Aufgewachsen ist Christoph Treskow „am Rande des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs“, „in direkter Nachbarschaft zur Auenlandschaft der Elbe“. Dann hat er studiert in Rostock, lebte eine Zeit lang in Hamburg und kehrte dann 2023 nach Dessau-Roßlau zurück, wo er heute als Schriftsteller und Lektor lebt. Die Flusslandschaft seiner Kindheit wieder direkt vor der Nase. Den Fluss, der geradezu anregt, in ihm immer neue Bilder für das Leben zu finden.
Was den Dichter ganz offensichtlich tröstet, der im Fließen auch das Bleibende sieht, das Vorübergehende, das Vergehende und das Kommende. Der Fluss ruht nicht, findet aber mit immer neuen Bildern in die Gedichte des 37-jährigen, der in seiner Landschaft auch einen Ort sucht, an dem er wieder Mensch sein kann. Und wo Hoffnungen wieder Mut machen. Manchmal sind es ganz einfache Verse, wie in „Wandern“: „Die Wege sind offen. / Wo Friede gelingt“, schreibt er.
Eine Hoffnung, die er mit vielen seiner Landsleute teilt. Nicht mit allen. Denn für manche ist der Friede ja bekanntlich nichts Friedliches. Das weiß auch Treskow, der am Elbkilometer 261“ auf den Fluss blickend feststellt: „Du bleibst auch blau im braunen Land. / Du bleibs dir treu am weißen Strand. / Du – immer neu, im Fluss – dieselbe.“
Obwohl er weiß: Er wird die Anderen nicht ändern können. Eigentlich ist er hier unterwegs, um sich selbst wiederzufinden. In steter Auseinandersetzung mit einem Du, von dem man nicht allzu viel erfährt, außer dass es nicht mehr gegenwärtig ist – und trotzdem da. So sind wir ja als Menschen in unseren Nöten: Inwendig sind wir immer noch im Gespräch mit denen, die uns verlassen haben.
Denn wir wollen ja wissen, warum es so kam, ob das an uns lag, oder ob es einfach passierte, weil wir nicht wirklich wir selbst waren. „Ich bring es dahin, / Mich selbst zu erkennen und noch zu begreifen, / Wofür ich mich hielt, war nie, was ich bin“, schreibt Treskow ein paar solcher Verse, die ans ganz moderne Eingemachte rühren. An unsere Rollenspiele, unsere vielen so völlig verzweifelten Versuche, für ander Menschen eine Rolle zu spielen, die wir nicht sind.
Ins Vertraute
Auch dafür kann man zurückkehren in die Landschaft seiner Herkunft, an den Ort, wo man wieder Boden unter den Füßen hat, seine Wurzeln spürt, ins „Herz der Welt“ („Organ“) oder ins Vertraute („Vertraue“).
Denn oft meinen die Menschen ja nichts anderes, wenn sie von Heimat reden. Fast immer ist es nur der Ort, wo sie ihren Schritten vertrauen, wo sie sich auch trauen, Gefühle zuzulassen. Auch wenn man nie weiß, ob es am Ende gelingt.
Da kann auch schon mal eine Eiche zur Gesprächspartnerin werden wie in „Pfad am Strom“. Und sie sagt, was auch Menschen sagen könnten: „Keinen Tag war ich die Gleiche.“ Wo alles fließt, spürt der Wanderer eben auch, dass auch in ihm selbst alles in steter Bewegung ist. Denn nur wer sich bewegt, ist am Leben, findet – vielleicht – das Gute, für das es sich lohnt, unterwegs zu sein „Lass uns nicht scheitern, / Stolpernd im Lauf, bevor wirs versuchen: / Aufrecht zu leben.“ („Anders geht man“)
Darum geht es ja eigentlich. Gehen wir, sind wir unterwegs, verströmen wir uns wie ein Fluss. Im Prosatext „Siehe, du bist geblieben“ versucht Teskow die jüngere Vergangenheit zu fassen zu bekommen. Und seine (ungenannten) Landsleute, die immerfort von Verlusten jammern und reden, als gäbe es sonst kein Leben. „Verluste – viel geht es noch um sie. Kein Ufer konnte vor ihnen schützen. Aber was hat uns denn je wirklich gehört, das wir es verloren? Und wenn es uns gehörte: Haben wir es festgehalten? Zum rechten Zeitpunkt losgelassen? Oder haben wir es – überwältigt und gedankenlos in unseren besten Jahren – ziehen lassen?“
So sehr wollten wir das Wunder
Hier ist es mal Dessau selbst, das der Dichter anspricht. Die Stadt, die geblieben ist und in die der Dichter zurückgekehrt ist, weil er musste: „Mir war kalt. Kein Triumph war meine Rückkehr, sie war ein In-die-Knie-Gehn an einem unübersehbaren Ufer.“ Auch so kann man das Vertraute beschreiben, das so viele Facetten hat, ohne das wir aber nicht atmen können. Nicht leben können, nicht hoffen können.
Was seltsam klingt, wenn man die falschen Bilder von Heimat im Kopf hat. Und nicht so offenen Auges wie Treskow durch die Flusslandschaft wandert, die immer beides vereint – das Bleibende und das, was sich fortwährend ändert. So wie wir selbst, auch dann, wenn wir es nicht merken und so tun, als wären wir Steine in der Brandung, unverrückbar.
Oder mit Treskows Worten aus „Was zu tun bleibt“: „Ein Wunsch erfüllt sich / Durch gutes Tun, / Fließt ungestört / Als starker Strom.“
Denn nur was sich bewegt, bleibt. Der Fluss ist das deutlichste Bild dafür. Auch dafür, wie wir werden können, was wir wahrscheinlich sind. Denn erst so entsteht das Gute, das uns wärmt. Und Hoffnung macht: „Wie schön der / Mensch ist, wenn er gut ist.“
So kann man zurückkehren in eine Landschaft, an einen Ort, der vom Wieder-da-Sein erzählt. Aber gleichzeitig die Augen öffnet dafür, dass man selbst etwas tun kann dafür, dass man gesehen wird und wahrgenommen wird als der, der man ist. So kann man zu sich selbst kommen, indem man losgeht. Und sich nicht im Jammern verkriecht. Wer jammert, hat für Hoffnung keinen Platz.
„Drum gaben wir nie auf, / So sehr wollten wir das Wunder“, schreibt Treskow in „Wir heißen uns hoffen“. Das könnte geradezu als Moto stehen für Zurückgekehrte und Dagebliebene: Das eigene Leben immer als Herausforderung zu sehen. „Die Wege sind offen.“ („Wandern“)
Und was bietet sich da besser an als eine Landschaft mit einem Fluss, der sich im Strömen verschenkt? Und der die Wanderer immerfort einlädt, an seinen Ufern über das Geben und Nehmen, Kommen und Gehen nachzudenken. Und vielleicht ein paar Verse daraus zu machen, die sich in diesem Band mit den Bildern von Fluss und Wasserlandschaft vermischen, sodass man auch ein wenig sehen kann, wie das so ist, mit aufmerksamen Augen durch die Wiesen an der Elbe zu laufen.
A. Christoph Treskow „Flüsse sind wir“ anderort Verlag für Lyrik, Leipzig 2024, 14 Euro.
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