den zum Leben erweckten Gestalten auch deren finstere Feinde in die Welt kommen. Rosalinde hat also auch ein kleines Problem, auch wenn ihr das nicht so wirklich viel Kummer bereitet. Denn die beiden jung gebliebenen Gespenster sind eher wie Kinder von heute: Was mich nicht wirklich ängstigt, nehme ich auch nicht für voll.

Die Richtung in diesem Buch geben diesmal also nicht Samuel und Hannah vor, sondern ihre beiden Gespensterfreunde, die beim fröhlichen Herumspuken nicht nur einen smartphoneabhängigen Jungen erschrecken, sondern auch ein paar völlig unschuldige Nachtschwestern und Putzkräfte im Krankenhaus, die sich wohl zu Recht fragen, ob man um Mitternacht wohl nicht besser im Bett läge und die ganzen Albträume im Schlaf erlebte und nicht unbedingt im Schwesternzimmer oder im zu putzenden OP-Saal.

Erst nach diesem Ausflug geht es mit Samuel, Hannah und dem schon aus Buch 1 bekannten (Räuber-)Kapitän Degenhau und seiner kopflosen Räuberbande auf den Galgenberg, wo wir erfahren, was aus dem Henker nach dessen Tod geworden ist und warum Rosalinde zumindest einen Gast aus ihrer Erinnerung nun nicht mehr dorthin zurück verbannen kann. Kreisler erzählt das alles so, dass man merkt, dass er selbst gehörigen Spaß daran hat, immer neue unmögliche Wendungen auszudenken.

Er spickt den Text mit lauter kleinen Szenen, bei denen sich die zuhörenden Kinder wohl eher den Bauch halten und Lachtränen weinen, wenn sie sich alle diese eigenartigen Szenen mit wütenden Glühwürmchen, eisgefrosteten Waldgeistern und Räuberskeletten vorstellen, die sich mit Gespensterbowling die Mitternachtsstunde vertreiben, weil es nach tausenden Nächten auf dem Friedhof doch etwas langweilig geworden ist, immer nur zu tanzen und zu heulen.

Auch Skelette, das wissen wir nun, können sich fürchterlich langweilen und sind froh über jede neue Idee, etwas Abwechslung in die immer gleiche Gruselei zu bringen. Da kann es schon mal passieren, dass dann doch das eine oder andere Überbleibsel aus der Nacht noch am nächsten Morgen im Wald hängt und ein bisschen herumspukt. Bis es – na ja – immer blasser wird. Denn am helllichten Tag – das wissen ja die Kinder von heute – gibt es meist viel mehr zu gruseln als in der Nacht.

Frank Kreisler Gespensterbowling auf dem Galgenberg, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2019, 9 Euro.

Eine Geisterstunden-Friedhofs-Geschichte für tapfere Kinder von Krimi-Autor Frank Kreisler

Eine Geisterstunden-Friedhofs-Geschichte für tapfere Kinder von Krimi-Autor Frank Kreisler

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