Berühmt geworden ist Romina Power als Sängerin. Im Duett mit Albano Carrisi feierte sie weltweite Erfolge. Ihre Lieder wurden zu Ohrwürmern. Auch als Schauspielerin war die Tochter des Schauspielers Tyrone Power aktiv. Was aber ihr Wikipedia-Artikel nicht verrät, ist die Tatsache, dass sie seit einigen Jahren auch als Romanautorin ihre Leser findet. Ihren ersten Roman publizierte sie im Jahr 2000. Ihr erstes Buch hatte sie sogar schon 1989 veröffentlicht.

„Cercando mio Padre, Tyrone Power“ hieß es, in dem Romina Power sich auf die Suche nach ihrem Vater machte, der bereits 1958 – während eines Filmdrehs – gestorben war. Da war Romina gerade einmal sechs Jahre alt. Aber auch ihr neues Buch beschäftigt sich mit ihrer Familiengeschichte, romanhaft verfremdet. Die tagebuchschreibende Daria ist nicht identisch mit der Autorin, auch wenn sie darin – wie der Verlag betont – persönliche Erfahrungen verarbeitet hat.

Und es wird sehr persönlich, als Daria, die in New York eine wunderbare Wohnung mit herrlicher Aussicht auf das Empire State Building gefunden hat, nun doch erkennen muss, dass ihre 90-jährige Mutter in ihrem Haus im Wüstendorf Tubac in Arizona nicht mehr wirklich allein zurechtkommt – auch wenn sie es nicht zugeben will.

Aber wer will das schon nach einem Leben, in dem man immer alles bewältigt hat, oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand und mit den Kindern ein eher distanziertes Verhältnis hatte? Ein Verhältnis, das sich jetzt völlig umkehrt, denn de einst schöne und bewunderte Muter wird ganz offensichtlich wieder zum pflegebedürftigen Kind. Das Kind wird zur Mutter, die die zerstreute, von Schmerzen geplagte Mutter rundum versorgt und auch hinnehmen muss, dass die alte Dame schnippisch reagiert, manchmal auch bissig.

Und dennoch kommt etwas zum Vorschein, was die Erzählerin ein Leben lang eigentlich vermisst hat. Sie kann sich auch nicht erinnern, dass es in ihrer Kindheit je Worte der Liebe und des Trostes gab. Doch jetzt – zwischen Stunden der Abwesenheit und des Fernsehgeflimmers, in dem die alte Frau meist tagelang verschwindet, werden solche Gesten möglich. Vielleicht jetzt erst überhaupt möglich, denn wann schon darf man in einer Welt des schönen Scheins und der permanenten Selbstbehauptung so eine Schwäche zeigen?

Ein kaputtes Land

Und Freundlichkeit ist Schwäche. Auch wenn Daria wie selbstverständlich immer längere Aufenthalte in Tubac einlegt, sich extra ein Auto kauft, weil hier nichts ohne Auto zu bewerkstelligen ist, und am Ende ihre schöne Wohnung in New York erst vermietet und dann verkauft, weil aus Wochen Monate werden. Und am Ende drei Jahre, in denen sie sich eigentlich nur noch der Pflege der Mutter widmet, Krankenschwestern und Pflegerinnen anheuert und den Alltag am Laufen hält. Manchmal nur getröstet von der Schönheit der Wüste, in der es keine Jahreszeiten gibt.

Aber gleichzeitig hat sie es mit der Realität eines Landes zu tun, das seine Bürger meistens allein lässt, wenn es wirklich ums Leben geht. Ein Land, zu dem Daria immer wieder kritische Töne findet, obgleich das Tagebuch am 31. Dezember 2014 endet, der Auftritt des Pausenclowns als amerikanischer Präsident also noch in der Zukunft liegt.

Aber dass die USA so ein kaputtes Land sind, hat ja nicht nur mit einzelnen Personen zu tun, die wissen, wie man Menschen belügt und manipuliert. „Manchmal denke ich, wie schön dieses Land wäre, wenn Christopher Columbus nie hier gelandet wäre, wenn es noch Pferde und Kutschen statt Autos gäbe. Es wäre immer noch sauber und wir könnten alle einem langsameren, aber wunderbaren Lebensrhythmus folgen“, schreibt sie unter dem 24. März 2014.

Tags zuvor erst hat sie eine Verkäuferin bedauernd gefragt, warum in ihrem Laden seit Jahren immerzu „La vie en rose“ gespielt wird. Aber die Musikauswahl hat irgendein fernes Management bestimmt. „Wir können nichts tun“, sagt die Verkäuferin.

Kaputte Beziehungen

Es sind solche scheinbar nebensächlichen Szenen, die das Verstörende am Amerika der Gegenwart sichtbar machen. Auch die Hilflosigkeit der Menschen, die in einer Welt gefangen sind, an deren unübersehbaren Fehlentwicklungen sie nichts ändern können. Da überrascht es eigentlich nicht, dass selbst Daria daran glaubt, dass die Flugzeuge über der Wüste Chemtrails versprühen.

Warum sollte das nicht möglich sein in einer Welt, in der die Mächtigen lügen, Konzerne ihr Handeln „grünwaschen“, die Supermärkte vollgestopft sind mit chemisch aufgepeppter Nahrung – während ein Hinweis auf die Gesundheitsschädlichkeit all dieser Produkte sogar verboten ist. Das wäre ja wettbewerbsverzerrend.

Und gleichzeitig ist Daria selbst auf der Suche nach sich selbst. Die Wohnung in New York, die eigentlich ihr Atelier sein sollte, war für sie auch ein hoffnungsvoller Neuanfang, nun, da sie – 50 Jahre alt – mal wieder allein lebt und immer skeptischer wird, ob sie eine neue Partnerschaft überhaupt noch eingehen sollte. Selbst das Verhältnis zu ihrem Sohn ist komplizierter geworden, nachdem dieser – der Liebe wegen – sein Studium aufgegeben hat und in Südfrankreich seinen Lebensunterhalt als Kellner verdient.

Ein Bruder ist da noch, aber der hat das große Talent, selbst die Anwesenheit zum Weihnachtsfest kurzfristig abzusagen, nachdem er erst großspurig sein Kommen zugesagt hat. Sodass die Last, sich um die Mutter zu kümmern, tatsächlich ganz allein auf Daria liegt, die in der Zeit in der Wüste geradezu zur Spitzenköchin wird – denn die Mutter ist zwar zunehmend von ihrem Krebs gezeichnet und kann keinen Schritt mehr ohne Hilfe tun. Aber was sie zum Essen bekommt, muss ihren hohen Ansprüchen aus einer Zeit genügen, als Festbankette noch zu ihrem Alltag als Diplomatenfrau gehörten.

Was ist Glück?

Und dabei weiß selbst Daria, dass sie privilegiert ist. Am 17. Juni 2014 wird sie daran erinnert, als der Gärtner schon seit einer Woche ausblieb. Er wurde über Nacht einfach nach Mexiko abgeschoben. „Eines Tages wurde er auf dem Heimweg von der Arbeit von der Grenzpolizei angehalten. Da er keine Papiere bei sich hatte, luden sie ihn in ein Auto und brachten ihn zur Grenze, wo sie ihn mittellos zurückließen.“

In Buddhismus und Meditation findet Daria einen Weg, sich selbst nicht zu verlieren in dieser Zeit. Da spürt sie auch, dass ihr eigenes Einsamsein sehr viel mit der Einsamkeit einer Gesellschaft zu tun hat, die den falschen Götzen nachjagt. „Wenn unsere wahre Natur glücklich ist, warum ist unser Glück so vergänglich?“, fragt sie unter dem 2. September 2014. „Die Antwort ist, dass wir egozentrisch sind und uns daran gewöhnt haben zu denken: ‚Es interessiert mich nichts anderes, als glücklich zu sein …‘“

Da klingt sie an, die falsch verstandene happiness eines Landes, das glaubt, man könne den Menschen ihre Träume verkaufen – als Auto, als Haus, als Essen, als Drink, als Droge. Auch Daria merkt irgendwann, dass die Pflegeschwestern ihre Mutter am liebsten mit erhöhten Dosen von OxyContin ruhigstellen, wenn sie nicht da ist. Nur ja nicht riskieren, dass die Patientin aggressiv wird und die Routinen stört.

Verlorene Träume

So gesehen ist es auch ein Roman, der den Wert der Pflege von Angehörigen daheim zeigt, auch wenn Daria oft genug erfährt, wie hart das sein kann und dass ihre Mutter durchaus stur und rücksichtslos sein kann. Die ewig laufenden TV-Sendungen und ihren Zigarettenkonsum will sie ihr gar nicht erst ausreden. Denn andererseits beharrt die alte Frau ja auf ihrem Wunsch, ihr Lebensende selbst in der Hand zu haben und nicht irgendwo abgelegt und abgeschoben zu sein.

Mitten in diesem letzten Jahr erinnert die Fernsehserie „Happy days“ Daria daran, dass auch ihr Heimatland USA einmal einen Traum hatte – in jenen fernen fünfziger Jahren, als alles – Autos, Kühlschrank, Jukebox – noch eine runde Form hatte. „Es gab Arbeitsplätze und Hoffnung für alle. Dann, in den sechziger Jahren, sangen die Beatles All you need is love, Liebe ist alles, was man braucht, und wir jungen Leute glaubten daran. Ich zuerst.“

Ein Land kann träumen. Und Politiker spielen nur zu gern mit den Träumen der Menschen. Aber mit den wirklichen Träumen lässt sich kein Profit machen. Also bleibt der Traum ein Traum. Und am Ende ist es dieser Moment, wo die alte Frau ihrer Tochter endlich sagt, dass sie sie liebt, der beide versöhnt. Just an dem Tag, an dem Daria wieder aufbricht, weil sie ein Gespräch mit einem Galeristen in Phoenix hat. Es ist der Tag, bevor ihre Mutter tatsächlich stirbt. Bevor auch ihr Bruder endlich aufkreuzt, der sie jahrelang davor gewarnt hatte, Kontakt mit der Mutter aufzunehmen. Und nun weint auch er eisige Tränen.

„Der Tod findet immer einen Weg, doch zu überraschen“, schreibt Daria. „Er ist spöttisch. Aber er tut den Lebenden mehr weh.“

Warum, das weiß man an dieser Stelle im Buch, das 2015 im italienischen Original erschien und das Sylvia Völker übersetzt hat.

Romina Power „Ich nehme dich an die Hand“, Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2023, 22 Euro.

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