Wir denken falsch. Wobei: Dieses „Wir“ geht so leicht von der Zunge. Auch wenn die Botschaft ja stimmt, die der Biologe Pierre L. Ibisch und der Soziologe Jörg Sommer in diesem Manifest aussprechen: Es geht um uns, uns alle, alle Menschen. Wir alle müssen unser Denken ändern, wieder lernen, richtig zu denken. Und uns von den falschen Vorstellungen einer Wachstumsvorstellung lösen, die gerade unserer Lebensgrundlagen zerstört. Denn der Natur sind wir herzlich egal.

Die beiden werden, während sie in ausführlichen Kapiteln zum Menschen, zur Natur und zur großen Vergessenheit auf ihre zehn Thesen hin arbeiten, die sie am Ende ihres Manifests erläutern, auch manchmal etwas gemein, gehen gar nicht lieb um mit unseren verletzlichen Seelchen als Menschlein um, unserem Stolz als „Krone der Schöpfung“ oder gar „Gipfel der Evolution“, Alleskönner und Allesmacher.

Die Hybris des Menschen

Ein Stolz, der ja sogar so weit geht, dass wir glauben, Pflanzen und Tiere herstellen zu können nach Belieben, in der Erbinformation herumschnippeln zu können und auch alles mit technischer Genialität wieder reparieren zu können, was wir kaputtgemacht gaben. Es sind diese Lügen über unsere eigenen Fähigkeiten, die uns möglicherweise zu einem Fall fürs Aussterben machen werden.

Und es wird nicht mal jemanden geben, der „Sorry!“ sagt, denn wir sind zwar – so wie Millionen andere Lebewesen – ein Produkt der Natur, vielleicht eine besonders spannende Mutation. Aber wir sind trotzdem nicht wichtig. Die Natur, so betonen die beiden Autoren mit einer herrlichen Gelassenheit, wird es auch nach uns geben, wenn wir nackten Affen mit unseren großen Gehirnen unsere eigenen Lebensgrundlagen zerstört haben.

Sie rücken auch die falschen Konnotationen der aktuellen Klimaschutzdebatte zurecht. Nein, es geht nicht ums Klima, um Natur- und Umweltschutz, all die schönen Dinge, mit denen wir unser Gewissen beruhigen.

Es geht um uns.

Es geht um unsere eigenen Lebensgrundlagen

Diese seltsame Spezies Mensch hat es geschafft, die eigenen Lebensgrundlagen massiv zu schädigen und einem Kollaps nahe zu bringen. Und es ist niemand da, der sie retten wird, schon gar kein Ersatzplanet, auf den wir fliegen könnten. Wir Menschen stehen vor der erschütternden Herausforderung, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen retten müssen. Und dass wir dafür nicht wirklich mehr viel Zeit haben.

Und – das teilen die beiden Autoren fast ironisch mit: All die Werkzeuge, mit denen wir gewohnt sind, unsere „Macht“ über die Natur auszuüben, nutzen uns gar nichts. Sie würden alles nur noch schlimmer machen.

Eigentlich hätte ich sogar „Macht über die Natur“ schreiben müssen, denn das ist der allergrößte Irrtum der ach so denkbegabten Menschen: dass wir Macht über etwas haben könnten, auf das wir bitter angewiesen und dessen Teil wir sind. Wir können es zerstören. Aber wir haben keine Macht darüber und leben sogar nur so lange, wie die Natur uns all das geben kann, was wir zum Überleben brauchen: sauberes Trinkwasser, fruchtbare Böden, die Früchte der Wälder und der Meere.

Also all die Dinge, die die Natur permanent kostenlos hervorbringt als Teil riesiger Ökosysteme, in denen wir als Menschen eigentlich keine Spuren hinterlassen würden, wären wir nicht so enorm viele und hätten in alle Ökosysteme so verheerend eingegriffen, dass viele davon längst zerstört und verwüstet sind.

Frustrierende Aussichten

Die beiden haben natürlich recht, wenn sie darauf hinweisen, dass auch die Kriege, die wir heute erleben, und die daraus folgenden Flüchtlingswellen in ihrem Kern schon Folgen unserer Zerstörung der Ökosphäre sind. Bevor der sogenannte „Arabische Frühling“ ausbrach, suchte eine extreme Dürre den Nahen Osten heim, zerstörte die Ernten, ließ Trinkwasserreservoirs versiegen und das Vieh verenden und die Menschen gingen gezwungenermaßen mit ihrer Not in die großen Städte.

Und das ist erst der Anfang. Die Erderhitzung wird gerade in den dicht besiedelten Ländern Afrikas und Asiens bald zu noch drastischeren Folgen führen, noch mehr Menschen werden gezwungen sein, um des Überlebens willen ihre Heimat zu verlassen.

Im Vorwort warnen die beiden natürlich, dass es streckenweise sehr frustrierend wird. Man möge sich beim Lesen der ersten beiden Kapitel wappnen. Aber es lohnt sich das Lesen, weil sie hier sehr stringent zeigen, wie es dazu kam und was das mit unseren dominierenden falschen Vorstellungen zu tun hat, vor allem dem fatalen Wachstumsdenken in den reichen Ländern, in denen wir ein Wirtschaftssystem aufgebaut haben, das seinen Erfolg nur darin sieht, immer mehr Bedürfnisse zu erzeugen, immer mehr Produkte herzustellen, die immer schneller zu Müll werden.

Und das aufgebaut ist auf einer Ausbeutungspyramide, in der die Produkte des Wohlstands in anderen Ländern so billig wie möglich produziert werden – auf Kosten der dort Arbeitenden, der Umwelt, des Klimas, all derer, die sich nicht wehren können.

Das absehbare Ergebnis, das schon unsere Kinder und Enkel erleben werden: „Wir müssen lernen, mit vermutlich über 10 Milliarden Menschen auf einem überfüllten, ausgeräumten, erschöpften und verschmutzten Planeten in einem völlig neuartigen Klima zu existieren und zu wirtschaften.“

Was heißt eigentlich Wirtschaften?

Wobei sie die Formel vom „Wirtschaften“ besonders unter die Lupe und auseinander nehmen. Denn der zentrale Satz heißt hier: „Wir haben vergessen, warum wir überhaupt wirtschaften.“

Was um den Satz ergänzt werden muss: Wir haben auch vergessen, warum wir leben. Um den dreht sich ja alles im Kapitel “Natur”. Darüber haben sich Philosophen und Religionen den Kopf zerbrochen. Alle bemüht, etwas Besonderes da hineinzuinterpretieren, als hätte uns jemand mit einer besonderen Aufgabe auf diesen Planeten geschickt.

Dabei ist das Gegenteil wahr: Wir sind ein Produkt dieses Planeten und der auf ihm entstandenen so leicht verletzlichen Ökosphäre. Nicht anders als die Affen, die Elefanten, die Fledermäuse und die Viren. Ergebnis eines Prozesses, in dem immer mehr Vielfalt entstanden ist, immer komplexere Tiere und Pflanzen entstanden.

Und irgendwann eben auch dieser Savannenbewohner mit dem besonders komplexen Gehirn, das zu etwas fähig ist, was den anderen Tieren nicht gegeben ist: dem Bewusstwerden seiner selbst, des Kosmos und dem verblüffenden Geworfensein in eine unfassbar reiche Welt.

Eigentum ist eine gefährliche Illusion

Aber Ibisch und Sommer lassen uns da kein Musterschülerdenken durchgehen, auch wenn wir dieses Gehirn vor allem dazu genutzt haben, uns die Welt so einzurichten, wie wir sie gern hätten. Sie umzumodeln, zu zähmen, zu unterjochen, weil irgendwer diesen blöden Spruch getan hatte vom „Macht euch die Erde untertan.“

Das aber – so stellen die beiden nüchtern fest, werden wir nie schaffen. Wir können die Biosphäre, die uns hervorgebracht hat, nur kaputtmachen, aber nicht unterjochen oder gar „besitzen“. Auch dazu schreiben sie ein unerhört schönes Kapitel: Wie schwachsinnig unser Besitzdenken ist und wie falsch.

Und welche dramatischen Folgten das hat. Denn nichts stimmt weniger als der Spruch, Privatbesitz würde schonend mit Natur und Ressourcen umgehen. Das Gegenteil ist der Fall: Eigentum animiert geradezu dazu, all das zu plündern und zu zerstören, was unser aller Lebensgrundlage ist.

„Es gibt kein Eigentum“ heißt deshalb auch die 4. von zehn Thesen, die sie formulieren. Natürlich erst am Ende des Buches, wenn sie davon ausgehen können, dass die Leser/-innen verstanden haben, warum unser heutiges Denken in Wachstum, Macht, Besitz und Technikglauben so falsch ist, falsche Anreize setzt und mit den alten Werkzeugen die Probleme nicht lösen kann, die wir mit diesen Werkzeugen erst geschaffen haben.

Eigentlich in einer historisch kurzen Zeitspanne geschaffen haben, nämlich innerhalb von knapp 200 Jahren, in denen wir uns die fossilen Energiespeicher zu Nutze gemacht und mit dieser Jahrmillionen lang gespeicherten Energie eine enorme Macht entfaltet haben, eine rücksichtslose Technologiewelt, die ihre Berechtigung nur aus sich selber speist und dem eingebauten Mantra des „Immer mehr“.

Das unheilige Wachstum

Denn ohne dieses heiliggesprochene „Wachstum“ fällt der ganze Laden in sich zusammen, stürzen die unerhörten Schuldenberge über uns zusammen – egal, ob als Finanzkrise, Weltwirtschaftskrise oder als Kette von Klimakatastrophen, die alles hinwegspülen werden, was wir mit dieser unheimlichen Brachialität auf der Erdoberfläche gebaut und angerichtet haben. Unsere ach so „überlegenen“ Wohlstandsgesellschaften sowieso. All diesen Krempel, den wir aufgehäuft haben und für so nötig halten, ihn unbedingt besitzen zu müssen.

Natürlich dreht sich alles um die Frage, die die beiden ernsthaft stellen: Warum leben wir eigentlich? Was ist der Sinn eines menschlichen Lebens?

Und die Antwort ist simpel: Jedes Leben ist ein Geschenk. Und das beste, was wir daraus machen können, ist ein „Gutes Leben“. Was eben heißt: Ein Leben, in dem wir unsere Bedürfnisse kennen und alles tun, dass alle menschlichen Bedürfnisse auch erfüllt werden können, alle Menschen auf der Erde ein „Gutes Leben“ leben können.

Wie frei sind wir wirklich?

Ein Leben, das auch wirklich frei bestimmt ist. Was die Frage aufwirft, was wirklich Freiheit ist. Und ob das, was selbst die Bewohner des reichen Nordens erleben, irgendetwas mit Freiheit zu tun haben, wenn sie aus den Zwängen einer Arbeitswelt nicht herauskommen, in der sie fremdbestimmt sind, den Weisungen Anderer gehorchen müssen, nur um dann das nötige Geld zu bekommen, mit dem sie sich lauter nutzlose Dinge kaufen können, mit denen sie die Leere ihres Alltags füllen, weil für richtige menschliche Begegnungen und Beziehungen keine Zeit ist.

Oder kein Raum, denn auch unsere Städte und Landschaften haben wir ja dem Moloch zum Fraß vorgeworfen, sie in weiten Teilen trist, unbelebbar und unerfahrbar gemacht, in Beton- und Maisfeldwüsten verwandelt.

Was aber ist gutes Wirtschaften?

Die Sehnsucht nach der „Natur“ spukt ja nur noch in unseren Köpfen, während wir auch noch die letzten Refugien einhegen, privatisieren, auskehren und in Wüsten verwandeln. Und das alles nicht, um ein besseres Leben zu führen. Das zählt überhaupt nicht in diesem Wachstumsdenken, das längst jeglichen Sinn verloren hat, nur noch getrieben ist von Gier und Bereicherung, während selbst in den wohlhabenden Staaten der Teil der Bevölkerung wächst, der so arm ist, dass er an ein selbstbestimmtes Leben nicht mal mehr denken kann.

Es ist die zentrale Frage: Warum wirtschaften wir?

Aus der die zweite wichtige Frage folgt, die die beiden aufwerfen: Was eigentlich ist gutes Wirtschaften?

Eine Frage, deren Antwort wir ja kennen. Denn so wirtschaftet ja die Natur. Sie schafft immer neue Ökosysteme, die einer riesigen Vielzahl von Lebewesen alles bieten, was sie zum Leben brauchen. Und alles fließt darin, alle leben in Symbiose mit allen.

Abhängigkeit von den Ökosystemen

Das trifft zwar auch auf den Menschen zu. Und die Wissenschaften haben uns ja endlich so viel Wissen in die Hand gegeben, dass wir begreifen können, wie abhängig wir von den Gütern und Gaben der Natur sind. Was natürlich die bekloppten Buchhalter unter uns erst einmal dazu gebracht hat, auszurechnen, was diese natürlichen „Dienstleistungen“ dann eigentlich kosten würden, wenn der Mensch sie quasi kaufen und vermarkten könnte. Was er nicht kann. Alle diese Ökosystemleistungen können vom Menschen weder ersetzt noch nachgebaut werden.

Wir haben keine Macht über die Natur. Im Gegenteil: Wir werden hungern und verhungern, wenn die Ökosystemleistungen der Meere, Böden, Flüsse, Insekten, Vögel und Wälder zusammenbrechen. Da wird uns all unsere Technik nichts nützen, auch nicht die Heilsversprechen der Künstlichen Intelligenz, von der ja einige Deppen aus dem Silicon Valley schon heute glauben, wir könnten die Verantwortung dann eben einfach an ihre künstlichen Gehirne abgeben.

Was für ein Übermut.

Was aber können wir tun?

Aber: Wie kommen wir da heraus? Ist dieses Manifest so eines, wie es vor 173 Jahren die Herren Marx und Engels schrieben? Nein. Zum Glück nicht. Eigentlich ist es ein Appell an jede Leserin und jeden Leser, das eigene Denken in Ordnung zu bringen, vom Kopf auf die Füße zu stellen, sich selbst zu vergewissern, „wohin uns das alte, egoistische und naturvergessene Denken geführt hat.

Ein Denken, das vom Menschen ausgeht, hat keine Orientierung. Es führt zwangsläufig zu einer Fehleinschätzung unserer Rolle im Ökosystem.“

Deswegen steckt auch das Wort Humanismus im Titel des Manifests. Denn richtiges Denken führt zum Menschen hin, zu Menschlichkeit und einem guten Zusammen-Leben. Man merkt es beim Lesen, wie es im Kopf immer wieder Klick macht. Denn natürlich sind die ganzen Schablonen von Wachstum und Technikgläubigkeit immer wieder da. So leicht kriegt man sie auch bei Lesen immer neuer Bücher zur Biodiversität und zu Gaia nicht aus dem Kopf.

Sie wirken wie echt und richtig und logisch und dominieren die Schlagzeilen aller großen Tageszeitungen. Dort wird nichts anderes als dieses von Wachstum, Gewinnstreben und Wettbewerb getriebene System angepriesen, verkauft und gezeigt.

Welches Ibisch und Sommer versuchen, der Aufklärung in die Schuhe zu schieben. Das ist der einzige Punkt, an dem ich deutlich widerspreche. Aber wahrscheinlich fürchteten sie, die heiligste aller modernen heiligen Kühe beim Namen zu nennen: den entfesselten Kapitalismus. Denn dahin kommt man zwangsläufig, wenn man über Besitz (und seine fatalen Folgen) und die verheerenden Folgen samt Geld und Kapital spricht oder schreibt.

Da nur so am Rande.

Weil es den beiden ganz und gar nicht darum geht, dass jetzt gleich eine Revolution stattfindet. Die Veränderung, die sie mit ihrem Manifest anstoßen wollen, muss in unseren Köpfen passieren.

Gutes Leben braucht Verantwortung

Wir müssen lernen, wieder realistisch zu denken. Von der Natur her, ohne die wir nicht existieren können, und zum Menschen hin, der wir alle sein wollen. „Wir müssen unsere Art zu leben ändern – oder wir gehen unter. Wir müssen sie so grundlegend ändern, dass dies nicht mit kleinen Nachjustierungen erreichbar ist. (…) Denn die Lösung liegt nicht in neuen Regeln, sondern in neuem Denken.“

Und dieses neue Denken beginnt nun einmal damit, ein „Gutes Leben“ für alle zu denken. Und auch für sich selbst. In These Nr. 9 denken sie auch über einen anderen dieser Fetische nach, von denen wir glauben, wir könnten nichts dran ändern: „Macht ist eine Täuschung.“ Ist sie auch. Eine Fiktion, hinter der nichts anderes steckt als abgegebene Verantwortung.

Damit reden wir uns dann gern heraus, wenn „die Politiker“ nicht tun, was wir von ihnen erwarten. Auch die Demokratie lebt von der Illusion dieser Macht, die scheinbar die Mehrheit davon befreit, selbst Verantwortung für sich selbst und das eigene Handeln zu übernehmen. Und sich dann fürchterlich aufzuregen, wenn die Leute, denen man die ganze Macht in die Hände gelegt hat, diese Macht missbrauchen.

Auch die zehn Thesen, die herrlich zugespitzt und doch so logisch und sinnfällig sind, regen zum Nachdenken an. Auch über das schöne Wort Humanismus oder Menschlichkeit. Das man gern als so eine Gutmenschen-Eigenschaft abtut, aber auch das ist Abwehr und Verweigerung. Auch Verantwortungsverweigerung. Den: „Menschlichkeit ist eine Kompetenz“.

Lernen, wie ein Gutes Leben geht

Aber bevor ich das ganze Manifest erzähle: Lesen Sie es einfach, tauchen Sie ein. Es beunruhigt. Und das zu Recht. Es zeigt uns, wo wir wirklich stehen. Und das frustriert genauso, wie es Hoffnung macht. Und es zeigt uns mit seinen herrlichen zehn Thesen, wie ein realistisches Denken über unser Menschsein aussehen kann.

Und dass die Gedanken der beiden Autoren überhaupt nicht weltfremd sind, weiß jeder, der auch nur einige der Bücher gelesen hat, die sich in der letzten Zeit mit der gefährdeten Biodiversität und dem gefährdeten Klimasystem der Erde beschäftigt haben. In aller Welt denken Biologen, Anthropologen, Soziologen, Philosophen und Ökonomen darüber nach, wie ein gutes Leben für uns Menschen auf dieser Erde eigentlich aussehen könnte, was dazu wirklich gebraucht wird – und was wir dazu auch alles nicht brauchen.

Hoch gefährliche Gedanken, das stimmt. Denn damit gerät das ganze Bereicherungssystem derer in Gefahr, die ihre Macht daraus generieren, dass Millionen ärmere Menschen gezwungen sind, für immer mehr Konsum zu arbeiten, immer mehr sinnlose Güter herszustellen, damit das auf Schulden aufgebaute System nicht zusammenbricht.

Die Natur ist unser größter Gläubiger

Und die größten Schulden, die wir allesamt nicht bezahlen können, haben wir bei der Natur, bei den Ökosystemen, die uns unser Leben überhaupt ermöglichen und die wir ausplündern, als wären es einfach nur vollgepackte Supermartktregale, die dann irgendein unsichtbarer Diener wieder auffüllt.

Aber genau das wird nicht passieren. Und Glauben und Ignorieren sind ganz bestimmt keine Lösungen. „Technik ist keine Befreiung“, lautet eine dieser herzhaften Thesen, die man sich am besten gleich neben den Bildschirm pinnt. Um sie nicht zu vergesen. Um sich immer wieder zu erden, wenn einen der Schwall der irren Wachstumspropaganda wieder zu erschlagen droht. „Wirtschaft ist ein Werkzeug.“ Wir haben nur dummerweise vergessen, wozu wir es eigentlich brauchen.

Und ansonsten gilt: „Die Natur hat immer Recht.“ Und dagegen können wir nichts, gar nichts machen. Und das ist gut so. Und wenn wir wieder lernen, uns menschlich zu verhalten, ist das auch für uns wieder gut. Oder unsere Enkel, denen wir nach jetzigem Stand der irren Jagd nur eine geplünderte und völlig demolierte Ökosphäre hinterlassen werden, einen Planeten, auf dem die Freiheiten, als Mensch leben zu können, auf ein Minimum reduziert sein werden.

Bleibt da wenigstens Hoffnung? Erstaunlicherweise sogar eine Menge. Denn das Erste, was wir tun könnten, ohne dazu überhaupt riesige Kraftakte zu vollbringen, wäre das In-Ruhe-Lassen der Natur, das Freigeben von Räumen, in denen die Natur sich selbst wieder regenerieren kann. Denn das kann sie besser als wir Menschen. Damit können wir vor unserer Haustür anfangen. Jetzt gleich. Lernen, wieder mit der Natur zu leben und nicht gegen sie. Von der Natur her. Zum Menschen hin.

Jörg Sommer; Pierre Ibisch Das ökohumanistische Manifest, S. Hirzel Verlag, Leipzig 2021, 15 Euro.

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