Menschen lieben Sex. Das war schon immer so. Ohne Sex keine Kinder. Selbst die Höhlen der Steinzeitmenschen waren voller Sex-Symbole, von Archäologen natürlich als Fruchtbarkeitssymbole interpretiert. Worum geht es also bei Sex? Jenem schwierigem Thema, bei dem selbst Väter erröten, wenn Kinder danach fragen? Die schwedische Ethnologin Elin Hägg hat es in diesem Buch einmal versucht aufzudröseln.

Vielleicht hilft es ja den Vätern, die da am liebsten von Bienen und Störchen erzählen würden, um die Kleinen nicht zu erschrecken. Die ja irgendwann nicht mehr so richtig klein sind, sondern verflixt neugierig. Und Fragen stellen, die richtig ans Eingemachte gehen. Auch daher, weil unsere Medien voll sind mit sexualisierten Botschaften. Die aber meist nicht wirklich viel mit dem zu tun haben, was Menschen wirklich erleben beim Lieben und Sexhaben.

Aber wie war das denn früher? Und warum plagen wir uns heute mit so viel Scham, so vielen Tabus und falschen Erwartungen? Hatten das auch die Menschen in der Steinzeit?

Als Sex zur Sünde wurde

Wahrscheinlich nicht. Obwohl wir das natürlich nicht definitiv sagen können, weil die Menschen damals natürlich keine Bücher schrieben und keine Filme drehten, Pornofilme schon mal gar nicht. Aber sie malten Höhlenbilder, schnitzten Vulven und Penisse und schufen kleine Venus-Figuren, die sie natürlich nicht nach Venus benannten, der griechischem Liebesgöttin.

Vielleicht waren es Bilder der Muttergöttin, kleine Fruchtbarkeitsidole. Vielleicht gehörten sie auch zu Fruchtbarkeitskulten, denn natürlich wünschten sich die Leute auch damals Kinder.

Das hat sich nie geändert. Doch etwas anderes änderte sich, als die Menschen sesshaft wurden, anfingen Ackerbau zu betreiben und Dörfer gründeten. Denn mit dem Sesshaftwerden entstand der Besitz, konnten Dinge angesammelt und vererbt werden. Das hat bis heute die Rolle von Mann und Frau drastisch verändert. So sehr, dass wir oft gar nicht mehr merken, wie es beim heutigen Sex um Besitzen, Kaufen und Verkaufen geht.

Auch ums Sich-Verkaufen. Nichts ist mehr einfach und selbstverständlich. Frauen wissen das. Aus leidvoller Erfahrung.

Denn mit dem Besitz veränderte sich auch das Verhältnis der Geschlechter. „Der Mann hat das Sagen“, überschreibt es Elin Hägg im Kapitel „Die Antike“. Denn Besitz definierte sich über den Mann. Männer machten die Gesetze, besetzten die Machtpositionen und betrieben Politik. Das war im alten Griechenland schon ausgeprägt. Die Historiker rätseln nur, wann das begann. Das es mit der Bildung kleiner und großer Staaten zusammenhängt, wissen sie. Denn Staaten hängen mit Landbesitz und Macht zusammen.

Und so bestimmten Jahrtausende lang eben auch Männer, welcher Sex erlaubt war und welcher nicht. Das wurde in Gesetze und Moralvorstellungen gegossen. Und dann auch in Religion. Sodass dann alte Männer, die offiziell gar keinen Sex hatten, darüber bestimmten, was Frauen und Männer miteinander tun durften. Sie machten Sex zu etwas Verbotenem.

Sie verteufelten ihn und kamen dann immer mit der – falsch abgeschriebenen – Adam-und-Eva-Geschichte aus der Bibel um die Ecke, mit der sie alles, was mit Geschlechtstrieben zu tun hatte, zur Sünde erklärten, und die Frau gar zur Quelle allen Übels.

Woher kommen die Kinder?

Mit Radikalisierungen, die heute nur noch erschrecken, wenn man an die grausamen Hexenverfolgungen der Frühen Neuzeit denkt, in denen Männer ihre wilden Sex-Phantasien dadurch auslebten, dass sie vor allem Frauen anklagten, foltern ließen und töteten. Es ist also nicht wirklich ein Buch für ganz kleine Kinder. Ein bisschen größer sollten sie schon sein.

Nicht wegen des Sex, sondern wegen der Dummheiten, die sich vor allem Männer im Lauf der Geschichte ausdachten, um Sex zu verteufeln (und trotzdem zu bekommen) und Frauen dabei erniedrigten, bevormundeten und aussperrten.

Dass Männer dabei auch allerlei wilde Ideen entwickelten, wo die Kinder nun eigentlich herkamen, erfahren die Leserinnen des Buches natürlich auch. Und werden sich oft genug mit der Hand an die Stirn fassen: Wie doof waren die denn?

Oft waren sie einfach borniert. Und herrschsüchtig. Selbst die Märchen der Brüder Grimm erzählen ja davon, dass Sex eigentlich im Erleben der Menschen etwas ganz Normales und Märchenhaftes war. Nur kamen dann in der Regel die Zensoren und strichen die besten Stellen weg, um mal an dieser Stelle Heinrich Heine zu zitieren. Denn das war immer die große Leidenschaft der (männlichen) Zensoren: Den Menschen jeden, aber auch jeden Spaß zu verderben.

Endlich raus aus den Tabus

Und am Ende kam natürlich Kokolores dabei heraus, wenn man über die natürlichsten Dinge der Welt nicht reden konnte. So was, was dann zum Beispiel Sigmund Freud sich ausdachte, solches Zeug wie Penisneid bei Frauen und andere sexuelle Untergründigkeiten, die er glaubte, in den Träumen seiner Patientinnen und Patienten lesen zu können. Wobei natürlich eines stimmt für seine Zeit: Seine Zeit war total verklemmt, versuchte Sex überall zu reglementieren, zu verstecken oder gar zu kriminalisieren.

Trotzdem hatten die Leute Sex und verbreiteten dabei meist auch noch fröhlich die ganzen sexuell übertragbaren Krankheiten, von denen natürlich auch die Rede ist. Man muss sich ja heute nicht mehr dumm stellen. Denn es gab eben auch kluge Mediziner und Aufklärerinnen, die im Lauf des 20. Jahrhunderts eine Menge dafür getan haben, das Geschlechtsleben des Homo Sapiens zu enttabuisieren. Und so nebenbei auch genauer herauszufinden, was da tatsächlich passiert, wenn Männlein und Weiblein schönen Sex miteinander haben und dabei nicht verhüten.

Dann passiert etwas Faszinierendes. Das, worum es eigentlich die ganze Zeit immer geht. Oder gehen sollte.

Aber Elin Hägg erzählt eben auch, dass das 20. Jahrhundert noch längst nicht das Reich der Freiheit war. Denn da gab es weiterhin eine Menge Männer, die sich mit religiösem Eifer, dummer Voreingenommenheit oder gleich mal rassistischem Denken massiv einmischten in das Sexleben ihrer Mitmenschen, dumme Gesetze verabschiedeten und vor allem Frauen gängelten, wo sie nur konnten. Und das versuchen sie bis heute immer wieder. Als wären sie regelrecht besessen davon, anderen Leuten ständig in die Unterwäsche zu gucken.

Sodass wir heute in einer Zeit leben, in der sich ein Großteil der Menschen endlich eine gewisse Freiheit erobert haben, was ihr Sexleben, den Umgang mit der eigenen Geschlechtlichkeit und den vielen Möglichkeiten der Liebe angeht. Und gleichzeitig sind noch immer die finsteren Leute am Werk, die schon beim Wort Gendersternchen nasse Hosen kriegen und am liebsten bei jeder Frau kontrollieren würden, ob sie schon mal abgetrieben hat.

Der lange Weg der Emanzipation

Die vergangenen 200 Jahre sind in gewisser Weise Zeiten der stückweisen sexuellen Befreiung. Parallel dazu aber auch die der Emanzipation der Frau und des zunehmenden Aufbegehrens gegen das alte, verstockte Patriarchat, das – um das hier mal zu erwähnen – auch Männern den Spaß am Sex versaut. Es geht also weiter. Wir wissen nicht, ob die Menschheit künftig wieder zu einem ganz unverklemmten Sex zurückfinden wird oder neue Formen erschließt, mit dem Begehren umzugehen.

Oder ob die alten Säcke wieder mehr Einfluss bekommen, die am liebsten in jedes Bett gucken würden, ob da auch die Richtigen beieinander liegen.

Und so nebenbei beantwortet Elin Hägg natürlich auch so schöne Kinderfragen wie: „Hat deine Ur-Ur-Uroma eigentlich schon an Sex gedacht?“ Oder warum die tollen Bilder der Renaissancemaler übermalt wurden, wenn da auch nur eine Brust zu sehen war. Es bleibt als Grundkonstante für die letzten paar tausend Jahre, dass der Sex eben leider viel zu lange Spielball von Macht- und Besitzverhältnissen gewesen ist.

Und dass auch die sogenannte „sexuelle Revolution“ in den späten 1960er Jahren mit dem Muff der alten Patriarchen nicht gänzlich aufgeräumt hat. Auch nicht im so freizügigen Schweden, wo sich die Kinder natürlich genau dieselben Fragen stellen wie die Knirpse in Sachsen. Nur mit Bienen und Störchen darf man ihnen nicht mehr kommen. Die Wahrheit, bitte, Papa!

Und wenn Papa klug ist, hat er vorgesorgt und sich das Buch in Reichweite hingelegt. Auf jeden Fall ermutigt es, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es um die menschlichste Sache der Welt geht.

Elin Hägg „Sex. Mit nackten Tatsachen durch unsere Kulturgeschichte“ Klett Kinderbuch Verlag, Leipzig 2024, 18 Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar