Die Deutschen waren nicht allein, als sie nach 1990 glaubten, jetzt wäre die Zeit der großen Konfrontation und des Kalten Krieges vorbei. Jetzt würde man die Friedensdividende genießen können und Länder wie Russland würden zu Partnern im Friedensprozess werden. Doch das war eine Täuschung. Der auch Susanne Spahn verfiel. Und das, obwohl sie die Entwicklungen in Russland direkt miterlebte als Osteuropa-Historikerin, Politologin und Journalistin. Aber Russland hat sich verändert. Das hat auch die deutsche Politik viel zu lange ignoriert.

Deshalb schildert Spahn in ihrem Buch auch, wie sie selbst von der Russland-Versteherin, die die Entwicklung in Russland schon in den 1990er Jahren aufmerksam beobachtete, zur Kritikerin der Entwicklung wurde. Eine Entwicklung, die unter Wladimir Putin einsetzte und letztlich in der Aggression gegen die Ukraine gipfelte. Obwohl sie damit nicht endete. Denn wer nur auf den Krieg in der Ukraine schaut, sieht nicht das ganze Bild, sieht nicht, wie massiv die russische Aggression von Anfang an mit einer medialen Einflussnahme in Westeuropa einherging. Und dass Deutschland von Anfang an das Hauptzielgebiet der medialen Beeinflussung wurde.

Die bis heute von politischen Verantwortungsträgern nicht wirklich ernst genommen wurde. Noch immer wirken die alten Sätze, mit denen man sich die russische Politik schöngeredet hatte. Wenn man nur die Handelsbeziehungen zu Russland ausbauen würde, würde die Demokratisierung des Landes automatisch folgen. Ansonsten habe man es ja sowieso mit der schwermütigen russischen Seele zu tun. Man könne das Land sowieso nicht verstehen.

Von oben „gelenkte“ Demokratie

Und so wurden die Vorgänge in Russland immer wieder mystifiziert, verharmlost, der so besonderen russischen Eigenart zugeschrieben. Die Russen wären nicht fähig, die Demokratie von sich aus hervorzubringen, die müsste dort von oben herab also geschaffen werden.

Und während auch die deutschen Regierungen unter Schröder und Merkel den liebevollen Eiertanz um russisches Erdgas und Erdöl tanzten, war für Susanne Spahn die Zeit um 2010/2011 entscheidend, als sie einmal mehr in Moskau weilte, aber ein völlig verändertes Land vorfand.

Es war das Ende der Amtszeit von Dmitri Medwedew als Präsident und dem kurzen Versprechen auf eine Demokratisierung Russlands, Putin kehrte nach seiner „Pause“ als Ministerpräsident wieder zurück auf den Präsidententhron und es war klar, dass er alles dafür tun würde, das Amt künftig nicht mehr abzugeben.

„Mein bisheriges Russlandbild wurde völlig auf den Kopf gestellt“, schreibt Spahn. „In Deutschland hörte ich immer wieder von den Transformationsstaaten in Osteuropa, zu denen auch Russland gehöre. Ja, Russland transformierte sich, aber ganz sicher nicht zur Demokratie, das war mir klar, nachdem ich die zynische Show der vereinigt in der Praxis gesehen hatte.“

Mit Putin kehrte Russland zurück zum alten, noch aus der Zarenzeit stammenden imperialen Denken. Die Arbeit von Opposition und unabhängigen Menschenrechtsorganisationen wurde zunehmend eingeschränkt. Politiker, die dem Regime gefährlich werden konnten – wie Boris Nemzow – wurden ermordet.

Und auf die Bestrebungen der Nachbarländer, sich hin zu Europa und mehr Demokratie zu orientieren, reagierte Moskau mit kriegerischen Einmischungen. Nach Tschetschenien erwischte es Georgien. Und als die „grünen Männchen“ 2014 in die Krim einsickerten und die „Rebellen“ in der Ostukraine militärische Unterstützung von Moskau bekamen, war klar, dass die Ukraine zum nächsten Angriffsziel Moskaus geworden war.

Das unersetzliche Russland

Aber Susanne Spahn schildert diesen Konflikt in diesem Buch nicht aus der Perspektive der Ukraine, sondern aus der Beobachtung der russischen Einmischung in Deutschland. Denn für Putin ging es von Anfang an auch um die Schwächung der EU und der NATO. Und Deutschland war das Nr.1-Ziel seiner hybriden Kriegsführung mit einem Netz aus Spionen, „alternativen“ Medien und willigen Helfern, die freiwillig oder gut bezahlt die Narrative der russischen Propaganda in Deutschland bedienten. Die meisten dieser Leute, die sich selbst im Jahr 2025 nicht zu schade sind, das Lied vom Moskauer Friedenswillen zu singen, kamen auch schon in „Die Moskau-Connection“ von Reinhard Bingener und Markus Wehner vor.

Es waren hochrangige Politiker, die auch jahrelang alles dafür taten, dass die Erdgasleitungen Nordstream I und II gebaut wurden und Deutschland bis 2022 in eine bedrohliche Abhängigkeit von russischem Gas geriet. Es waren aber auch Wirtschaftsvertreter, die in deutschen Medien immer wieder das Postulat von Russland als unersetzlichem Energielieferanten verkündeten.

Aber bei diesem Netzwerk der Moskau-Versteher belässt es die Autorin nicht. Denn längst haben auch mindestens zwei Parteien die Sicht des Kremls auf die Welt zu ihrer Parteipolitik gemacht. Im Kapitel zur „Alternative für Deutschland – Putins willige Helfer“ schildert Spahn, wie AfD-Abgeordnete ohne Skrupel nicht nur russische Propaganda übernehmen, sondern auch Bilder malen von einem Deutschland, das mit Russland paktieren soll.

Was nicht wirklich funktionieren würde, würde nicht gleichzeitig ein ganzes Netzwerk von Medien dafür sorgen, dass Kreml-Narrative in Deutschland als „Wahrheit“ unters Volk kommen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Sender wie RT Deutsch und Sputnik, obwohl RT eigentlich in Deutschland nicht senden darf. Aber darauf pfeifen die Macher, die trotz Verbot ihre Redaktion in Berlin unterhalten und einfach im Internet weiter senden und damit Millionen Follower erreichen, die das dort Berichtete als die „Wahrheit“ begreifen, die die sogenannten „Mainstream“-Medien verschweigen sollen. Womit man bei einem der vielen Narrative wäre, in denen rechtspopulistische Parteien im Grunde dieselbe Sprache führen wie die vom Kreml finanzierten Sender.

Russische Spiegelwelten

Denn eins weiß man in Moskau: Dass man Behauptungen nur oft genug und in immer neuer Konsequenz erzählen muss, dann glauben das Millionen Menschen. Und zu diesen Behauptungen gehört das geschürte Misstrauen in die „Mainstream“-Medien genauso wie das in die politischen Eliten. Jede Krise wird ausgenutzt, um den Zuschauern immer mehr das Bild von einem Europa im Niedergang zu zeigen – und die „gelenkte Demokratie“ nach Moskauer Vorbild als Ideal eine besser verwalteten Gesellschaft zu verkaufen.

Obwohl nichts im heutigen Russland belegt, dass dieses Land auch nur im Ansatz gut verwaltet wäre. Bilder entstehen im Kopf. Und je beharrlicher man Behauptungen in die Köpfe trichtert, umso mehr Menschen glauben, dass es tatsächlich so ist.

Und Spahn konnte sehr genau beobachten, wie die von Moskau finanzierten „alternativen“ Medien in Deutschland just mit dem Jahr 2014 auf- und ausgebaut wurden und wie die Verbreitung russischer Narrative schon im Vorfeld der Krim-Invasion befeuert wurde. Motto: Russland konnte gar nicht anders. Und außerdem sei die NATO an allem schuld.

Denn diese Narrative funktionierten natürlich, weil sie einen Teil der Realität spiegeln – nur halt spiegelverkehrt, auf den Kopf gestellt. Und es funktioniert immer wieder. Denn dahinter steckt jahrzehntelange Erfahrung in Diversion und Propaganda. Autoritäre Regime haben gelernt, wie sie ihre Sicht auf die Welt verkaufen können. Und wie sie die Medienfreiheit im Westen schamlos dafür ausnutzen können, ihre Narrative als „Wahrheit“ unters Volk zu bringen.

„Der Anspruch des Senders, eine unabhängige Alternative zu sein, kommt in bestimmten Kreisen sehr gut an“, schreibt Susanne Spahn in Bezug auf RT DE. „Die Macher von RT sind sehr geschickt darin, Probleme, mit denen sich die Bevölkerung polarisieren lässt, aufzugreifen und zu verstärken.“

„Alternative“ Spiegelwelten

Und RT ist eben nicht allein. Spahn beschreibt ein ganzes Netzwerk solcher „alternativer“ Medien, das im Internet im Grunde unbehelligt agieren kann und das seine Schlagkraft dadurch verstärkt, dass die Protagonisten der einzelnen Medien auch immer wieder auf die anderen Portale verweisen, selbst für diese schreiben oder dort als Referenzpartner für das interviewt werden, was in Deutschland passiert.

Womit für Menschen, die auf diese Kanäle stoßen, der Eindruck verstärkt wird, dass sie es hier tatsächlich mit einer alternativen Medienberichterstattung zu tun haben, die über Dinge berichtet, über die die „Mainstream“-Medien nicht berichten dürfen. Auch das ein Narrativ, das den Nutzern immer wieder offeriert wird. So schafft man Gemunkel und Geraune, aber auch eine eigene Sicht auf die Welt, in der dann die Kreml-Narrative als eigentliche „Wahrheit“ immer wieder offeriert werden.

„Das ist die gemeinsame Linie, die die Alternativen mit RT DE verbindet: Sie präsentieren sich als Opfer von Regierung und Zensur sowie als unerschrockene Kämpfer für die Wahrheit, die allen Widerständen trotzen. Manchmal frage ich mich, warum diese Akteure nicht nach Russland ziehen und dem angeblichen Unterdrückerstaat Deutschland den Rücken kehren“, schreibt Spahn.

„Vielleicht ist ihnen schon klar, dass sie hier Freiheiten genießen, die in Russland für unabhängige Journalisten nicht bestehen, die dort als ‚ausländische Agenten‘ diffamiert werden. Es ist leicht, ein Putin-Freund zu sein, wenn man nicht seine Knute spüren muss.“

Und da gehen dann Verschwörungskanäle genauso eine intensive Kooperation mit den vom Kreml finanzierten Medien ein wie rechtsradikale Medien wie Compact, die dann ebenso ungehemmt den Westen zum Kriegstreiber stilisieren und die Behauptung vom armen Russland verbreiten, das nur aus Notwehr über die Ukraine hergefallen ist.

Autoritäre Verwandtschaften

Letztlich zeigt Susanne Spahn mit ihrem Buch, wie russische Staatsmedien ohne Skrupel alle Register zur Desinformation in Deutschland nutzen und damit direkten Einfluss auf Stimmung, Wahlverhalten und Politik nehmen. Natürlich aus guten Gründen, denn damit werden Zweifel gesät, werden falsche Feindbilder inszeniert und werden auch Ängste geschürt.

Nämlich immer dann, wen es um Unterstützung für die Ukraine geht. Menschen, denen man Angst gemacht hat, zögern, halten militärische Hilfe zurück (wie es auch Olaf Scholz als Bundeskanzler getan hat) und sind nur zu bereit, auch noch dem faulsten Friedensangebot hinterher zu laufen und den Tönen aus Moskau zu glauben, man wolle doch Frieden, nur der Westen, die NATO, die Ukraine wollten das nicht.

Es ist in dieser Form eine kompakte Darstellung, wie intensiv Moskau über ein ganzes Netzwerk von eigenen und „alternativen“ Medien in Deutschland Stimmung macht, seine Sicht auf den Krieg (der nicht Krieg genannt werden soll) verbreitet und vor allem populistische Parteien und Politiker stärkt, die dieselbe autoritäre Sicht auf die Welt haben und die Demokratie verachten.

Was natürlich die ganzen aus Umfragen bekannten Effekte von Misstrauen, Verunsicherung und Angst ergibt, die in den letzten Wahlen eine immer größere Rolle spielten. Und Susanne Spahn wundert sich wohl berechtigt darüber, dass deutsche Behörden diese oft unverhüllte Kriegspropaganda dulden und ihre Möglichkeiten nicht nutzen, diese Kanäle zu unterbinden.

Oder es wie Schweden machen: Deutlich und unübersehbar klarzumachen, „wer als Quelle hinter einer Nachricht steht“, Falschnachrichten kenntlich zu machen und die Bevölkerung besser zu informieren. Und zwar umfassend. Stichwort: Medienkompetenz.

Stattdessen wird geduldet, weggeschaut, so getan, als müsse man sich diese systematische Desinformation gefallen lassen, weil das irgendwie unter Presse- und Meinungsfreiheit fällt.

Das tut es aber nicht.

Kein Grund zur Verklärung

Dafür ist es integraler Bestandteil der hybriden Kriegsführung Moskaus gegen den Westen und die Demokratie. Und rechstpopulistische Parteien spielen das Spiel nur zu gern mit, weil sie dasselbe Ziel haben. „Die rechten Kanäle sehen in Putin die Speerspitze gegen die Demokratie und den Westen, getreu dem Motto ‚Kreml-Freunde aller Länder, vereinigt euch!‘ agieren sie international und sind sehr gut in Russlands Netzwerk integriert“, schreibt Spahn quasi als Fazit ihrer Netzwerk-Erkundung. „Russland führt ihn schon längst wieder, den Kampf der Systeme, ob es uns gefällt oder nicht.“

Und zwar mit allen Mitteln – auch denen systematischer Desinformation. Mit willigen Helfern bis in die hohe Politik hinein, die auch heute noch – nach drei Jahren blutigem Krieg in der Ukraine – das Bild vom Kreml-Herrscher malen, mit dem man doch reden könne und der gar nicht anders konnte, als mit seiner Armee in die Ukraine einzumarschieren. Die auch das heutige Putin-Russland immerfort verklären.

Und damit auch suggerieren, es wäre der Westen gewesen, der sich gegen Putin verschworen habe. Das Buch ist eine Mahnung, die Wirkung dieser geballten medialen Einmischung, mit der Moskau direkt in Deutschland Einfluss auf Stimmungslage und Politik nimmt, endlich ernst zu nehmen.

Ob die Botschaft ankommt? Ein Anfang wäre gemacht, wenn die wichtigsten Russland-Narrative endlich nicht mehr wiederholt würden, als wären sie in Stein gemeißelt: Von „Der Westen versteht Russland nicht“ bis zur immer neu vorgebrachten Behauptung „Alle Probleme lassen sich im Dialog lösen“.

Von „Der Kreml sorgt für Stabilität und Ordnung“ bis „Die autoritäre Führung bringt die Demokratie“. Auch diese Narrative untersucht Susanne Spahn aus eigener Erfahrung, vergleicht sie mit der tatsächlichen Kreml-Politik und ihren Ergebnissen. Auch das Narrativ vom „unverständlichen Russland“ gehört dazu, das ebenso gern benutzt wird, um die tatsächliche Politik Wladimir Putins zu entschuldigen.

Aber für diese Verklärung gibt es keinen Grund. Dafür jede Menge Gründe, tatsächlich Grenzen zu setzen für entgrenzte russische Propaganda, die sich jeden Tag ungehemmt in die deutsche Politik einmischt und falsche Narrative in die Köpfe pflanzt.

Susanne Spahn „Über sieben Brücken …“ Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt 2024, 24 Euro.

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