Seit 2017 lebt Angelika Arend wieder in Deutschland, nachdem die 1942 in Leipzig Geborene 1968 nach Kanada emigriert war und dort zuletzt als Professorin für Germanistik an der Universität Victoria gelehrt hatte. Aber die Rückkehr war auch ein gewisser Schock. Gerade über das verwirrende Schwarz-Weiß-Denken, das auf deutschen Straßen und in deutschen Medien vorherrscht.

Angelika Arend hat inzwischen mehrere Gedichtbände und Erzählungen im Mitteldeutschen Verlag veröffentlicht. Denn das ist ihre Art, die Welt zu betrachten: literarisch, poetisch, reflektierend.

So wie man das eigentlich machen sollte, wenn man die Schönheit der Welt nicht aus den Augen verlieren möchte, spüren möchte, wie Leben eigentlich ist und wie sich die Welt verändert. Auch wenn in diesem Band eigentlich keine Gedichte stecken. Was nicht schlimm ist.

Denn was Angelika Arend hier in den letzten Jahren gesammelt hat, sind eher Reflexionen, Notate, Tagebucheintragungen in Versform. Manchmal richtige Aphorismen, jene meist auch in Versen gut fassbaren Einsichten, die einen so überkommen, wenn man über das Tagesgewirr einmal in Ruhe nachsinnt.

Nur Schwarz und Weiß?

Weshalb Lessing diese Form des Aufschreibens ja einmal Sinn-Gedichte genannt hat. Es sind kleine Texte der Selbst-Vergewisserung – und der Abgrenzung.

Denn manches ist einfach nicht auszuhalten, auch nicht begreifbar, wenn man eigentlich gelernt hat, dass das Leben vor allem aus Zwischentönen und vielen verschiedenen Farben besteht, nicht nur aus Schwarz und Weiß, wie in ihrem Text „Schwarz und Weiß“, in dem sie natürlich auch die Fülle dieser beiden Nicht-Farben anmerkt. Aber wer von den üblichen Schwarz-Weiß-Malern weiß das schon und würdigt vor allem auch die Nuancen?

Dass es sehr viel um mediale Darstellung geht und das, was diese in den Köpfen der Medienkonsumenten anrichtet, macht Arend schon in „Kein Blatt vor dem Mund“ deutlich, ein Text, in dem sie sich so richtig darüber wundert, dass der landläufigen Behauptung, es könne nicht jeden Tag Sekt geben, die Botschaft folgt, dass dann eben jeden Tag Jauche ausgebreitet wird.

Man merkt: Es geht ihr ums menschliche Maß. Und dabei spricht sie nicht nur sotto voce, mit gedämpfter Stimme. Sie wird immer wieder sehr deutlich, denn so manches, was sich da in der ruppigen Welt der Schwarz-Weiß-Malerei eingenistet hat als Gewohnheit und Verhalten, findet sie ganz inakzeptabel.

Leute, die über Bücher herziehen, die sie nur mal durchlatscht haben, Ordinarien, die kraft ihrer männlichen Salbung öffentlich die Arbeit einer Kollegin niederstampfen, Talkshow-Moderatoren („geschniegelte Kater“), die ihr Nachfragen als Methode verstehen, ihre Gäste niederzuargumentieren, statt einfach mal zuzuhören.

Das dümmste Tabu

Denn das fehlt irgendwie in dieser seltsamen, von Mannesstolz verdrehten Gesellschaft. Dass das ein sehr weibliches Thema ist, ist ihr nur zu bewusst. In „Das Tabu, das dümmste“, bringt sie ungeschminkt auf den Punkt, wie männliche Vormundschaft über das Frausein funktioniert und Frauen in Rollen gepresst werden, aus denen sie dann – so mann will – nicht wieder herauskommen.

Beherzt und unerbittlich nimmt sie das patriarchalische Denken über Hausfrauen und Kolleginnen auseinander, das in „Philosophikum“ geradezu in den Wald männlicher Titelverliebtheit mündet. Mit Titel wird frau erst akzeptabel, selbst für den unrasiertesten Mann. Und dabei weiß Arend, dass Deutschland im Vergleich zu Ländern, in denen fundamentalistische Männer das Sagen haben, fast noch ein Schongebiet für Frauen ist.

Auch wenn sie berechtigterweise fragt, ob nicht hinter jeder großen Frau (so wenige es sind im Kosmos männlicher Wahrnehmung), nicht auch ein großer Mann steht. Was er natürlich tut.

Nur ist das in der Regel kein Mannsbild aus dem üblichen Regal männlicher Kraftprotzerei, das ganz automatisch zur Übergriffigkeit neigt – medial sehr wohl bestens zu verfolgen. In „Starke Frauen“ dekliniert sie das Thema durch.

Und man merkt: Natürlich muss man sich absetzen. Wer sich diesen Zumutungen entziehen will, muss sich immer wieder aufs Neue vergewissern, dass in der Welt der lautstarken Prügelknaben Regeln gelten, in denen für Vielfalt und Diversität kein Platz ist. Für menschliche (Zwischen-)Töne schon mal gar nicht. Diese Leute kennen nur laut und rücksichtslos.

Jeder irrt anders

Aber wo sind dann wir, die wir das Zwischenmenschliche noch aufregend, wichtig und unersetzlich finden? Das erzählt Angelika Arend in einem ganzen Kapitel „Jeder irrt anders“. Denn das ist die Grundlage. Wer weiß, dass er oder sie sich jederzeit irren kann und auch irrt, weil das Leben so ist, der wird vorsichtiger und einfühlsamer. Verständnisvoller für andere sowieso.

Und da erst beginnt eigentlich die Liebe. Und der Sinn für Behinderungen, Ausgrenzungen, Barrieren. Das, womit die Lauten und Rücksichtslosen die leiseren und schwächeren Menschen beiseite drängen – ins Abseits.

Über die Demütigungen der Schwachen und Ärmeren erzählt sie auch. Sie stecken im Bildungssystem und im Rechtssystem. Und da kommt man dann natürlich auf Themen wie Naturzerstörung, das Gebrüll auf den Straßen, die Diffamierung der Demokratie, auch seitens der neuerlichen Zaren im Kreml. Und auf den Moment, den die Stilleren alle kennen, wenn sie vor den Spiegel treten. Denn da sieht man sich, und weiß doch: Alles sieht man nie. („Aus dem Spiegel“) „Jeder ist auf seine Art ein Mensch“, schreibt Arend. „Aber er sei’s.“

Das ist eigentlich auf den Punkt gebracht, worum es geht in diesem sehr nachdenklichen Blick auf den Zustand der Welt.

Angelika Arend „Sotto Voce“, Mitteldeutscher Verlag, Halle 2023, 14 Euro.

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