Dieses Buch im Softcover ist mal ein bisschen teurer geworden als Bücher sonst in diesem Format. Aber das hat mit den farbenprächtigen Orchideenbildern darin zu tun. Bilder, die eigentlich die Faszination der in Deutschland heimischen Orchideenarten sichtbar machen sollen, wäre Rainer Nahrendorf bei seinen Recherchen für das Buch nicht auf die Gefahr aufmerksam geworden, die unseren heimischen Orchideen gerade deshalb droht.

Und so schreibt er uns selbst: „Was sollen Sie mit einem Buch über die bedrohten Orchideenparadiese der Eifel? Nun, die Bedrohungssituation ist in nahezu allen Bundesländern ähnlich, aber in Sachsen ganz besonders, denn in Ihrem Bundesland gibt es weniger Orchideenbiotope als in anderen Bundesländern, auch als in Thüringen und Sachsen-Anhalt, in denen Ihre Zeitung auch erscheint.Aber auch Sachsen hat seine Naturschönheiten, die es zu bewahren gilt, wie Sie aus den angefügten Links erkennen. Auf den Bergwiesen im Osterzgebirge finden Sie auch das breitblättrige und das gefleckte Knabenkraut (…) Besonders interessant finde ich das geheime Nachzuchtlabor im Dresdner Klärwerk. Zwar gibt es auch in anderen Bundesländern Nachzuchten (Ansammlungen), aber dies dürfte einmalig sein.“

Die Eifel ist im Grunde Nahrendorfs heimische Spielwiese. Und sie ist – was das Vorkommen wilder Orchideen betrifft – auf jeden Fall ein besonderes Fleckchen Erde. Und auch bekannt dafür. Hier laden mehrere Orchideenpfade und bekannte Orchideenwiesen ein zum Erkunden. Einige davon hat Nahrendorf in der Corona-Zeit besucht, seine Frau Sigrid hat faszinierende Bilder gemacht von Helmorchis, Knabenkraut und Waldhyazinthe.

Während Rainer Nahrendorf sich auch nach Gesprächspartnern umschaute – den örtlichen Betreuern der Orchiedeenhabitate, Schäfern, die die Magerwiesen mit ihren Tieren beweiden, Naturschützern und vor allem den Arbeitskreisen heimische Orchideen (AHO), die es in mehreren Bundesländern gibt und in denen sich all jene Orchideenfreunde sammeln, die sich den Schutz der in Deutschland vorkommenden Orchideenarten auf die Fahne geschrieben haben. Wohl wissend, dass diese Bestände akut bedroht sind.

Ansturm in den Corona-Jahren

Zwar tauchen die Leute, die die wild wachsenden Orchideen heimlich ausgraben und mit nach Hause nehmen oder teuer im Internet verkaufen, nur mit einem kleinen Anteil an den Verlusten in den bekannten Orchideenstandorten auf. Aber diese Leute zerstören mit ihren Diebstählen in der Regel besonders wertvolle Bestände und greifen nach den besonders seltenen Exemplaren.

Und zwar völlig unsinnigerweise, denn das Ausgraben heimischer Orchideen ist nicht nur strengstens verboten, es macht auch keinen Sinn, denn die Pflanzen sind an den speziellen Standort angepasst und brauchen auch ihren ganz speziellen Pilz, mit dem sie in Symbiose leben. Ein Einpflanzen im heimischen Garten nutzt also nichts – die Pflanze geht ein.

Die beiden Corona-Jahre waren für die Orchideenwiesen dann auch noch keine besonders gute Zeit, denn da viele Menschen auf ihre Urlaubsreise verzichten mussten, verbrachten sie den Urlaub in der Regel gleich in den Naturreservaten direkt vor ihrer Haustür.

Mit Folgen für die Orchideenwiesen, die Nahrendorf in seinem Buch auch dokumentiert – denn da wurde mitten auf der Orchideenwiese campiert, wurden die schönsten Exemplare einfach gepflückt, um damit Selfies zu machen, nahmen Laienfotografen bei der Jagd nach dem prächtigsten Exemplar keine Rücksicht auf die unscheinbareren oder noch nicht aufgeblühten Exemplare – und so wurden viele Orchideen einfach zerdrückt und zerquetscht.

Und nicht viel besser war das Auftauchen von Mountainbikern auf den meist schmalen Wiesenpfaden – sie mähten alles nieder, was am Wegrand seinen Kopf vorstreckte.

Heimische Orchideen unter Druck

Und so merkt man schon, dass Nahrendorf sein Buch ganz bewusst umgekrempelt hat und die Hinweise zum achtsamen Umgang mit den geschützten Orchideenbiotopen nicht ans Ende stellt, sondern gleich damit einsteigt.

Womit das Buch einen meist gar nicht wahrgenommenen Aspekt unserer modernen Entfremdung zur heimischen Natur sichtbar macht. Denn selbst die Jagd von technisch hochgerüsteten Fotografen auf prächtige Orchideenblüten erzählt von einer ruhmsüchtigen Gesellschaft, die sich rücksichtslos alles aneignet, was irgendwo herrenlos in der Gegend herumsteht.

Und das ohne ein Verständnis für die gefährdeten Bestände und den Überlebensdruck, der längst auch auf unseren heimischen Orchideen ruht. Denn etwa zum viel begehrten Frauenschuh, den es in der Eifel noch gibt, hat Sachsen längst gemeldet, dass er hier ausgestorben sei.

Geflecktes Knabenkraut. Foto: Rainer Nahrendorf
Geflecktes Knabenkraut. Foto: Rainer Nahrendorf

In diesem Fall eher nicht durch Massentourismus, der die hiesigen Orchideenwiesen überfallen hätte, sondern vor allem durch die anderen Faktoren, die zum Verlust wertvoller Orchideenstandorte geführt haben – allen voran die Aufforstung der von Orchideen bevorzugten Wiesenstandorte, gefolgt vom Bau von neuen Straßen und Gewerbestandorten, die rücksichtslos in scheinbar nur „einfach grüne“ Landschaften gebaut wurden, und durch eine intensivierte Landwirtschaft, die Feldraine und einst beweidete Wiesenstandorte in die Intensivbewirtschaftung genommen hat.

Was dann – mit häufiger Mahd und Überdüngung – auch das Ende der vorkommenden Orchideenarten bedeutete.

Viel zu kleine Schutzgebiete

Das heißt: Die Orchideen kommen sowieso fast nur noch in besonders geschützten Gebieten vor, die dann freilich mit Corona zum neuen Ziel für einen Massentourismus wurden, der in die ach so schönen Gefilde ausschwärmte, ohne auch nur das mindeste über die bedrohten Tier- und Pflanzenarten zu wissen. Und auch ohne Respekt für die vorgefundene Schönheit, die man in der Regel auch vom ausgewiesenen Pfad aus gut beobachten und fotografieren kann.

Das Ergebnis waren dann reihenweise tragische Erfahrungen für die örtlichen Naturschutzgruppen, die sich meist ehrenamtlich auch um die Pflege der besonderen Orchideenwiesen kümmern. Gut verständlich, dass so mancher Orchideenschützer Nahrendorf dann doch bat, lieber kein weiteres Orchideenbuch zu schreiben und auf jeden Fall keines der besonders bedrohten Orchideenbiotope mit konkretem Standort anzugeben.

Weshalb den Hauptteil des Buches vor allem die schon bekannten Orchideenpfade in der Eifel bilden, die in der Regel auch gut ausgeschildert sind. Mit einem kleinen Ausflug in die Bergbaufolgelandschaft von Garzweiler, wo sich auf der Abraumkippe neue Orchideengemeinschaften gebildet haben, weil ihnen der karge Boden entgegenkommt. Wo Teile unserer völlig übernutzten Landschaft einmal für ein paar Jahre von menschlicher Nutzung verschont werden, haben auch Orchideen wieder eine Chance.

Wildnis als störender Faktor

Aber wir kennen es ja auch aus dem mitteldeutschen Revier: Es gibt viel zu viele Leute, die es einfach nicht aushalten, dass die Natur unbehelligt bleibt. Sie legen wilde Mountainbikestrecken an ohne Rücksicht darauf, was sie mit ihren Rädern alles plattwalzen. Denn natürlich haben die meisten nicht mal eine nötige Grundkenntnis der heimischen Natur, ihrer Bedrohung und gar der vielen gefährdeten Arten.

Wildnis wird einfach als ein weiterer Ort verstanden, an dem man seinen Hobbys nachgehen kann. Und die örtlichen Verwaltungen und die meisten der so opulent angepriesenen Investoren sind nicht die Bohne besser. Für sie sind Naturräume vor allem unbebautes Land, auf dem sich Geld verdienen lässt, wenn man Ferienhäuser, Hotels und Fun-Parks drauf baut.

Im Grunde erzählt Nahendorf von jener Bruchstelle, die heute überall sichtbar wird, an der sich menschliche Geschäftigkeit immer mehr in akute Konfliktlagen mit einer mehrfach bedrohten Natur verwandelt. Der Klimawandel sorgt ja logischerweise auch für Orchideen für Stress, in den Jahren 2018 und 2019 zum Beispiel mit akutem Trockenstress.

Nicht alle Orchideen kommen mit Hitze und Wassermangel zurecht. Das bringt zwar Orchideen aus wärmeren Breiten zum Wandern nach Norden. Dafür gehen aber heimische Arten verloren. Erst recht, wenn es an Ausweichstandorten mangelt und auch die Bundesländer keine Schutzstrategie für die bedrohten Bestände haben.

Übernutzung als politische Praxis

Da nutzt auch eine ellenlange Liste der schon ausgestorbenen Arten nichts, wie sie Sachsen zuletzt im Jahr 2013 aufgelegt hat. Für viele einst typische Pflanzengesellschaften fehlen die ausgewiesenen Schutzgebiete. Und selbst wo es Schutzgebiete gibt, sind sie oft zu klein und übernutzt. Denn menschliches Wirtschaften macht ja vor Schutzgebietsgrenzen meist keinen Halt. Oft sind selbst landwirtschaftliche Tätigkeiten mittendrin erlaubt und die eingesetzten Pestizide machen eh keinen Halt vor den oft nicht mal ausgeschilderten Schutzgebietsgrenzen.

Wer sich also wie die Nahrendorfs auf Orchideenwanderung begibt, bestaunt eine Schönheit, die wir in unserem Wachstums- und Bauwahn zu verlieren drohen. Nichts fällt heutigen Politikern – egal auf welcher Ebene – so schwer, als Flächen der Natur zurückzugeben und der menschlichen (Über-)Nutzung zu entziehen. Umso wertvoller sind all die noch verbliebenen Standorte, an denen sich noch Jahr für Jahr die Blüten der Orchideen zeigen. Natürlich eine Pracht, die viele Menschen gern sehen wollen.

Aber weil es so viele sind, braucht es Regeln, an die sich alle halten, wie schwer es ihnen auch fällt, nicht einfach querfeldein zu trampeln oder gar zu fahren oder sich gleich mal – weil es so schön ist – mitten auf die Wiese zu werfen.

Deshalb gibt es am Ende des Buches auch noch einmal einen kleinen Knigge für Orchideenwanderer, sodass das Buch natürlich auch die Aufmerksamkeit lenkt auf ein Stück bedrohter Natur gleich nebenan, die wir am besten schützen, wenn wir so viel wie möglich darüber wissen.

Wir sind genau an dem Punkt angekommen, an dem wir genau diese Aufmerksamkeit wieder brauchen, um wenigstens noch das zu bewahren, was uns noch geblieben ist von einer Vielfalt, die den heute Lebenden kaum noch vorstellbar ist und längst schon als lange Namensreihe in Roten Listen steht.

Rainer Nahrendorf Eifel. Das bedrohte Orchideenparadies, ePubli, Berlin 2022, 24,95 Euro. Für 6,99 Euro ist das Buch auch als E-Book erhältlich.

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