Im November 2024 wurden in Sachsen acht mutmaßliche Mitglieder einer rechtsterroristischen Vereinigung festgenommen, die sich „Sächsische Separatisten“ nannte und denen die Staatsanwaltschaft vorwarf, „sich auf einen nicht genau bestimmten ‘Tag X’ vorzubereiten, an dem die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zusammenbrechen würde.“ Es ist nicht die einzige Gruppe dieser Art. Doch in diesem Fall führten die Verbindungen auch nach Österreich, wo ein Forsthaus am Fuß der Burgruine Kronsegg zum Rückzugsort werden sollte für die emsig trainierenden Staatsumstürzer.
Und weil man dabei auch auf altbekannte Namen aus der rechten Szene in Österreich trifft, hat sich der Jurist und Journalist Gernot Rohrhofer des Themas einmal angenommen und schildert in diesem Buch, was über die „Sächsischen Separatisten“ bislang bekannt geworden ist. Und was über den Rückzugsort im alten Forsthaus in Niederösterreich bekannt ist, wo die Polizei bei einer Durchsuchung 30 Kilogramm Munition und diverse Waffen sicherstellte, auch wenn es sich dabei – anders als fast 40 Jahre zuvor – „nur“ um Airsoft-Waffen handelte.
Im Zentrum von Rohrhofers Geschichte steht die Familie Schimanek, die das Forsthaus unter der Burg Kronsegg von der Gemeinde Langenlois gemietet hat. 1986 war es eine den Wald verunsichernde Wehrsportgruppe, für die seinerzeit Hans Jörg Schimanek jun. verantwortlich war, der Vater von Jörg und Jörn Schimanek, die im Zusammenhang mit der Gruppe „Sächsische Separatisten“ verhaftet wurden. Bei Brandis hat die Gruppe ganz offensichtlich wie einst der Senior im Wald bei Langenlois den gewaltsamen Umsturz geübt.
Die alten Träume der Rechtsradikalen
Man darf sich wie in längst vergangene Kapiteln der neueren deutschen Geschichte zurückversetzt fühlen. Als hätte sich für manche Leute überhaupt nichts geändert. Sie träumen immer noch vom Umsturz, von der Abschaffung des „Systems“ und der Errichtung einer Diktatur. Und sie spielen dabei immer noch die selben Spiele, glauben, mit einem Häuflein gut bewaffneter Radikaler den Zusammenbruch auslösen zu können. Und dabei vernetzen sich die Rechtsradikalen problemlos über Ländergrenzen hinweg.
Und sie finden neue Kontakte, denn bei der Gruppe „Sächsische Separatisten“ fiel auf, dass sie auch beste Beziehungen zu AfD-Kadern hatte. Zumindest zu einem: dem Grimmaer Stadtrat Kurt Hättasch, dem auch ein Waldgrundstück gehört, in dem die Gruppe ihre kriegerische Ertüchtigung übte. Dass das in Sachsen kein Zufall ist, weiß Rohrhofer nur zu gut. Er hat auch die Leipziger Autoritarismus-Studien gelesen, die zeigen, wie stark sich die Ansichten von vielen AfD-Anhängern mit denen radikalisierter Rechtsextremer decken. Die Grenzen sind längst fließend. Das zeigen erst recht Rohrhofers Gespräche sowohl in Sachsen als auch in Niederösterreich: Die Ansichten dieser radikalisierten Mitbürger werden toleriert oder gar ignoriert.
Selbst die Nachbarn der Schimaneks erzählen lieber das Märchen von einer maskierten Truppe, die da in den frühen Morgenstunden die ach so friedlichen Schimaneks aus dem Schlaf gerissen hätte und als Polizei nicht erkennbar gewesen sein soll. Ein Märchen, das einem mittlerweile vertraut ist auch aus der Reichsbürgerszene. Man verharmlost die Gewaltphantasien der Rechtsextremen, übernimmt lieber das ganze Gerede über den übergriffigen Staat. Und wenn dann bekennende Rechtsextreme auch noch in der AfD Politik machen, verschwimmen die Grenzen endgültig.
„In dieser Gemengelage hat die AfD leichtes Spiel“, zitiert Rohrhofer den Sozialarbeiter Tobias Burdukat. „Sie muss so gut wie nichts machen und macht auch nichts. Es genügt, die Frustration dieser Menschen zu bedienen.“
Die alten Muster der Rechtsradikalen
Da Rohrhofer mit mehreren Personen gesprochen hat, die diese Entwicklung im Leipziger Umland beobachtet haben, wird etwas deutlicher, wie der Aufstieg der Rechtsaußen-Partei in Sachsen passieren konnte. Denn sie holt die Menschen da ab, wo diese einfache Lösungen erwarten. Die natürlich niemand geben kann. Versprechen kann man ja alles. Und genau das tut die AfD. Und weil die Leute auch gern noch Schuldige haben möchten für ihr Gefühl, dass irgendetwas nicht richtig läuft, liefert die AfD auch gleich noch die Schuldigen mit. Und das sind eben nicht nur die Migranten, Andersfarbigen, Andersgläubigen oder Andersliebenden. Sie befeuert auch die Verachtung gegen die anderen Parteien, gegen Medien und Staat. Und auf einmal werden die alten Muster sichtbar, mit denen auch schon die Vätergeneration der heutigen Neonazis agiert und argumentiert hat.
Denn nicht nur das Wiederaufkommen der „Wehrsportgruppen”, die sich zum Waffentraining in die Wälder und auf verlassene Flugplätze begeben, ist etwas Uraltes, mit dem schon die Neonazis der 1980er Jahre Schlagzeilen gemacht haben. Auch das Denken dahinter ist so alt, auch wenn es durch neuere rechte Denkfabriken frisch verkleidet und neu verpackt wurde. Es sind dieselben gewalttätigen Umsturzphantasien, mit denen man junge Männer zu Kriegsspielen in die Wälder lockt und heute in den Sozialen Medien Stimmung macht – gegen die Demokratie und ihre schwierigen Aushandlungsprozesse. Und für die Vision eines homogenen „Vaterlandes“ mit einem „starken Führer“ an der Spitze.
Wie sehr sich das ähnelt, wird deutlich, wenn Rohrhofer die Leser mitnimmt in die Heimat der Schimaneks, nach Langenlois, wo man nach den Vorfällen in den 1980er Jahren schon gehofft hatte, dass der rechtsradikale Spuk unter der Burg Kronsegg endlich vorbei wäre. Doch ganz offensichtlich haben sich die Ansichten des Vaters auch auf die Söhne vererbt. Was da in den 1980er Jahren geschah, liest sich dann geradezu wie eine Blaupause für das, was 2024 den Staatsschutz in Sachsen auf den Plan rief.
Rechtsradikale Netzwerker
In Konturen wird deutlich, wie die engen Verbindungen österreichischer und deutscher Rechtsradikaler in Sachsen zusammenkamen. Denn diese empfanden Ostdeutschland damals geradezu als ein Stück terra incognita, auf dem man nun – ohne von Polizei und Justiz gehindert zu werden – systematisch rechtsradikale Strukturen aufbauen konnte. Strukturen, die den Boden dafür bereiteten, dass sich rechtsextreme Parteien tief in der sächsischen Provinz verankern konnten.
Das heutige Gezeter gegen die „Altparteien“ kommt direkt aus dieser rechtsextremen Soße, ist längst schon Jahrzehnte alt, klingt aber völlig anders, wenn auch Leute diese Wendungen im Mund führen, die selbst eigentlich mit gewalttätigen Umsturzphantasien nichts am Hut haben. Die aber auch nicht widersprechen. Denn das rechtsradikale Gehabe sieht nicht nur martialisch aus, es soll tatsächlich einschüchtern und Menschen abschrecken, die friedlich gegen die Umtriebe der Rechten protestieren möchten.
Die tatsächlichen Krisen der Zeit kommen noch obendrauf und spielen den Umsturzphantasien der Rechten in die Hände. Aber Rohrhofer kann auch etwas feststellen, was man einen späten Lernprozess der Strafverfolgungsbehörden nennen kann: „Mit dem Fall der Sächsische Separatisten wiederholt sich diese Geschichte – auch sie sollen einen Umsturz und eine gewaltsame Übernahme der Macht geplant haben. Handelten die Behörden damals zu zögerlich, stehen diese heute vor dem Problem, dass die Radikalisierung von jungen Menschen nicht mehr analog, sondern online passiert.“ Und zwar mit Sprachbildern, die gerade Menschen anfixen, die in ihrer eigenen Umgebung kein Korrektiv mehr haben. Oder gar überhaupt nur noch in ihrer Internet-Bubble unterwegs sind.
Gewalt beginnt mit der Sprache
„Die Sprache ist einfach und setzt sich rasch in unseren Köpfen fest“, stellt Rohrhofer fest. „Begriffe, die rechte und rechtsextreme Politiker verwenden, werden deshalb nicht nur als authentisch und volksnah empfunden, sondern finden unbemerkt Eingang in unsere Alltagssprache …“ Und wenn man diese Formeln dann nicht mehr hinterfragt, sondern für Tatsachen hält, ist der Schritt nicht weit, die radikalisierten Politiker für ganz normale Vertreter von Volkes Meinung zu halten. Oder Festnahmeaktionen der Polizei gegen rechte Akteure für übergriffig. Sind doch alles nur brave Nachbarn, die solche martialischen Übergriffe nicht verdient haben.
Auch das Thema streift Rohrhofer: Wie schnell das Vokabular der Rechtsradikalen vom auftrumpfenden Drohgebaren in das Opferlamentieren kippt, wenn sie wegen ihrer Umsturzpläne verhaftet werden. Auf einmal sind es lauter Opferlämmer, die im Wald nur Sport getrieben haben. Natürlich in der Gruppe und in uniformähnlicher Kleidung.
Und Rohrhofer weiß nur zu gut, wie das seit Jahrzehnten etablierte Vokabular der Rechtsextremen über einige wohlbekannte Parteien immerfort in die politische Diskussion einfließt und damit so etwas wie eine Gewöhnung erfährt. Es ist wie mit dem Frosch, der im Topf mit Wasser langsam auf Temperatur gebracht wird, ohne zu merken, dass er am Ende gekocht wird. Rohrhofer: „Dass gewisse Parteien sowohl in Deutschland als auch in Österreich ausgrenzende und beleidigende Formulierungen zu ihrer Standardsprache erhoben haben und wissentlich Unwahrheiten wie jene vom ‘tiefen Staat’ verbreiten, um die ohnehin verunsicherte Bevölkerung weiter gegeneinander aufzuhetzen, macht die Sache nicht einfacher. Gewalt beginnt bei der Sprache. Etwas mehr Anstand, Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit würden der Politik wieder guttun.“
Ob sich die Vorwürfe gegen die „Sächsischen Separatisten“ auch vor Gericht bestätigen, bleibt abzuwarten. Noch sitzen die Beteiligten in Untersuchungshaft, was für Rohrhofer schon ein Hinweis darauf ist, dass sehr erhebliche Gründe vorliegen, die kleine „Wehrsportgruppe“ ganz und gar nicht als so harmlos erscheinen zu lassen, wie es einige der Akteure gern hätten. Auch nicht vor dem Hintergrund, dass in Sachsen in den letzten Jahren mehrere solcher gewaltbereiten Gruppen ausgehoben wurden. Gegen die „Sächsischen Separatisten“ jedenfalls hat der Generalbundesanwalt im September Anklage u. a. wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung erhoben.
Gernot Rohrhofer „Der ‘Tag X’. Die Umsturzfantasien der Rechten“, Seifert Verlag, Wien 2025, 22 Euro
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