Wenn sich Historiker mal einen Spaß erlauben, dann sieht er so aus. Dann erzählen sie Geschichte einmal gegen den Strich und räumen mit Schönmalereien auf. Die gibt es zur Genüge in Bezug auf das antike Griechenland und das Römische Reich. Athen und Rom gelten als die großen Vorbilder einer frühen Demokratie. Was ja auch stimmt. Aber das schließt eben leider nicht aus, dass diese Demokratien Gewalt und Krieg trotzdem als normale Instrumente ihrer Politik betrachteten. Aber eigentlich geht ja alles mit Homer los.
Jenem Homer, der vielleicht als reale Person gar nicht greifbar ist, dem aber sowohl die „Illias“ als auch die „Odyssee“ zugeschrieben werden. Und weil das ein richtig schöner Einstieg ist in 1.500 Jahre blutige Geschichte, geht’s auch in diesem Buch so los. Wer sich in der Schule noch mit diesen beiden Epen beschäftigte, dem wird das alles nicht neu sein. Gerade die „Illias“ ist im Grund eine einzige Kette blutiger Szenen, in denen sich die antiken Helden benehmen wie eben antike Helden.
Satter Stoff für satte Hollywoodverfilmungen. Da vergisst man glatt, wie viel Dummheit hinter der Geschichte und dem martialischen Handeln der „Helden“ von Hektor bis Achilles steckt. Vom „listigen“ Odysseus ganz zu schweigen. Und natürlich fragt man sich: Welche Wirkung hatten diese Epen eigentlich zu Zeit des sagenhaften Homer?
Der müsste – wenn es ihn in persona tatsächlich gab – irgendwann um 850 v.u.Z. gelebt haben. Und die beiden Autotren haben natürlich recht, wenn sie gerade seine beide blutigen Epen an den Anfang setzen, wenn sie die Art der alten Griechen sichtbar machen wollen, über die Rechtmäßigkeit von Krieg und Gewalt nachzudenken, die beide auch die Blütezeit Athens begleiteten.
Und zwar in ihren demokratischen Epochen, als auch in den Zeiten, als mal wieder Tyrannen die athenische Politik bestimmten. Und nicht nur die. Nach Homer geht es nämlich ans Eingemachte, begegnet man all den griechischen Berühmtheiten, die es tatsächlich gab und die auch heute gern zitiert oder benannt werden, wenn es um antike Vorbilder geht.
Frieden auf römische Art
Im Grunde müssen Sommer und von der Lahr gar keinen großen Spagat machen, um die „verdammt blutige Geschichte der Antike“ zu erzählen. Es ist eher ein lustvoller Kunstgriff, mit dem sie die vielen Kriege, Schlachten, Tyranneien und Metzeleien komprimieren und lustvoll erzählen, die sowohl die Geschichte der griechischen Stadtstaaten als auch den Aufstieg des kleinen Rom zur Weltmacht begleiteten.
Im Grunde ist alles präsent und war auch nie durch Sonntagsmärchen über eine friedliche Antike verstellt. Die drei Punischen Kriege sollten genau so Unterrichtsstoff in der Schule sein wie die Persischen Kriege, Cäsars blutige Gemetzel in Gallien und die mörderischen Praktiken diverser römische Kaiser.
Nur dass die beiden Autoen geradezu eine Freude daran haben, die immer wieder präsente Gewalt zu konzentrieren, so zu konzentrieren, dass man ein Gefühl dafür bekommt, wie sehr auch die tatsächlichen Errungenschaften der Antike immer von blutigen Ereignissen umrahmt waren. Und das auch noch mitten in der oft zitierten Pax Romana, einer Zeit, in der es mal ein paar Aufstände, Kriege und Bürgerkriege weniger gab. Bevor es wieder richtig losging, mit diversen Vier-Kaiser-Jahren und den scheppernden Schlachten römischer Heere gegen römische Heere.
Wer wirklich einigermaßen in der antiken Geschichte zu Hause ist, weiß, wie viele Kriege und Schlachten es gab, wie heldenhaften Athener genauso hingemetzelt auf den Schlachtfeldern lagen wie Perser, Römer, Etrusker, Makedonier und die Bewohner des leidgeprtüften Karthago, das römische Truppen am Ende dem Erdboden gleich machten, nachdem Marcus Porcius Cato im römischen Senat gebetsmühlenartig immer wieder erklärt hatte, er sei der Überzeugung, dass Karthago zerstört werden müsse.
So, wie Falken in der Demokratie eben immer wieder zündeln und den Boden dafür bereiten, dass man die Weltmachtkonkurrenz im westlichen Mittelmeer ausschalten müsse. Wie gesagt: Das alles ist nicht neu. Jeder weiß es. Und trotzdem stehen Griechenland und Rom als Vorbilder für die heutigen westlichen Demokratien da. Was ebenso berechtigt ist.
Auch weil es die Zweischneidigkeit der europäischen Geschichte und des langen Weges zu einer funktionierenden Demokratie beschreibt. Wobei Rom ja das legendäre Beispiel ist, wie die Demokratie zum Opfer gewaltbereiter und ruhmsüchtiger Männer werden kann, die beim Erreichen ihrer Ziele über Leichen gehen.
Die Lust an der Tyrannei
So gesehen sind die gar nicht so versteckten Warnungen gar nicht so unwichtig, die gerade an der Geschichte Athens deutlich werden, wo es oft genug die wahlberechtigten Bürger auf dem Forum waren, die mit Begeisterung den nächsten Krieg in Szene setzten und die wehrfähigen Männer der Stadt in die Schlacht schickten.
Es gab sie auch damals schon, die begabten Redner, die die Leute zu mutigen und legendären Heldentaten anstachelten und Entwicklungen in Gang setzen, die sie selbst nicht überschauten. Und immer wieder war auch ein Typ darunter, der meinte, dass Alleinherrschaft doch das schönere Mittel der Wahl wäre, alle anderen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen (oder bei Nacht heimlich abmurksen zu lassen).
Dass Sommer und von der Lahr herrlich deftige Urteile über die Lust diverser Griechen an der Tyrannei mit einstreuen in den Text, gehört natürlich zum Spaß, den sie sich hier gemacht haben. Die Karten auf den Umschlagseiten des Buches bilden diese Antike dann auch sehr schön mit lauter Totenköpfen ab, die vor allem für die Schlachten stehen, die die Griechen, Römer, Perser und Punier geschlagen haben.
Mit wechselnden Bündnissen, wechselnden Freundschaften, jeder Menge Versager und vor allem vielen tausenden Toten, die dann zum Fraß für die Raben wurden, während zumindest die römischen Feldherren dann in Rom ihre Triumphzüge feierten.
Oder so formuliert: Gewalt galt in der Antike als ein durchaus legitimes Mittel, um seine Spezialinteressen durchzusetzen, Politik zu machen, politische Gegner kaltzustellen und den Bürgern daheim zu zeigen, wer der bessere Kämpfer ist. Und erst in der Zeit der Pax Romana wird deutlicher, dass gerade diese 1.500 Jahre auch eine Zeit waren, in der die klügeren unter den Menschen versuchten, friedlichere Formen der Konfliktableitung zu entwickeln.
Denn eins ist einem ja schon im Homer-Kapitel klar: Hinter all den schillernden Mythen um die Helden von Troja steckt nun einmal auch das zeitgenössische Denken über Gewalt als legitimes Mittel der Politik.
Und damit auch ein lange Zeit die Geschichtswissenschaft beherrschendes Muster, Geschichte anhand von Helden, Kriegsherren und gewonnenen Schlachten zu erzählen. Und dabei das friedliche Wirken der unkriegerischen Zeitgenossen regelrecht auszublenden.
Der falsche Glanz der Helden
Geschichte – auch die antike Geschichte – erschien in historischen Übersichten fast nur als eine Geschichte der Helden, Könige, Tyrannen und Schlachtenlenker. So gesehen knüpfen Sommer und von der Lahr an eine frühere Epoche der Geschichtsschreibung an, tun das aber mit Witz und guter Laune, nehmen den Kriegern und Helden ihren Nimbus, zeigen die ganze Lächerlichkeit des Blutrausches und eben auch die Gefährdung der frühen Republiken durch ein Denken, das heute wieder fröhlich die Weltbühne zu bestimmen scheint.
Als würden wir nie genug bekommen von prahlenden Tyrannen und „unerschrockenen“ Helden, denen es schon am Beginn aller Gemetzel völlig egal ist, wie viele Leute dabei ihr Leben lassen. Hauptsache, man bekommt hinterher eine heldenhafte Inschrift, Lorbeeren und einen Triumphzug, bei dem einem die siegestrunkene Menge zujubelt und zu Füßen liegt.
Dass die Größenwahnsinnigen dabei auch schnell mal ganze Reiche verspielten, gehört zu den Anekdoten der Weltgeschichte. Aber nachdem sich die beiden Autoren emsig durch die blutigen Gemetzel von 1.000 Jahren gearbeitet haben und so beiläufig ihre Meinung zu den oft durchgeknallten Akteuren kund getan haben (und auch der eroberungsbesessene Alexander von Makedonien bekommt sein wohlverdientes Fett weg), merken sie zum Schluss doch noch etwas an, was bei all diesem Waffenklirren beinahe untergeht.
Denn zum einen betont der Blick auf die blutige Geschichte natürlich auch, dass die Erzähler dieser Geschichten eine gewisse Sensationsgier beim Publikum befriedigten. Gemetzel, Morde und brennende Städte sind natürlich viel aufregender und spannender als Geschichten von friedlichen Leuten, die einfach die Ernte einbringen, Städte bauen oder versuchen (wie Sokrates), den Menschen auf dem Markt ein bisschen logisches Denken beizubringen.
Die beiden geben es am Ende auch zu: „Die düster-faszinierende, die blutige Seite der Antike sollte aber nicht den Blick darauf verstellen, dass die Griechen und Römer ziemlich gut darin waren, die Gesellschaft so zu organisieren, dass nicht andauernd Mord und Totschlag herrschten.“ An der Stelle verweisen sie auch darauf, dass Rom immerhin 700 Jahre lang eine Weltmacht war und die attische Demokratie 200 Jahre Bestand hatte.
Antiker Populismus
Eher erinnern auch und gerade die Geschichten vom Ende der jeweiligen Demokratie daran, dass der Blutdurst und die Lust am Krieg stets aus der Mitte der damaligen Gesellschaft kamen, die sowohl in Rom als auch in Griechenland eine Demokratie der Elite war. Der Populismus ist keine Erfindung unserer Zeit, sondern steckt als Gefahr von Anfang an in der Demokratie, die nun einmal niemanden ausschließt vom Reden auf der Agora. Auch die Scharfmacher nicht. Und sei es ein wohlhabender Fleischermeister, der meint, den Schwächlingen aus Sparta müsste man es mal so richtig zeigen.
Wer die Geschichte der Antike schon kennt, wird seinen Spaß haben daran, wie die beiden Autoren berühmte Feldherren, Tyrannen, Diktatoren, Könige und Konsuln durch den Kakao ziehen, das Lächerliche und Aufgeblasene in ihrem Auftreten zeigen und genüsslich ihr Versagen schildern – ohne zu vergessen, die blutigen Folgen ihres Treibens zu zeigen. Dabei übertreiben sie lustvoll. Vielleicht auch als innige Abrechnung mit einstigen deprimierenden Schulstunden, in denen sie noch Lehrern begegnet sind, die den Schülern das blutige Heroentum der Antike eingetrichtert haben.
Unglücklich das Land …
Eine Frage bleibt trotzdem offen, die sie da stellt: „Und wie konnte humanistische Bildung noch bis vor Kurzem das ‚klassische Altertum‘ zum Ideal verklären?“
Eine schöne Frage. Die sich mit Blick auf die Gemetzel und Bürgerkriege allein nicht beantworten lässt. Denn die Antike war eben nicht nur „eine einzige Aneinanderreihung von Kriegen, Bürgerkriegen, Massakern, Verschwörungen und sonstigen brutalstmöglichen Arten, Menschen vom Leben zum Tode zu befördern“.
Sie war auch ein Experimentallabor für moderne, gezähmte Politik. Für neue Menschenbilder und die Schaffung einer Stabilität, die sich oft in beeindruckenden Infrastrukturen zeigte wie den römischen Aquädukten und Straßen.
Aber natürlich erwähnen das die beiden erst ganz zum Schluss, nachdem man sich mit den ganzen legendären Schlachten und Niederlagen beschäftigt hat, mit all den berühmten Königen, Diktatoren und Helden, die sich mit Gewalt in die Geschichte einschrieben. Und es ist gar nicht so undenkbar, dass auch ein paar griechische Denker so ähnliche Sprüche auf der Zunge hatten, wie den Brecht-Spruch, den die beiden Autoren über das Kapitel zu Marsthon, Thermopylen, Salamis und Plataiai gesetzt haben: „Unglücklich das Land, das Helden nötig hat“.
Aber wie weit kommt man damit, wenn die Leute begeistern dem Homer lauschen, der ihnen mit farbigen Bildern das schöne Gemetzel vor Troja ans Herz legt? Will den da nicht jeder wie Hektor und Achill sein? Das hat ja, wie wir wissen, bis in die jüngere Gegenwart funktioniert. So mancher Soldat im Ersten Weltkrieg hatte seinen „Homer“ im Tornister.
Das ist die Zeit der „humanistischen Bildung“, die Sommer und von der Lahr im Grunde im Visier haben. Sodass ihr Buch eher eine Abrechnung mit einem sehr einseitigen Bildungsideal ist. Und ein fröhliches Plädoyer dafür, nicht alles zu glauben, was in alten Heldengesängen geschrieben steht.
Michael Sommer, Stefan von Lahr „Die verdammt blutige Geschichte der Antike“ C. H. Beck, München 2025, 26 Euro.
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