Mauscheln geht gar nicht und Schachern schon gar nicht. Und dabei sind es zwei Lieblingsworte der deutschen Schlagzeilen-Macher. Zwei, die sie besser nicht mehr benutzen sollten. Und wenn sie Ronen Steinkes kleinen Essay gelesen haben, wissen sie auch, warum. Steinke ist selbst Journalist bei der „Süddeutschen Zeitung“. Und er weiß, wie gedankenlos wir mit Lehnworten aus dem Jiddischen umgehen.

Wobei das erst einmal nichts Schlechtes ist: Keine andere Sprache ist dem Deutschen so nah verwandt wie das Jiddische. Und viele Worte aus dem Jiddischen sind deshalb auch in den deutschen Sprachschatz gewandert. Aber das eben leider oft nicht so wertfrei, wie das etwa mit Worten aus dem Englischen, Französischen oder Italienischen war.

Denn gerade zu den Juden hatten die Deutschen mindestens seit dem 13. Jahrhundert, als die großen Vertreibungen begannen, ein nicht nur konfliktbehaftetes Verhältnis. Es war auch eins der Verachtung, des geschürten Hasses. Die Kirche spielte dabei eine nicht gerade christliche Rolle.

Und deshalb wurden auch viele Worte aus dem Jiddischen gebräuchlich, in denen Vorurteile und Herablassung bis heute gespeichert sind. Mitsamt dem Blick der damaligen Gesellschaft auf eine Bevölkerungsgruppe, die sowieso schon ausgegrenzt war – nicht nur räumlich, auch beruflich. Die meisten „bürgerlichen“ Berufe waren Juden verboten. Während sie in damals verachtete Berufe wie Wechsler, Geldverleiher, Händler und Hausierer regelrecht hineingedrängt wurden.

Das erwähnt Steinke so nicht: Dass in der Verachtung der Juden eine ursprünglich christlich konnotierte Verachtung für alle Geldgeschäfte steckte. Worüber sich nicht mal Karl Marx, der immerhin aus einer alten Rabbinerfamilie stammte, Gedanken machte. Eigentlich hat sich daran nichts geändert – bis heute nicht: In Wirklichkeit verachten wir Geldgeschäfte bis heute. Und die Leute, die damit ihren Reibach machen, erst recht.

Womit ich gleich wieder das nächste Wort benutzt habe, das direkt aus dem Jiddischen stammt. Es ist also nicht zuallererst der scheinbar aus der Bibel stammende Judenhass, der die Stimmungsmache gegen die Juden in Deutschland immer wieder befeuert hat, sondern der eigene Zwiespalt – auf Geldgeschäfte immer wieder angewiesen zu sein (und selbst nur zu gern nach Geld zu gieren), aber die Menschen, die man damit im Mittelalter assoziierte, zutiefst zu verachten. Was eben auch einen starken Aspekt der Selbstverachtung hat.

Ein Thema für einen eigenen Essay. Ganz bestimmt.

Reibach kommt in Steinkes Buch nicht vor. Aber es soll ja auch keine Gesamtübersicht sein über all die Spuren, die das Jiddische in unserer Sprache hinterlassen hat. Viel mehr will Steinke aufmerksam machen, unsere Sinne schärfen für die Herkunft dieser Worte, ihre ursprüngliche Bedeutung im Jiddischen und die Aufladung mit unseren Vorurteilen, die in vielen dieser Worte stecken, auch wenn wir uns dessen oft gar nicht bewusst sind. Bei Mauscheln und Schachern ist es ganz deutlich.

Obwohl es starke Worte sind und die meisten Deutschen (und wohl auch die meisten Journalisten) sie benutzen, ohne an ihren Ursprung zu denken und auch nur im geringsten dabei an Juden zu denken. Mancher wird nach Lesen dieses Essays zu grübeln beginnen: Gibt es überhaupt ein Wort, das auch die Bildhaftigkeit von Mauscheln irgendwie ersetzen kann? Man denkt ja nicht an den jüdischen Mosche, der da eigentlich ursprünglich gemeint war, eher an Leute, die heimlich miteinander tuscheln, Dinge vermengen, heimlich Absprachen treffen, die eine Sache richtig schäbig werden lassen.

Etwas, was ja in der Politik und erst recht in der Begegnung von Politik und Wirtschaft nur zu oft passiert. Nur halt sind daran meist keine Juden beteiligt, sondern meist gut angezogene ältere Herren, die ihren Eigennutz über das Gemeinwohl stellen.

Und mit Schachern ist es nicht besser. Nur dass heute kaum jemand bei politischem Geschacher an diesen Ursprung denkt. Während Marx in seinem antisemitischen Furor sehr wohl wusste, was er anklingen ließ, wenn er den Schacher zur „Kultur der Juden“ erklärte. Womit er die Vorurteile seiner Zeit verstärkte, die bis heute immer wieder neue Verschwörungsmythen gebären.

Aber Steinke belässt es nicht bei Worten. Er weiß zu gut, dass beide Seiten bis heute ein gebrochenes Verhältnis zur gemeinsamen Geschichte haben. Kann man das Wort Jude denn überhaupt noch aussprechen, ohne damit beleidigend zu sein? Können es Juden in Deutschland ohne Probleme selbst benutzen? Eigentlich ja, stellt Steinke fest. Und dennoch kann er viele jüdische Prominente benennen, die mit dem Wort ihre Bauchschmerzen haben. Denn kaum ein Wort haben die deutschen Antisemiten so sehr mit Abwertung aufgeladen, so sehr, dass einem selbst eine einfache Formel wie „der Jude XY“ wie eine gewollte und bösartige Stigmatisierung klingt. Was sie auch ist. Denn darin steckt der ganze „Stürmer“-Stil, die hingerotzte Verachtung des Herrenmenschen für die Ausgestoßenen und mit Hass Verfolgten.

Was übrigens auch die Frage berührt, wie die deutsche Bevölkerungsmehrheit eigentlich auf die jüdischen Mitbürger schaut (auch das Wort Mitbürger steckt voller Probleme, wie Steinke feststellt). Sind sie ein Völkerstamm wie die Schwaben oder die Sachsen? Und inwieweit hat das mit ihrer Religion zu tun, auch wenn viele jüdische Menschen sich überhaupt nicht mehr als religiös empfinden, aber trotzdem als jüdisch?

Und selbst später ersonnene Kunstworte wie mosaisch, israelitisch oder Antisemitismus stecken voller Probleme, erzählen einerseits vom Versuch der jüdischen Gemeinden, sich der Brandmarkung durch das mit Verachtung aufgeladene Wort jüdisch zu entziehen, andererseits von echter deutscher Professoren-Arroganz, die ihre Judenfeindschaft hinter dem Kunstwort Antisemitismus versteckte.

Es geht für die Menschen jüdischer Herkunft (auch das ein nicht unproblematischer Begriff) also auch um ihre Identität. Und das in einer Gesellschaft, die ihre eigene nicht kennt, was ja immer dann wieder sichtbar wird, wenn über „deutsche Werte“ diskutiert wird. Das aber muss man nur tun, wenn man sich seiner eigenen Identität völlig unsicher ist. Auch dieses Buch ist noch nicht geschrieben: Warum die deutsche Überheblichkeit mit einer bis heute zutiefst verunsicherten Identität zu tun hat.

Aber das nur am Rande.

Denn eigentlich haben wir sehr viele Gründe, uns beachtet und beschenkt zu fühlen. Denn unsere Sprache ist voller schillernder Lehnwörter. Und nicht alle jiddischen Lehnworte sind aufgeladen mit der alten Judenverachtung. Einige sind so stark, dass wir sie gern verwenden, weil es einfach keine stärkeren deutschen Worte gibt – man denke an Tacheles, Tohuwabohu, Schmusen und Meschugge. Ganz zu schweigen von Schlamassel. Worte, die schon deshalb übernommen wurden, weil es dafür vorher kein deutsches Wort gegeben hat. Menschen mit unterschiedlichen Kulturen bereichern einander.

Worte, die auf diese Weise nicht verbogen werden, sind auch nicht das Problem. Oft wissen wir dabei auch noch um ihren jiddischen Ursprung. Andere freilich wurden so stark umgedeutet, dass sie im Deutschen beleidigend wirken – so wie Mischpoke oder Ische.

Das Buch macht sehr pointiert darauf aufmerksam, welche Geschichte etliche der aus dem Jiddischen übernommenen Worte haben und wie einige nach wie vor die alte Judenverachtung in sich tragen und weitertransportieren, wenn wir sie gedankenlos verwenden. Es lohnt sich, die Aufmerksamkeit zu schärfen. „Worte haben einen Klang“, schreibt Steinke, „Worte haben eine Geschichte, ein Assoziationsfeld. Und das abzustellen, haben nicht die Betroffenen von Antisemitismus selbst in der Hand, sonst hätten sie es schon längst getan.“

Das Buch ist auch deshalb hochaktuell, weil die Leute wieder da und laut sind, die unbedingt ihre Verachtung für Juden überall auskübeln wollen, weil sie mit ihrer eigenen Identität nicht zurande kommen und unbedingt jemanden brauchen, den sie für schuldig befinden müssen, dass sie sich in der Welt und in ihrer Haut so unwohl fühlen. Steinke benutzt das schöne Wort „unlocker“, das so sanft andeutet, wie steif auch wir als Gesellschaft nach wie vor mit dem Judentum umgehen – die ganzen moralischen Verrenkungen zur Israel-Palästina-Frage gehören dazu.

Und zum Unlockeren gehört eben auch die Brachialität unserer Schlagzeilen, die selten genau sind, aber fast immer mit moralischer Wucht formuliert. Quasi stellvertretend für ein hochmoralisches Volk – das wir aber nicht sind. Wir sind ein steifes Volk, das noch nicht einmal begriffen hat, wie viel Chuzpe es bis hierher hatte.

Lieber halten wir ständig Ausschau, wer sich alles nicht so koscher benimmt wie wir. Was man eigentlich schon eine Berufskrankheit deutscher Redakteure nennen kann. Es lohnt sich tatsächlich, Steinkes freundliche Ermahnungen zu beachten und auf unsere Worte zu achten, gerade auf die geliehenen.

Ronen Steinke Antisemitismus in der Sprache, Bibliographisches Institut, Berlin 2020, 8 Euro.

Hana: Jurij Kochs Erzählung von 1963 und eine Spurensuche nach dem Leben des Mädchens Annemarie aus Horka

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