Da werden jetzt schon etliche Zwenkauer mit Lupe über diesem dicken Band sitzen und nach ihrem eigenen Wohnhaus suchen. Und dem ihrer Eltern und Großeltern. Jeder neue Postkarten-Band von Pro Leipzig ist eine Zeitreise – zurück in die Jahre um 1900, als Ansichtskarten noch ein beliebtes Kommunikationsmittel waren. Ein schönes buntes Überraschungsmoment im Briefkasten, manchmal direkt vor den Toren der Stadt abgestempelt, Ergebnis eines gelungenen Sonntagsausflugs in die Leipziger Umgebung. Nun hat auch Zwenkau so ein Prachtexemplar bekommen.

Mit über 500 Ansichtskarten, die meisten natürlich aus der Hochzeit der kolorierten Ansichtskarte um 1900. Einer Zeit, als auch die Verleger dieser kunstvoll arrangierten Porträts der Stadt, der Straßen und Plätze noch nicht ahnten, wie sehr ihre Ansichten einen Zeitenwechsel abbilden würden.

Auch wenn sich am Horizont schon die dunklen Wolken einer Veränderung abzeichneten, die auch Zwenkau und seine Nachbargemeinden nicht verschonen würde. Der Bergbau würde nicht nur die Entwicklung der Stadt im Leipziger Südraum beeinflussen, er würde auch das Umland verändern und ein beliebtes Leipziger Ausflugsgebiet vom Erdboden verschwinden lassen – die Harth.

Ein Waldstück, das bis zu seiner Komplettrodung ab den 1950er Jahren eines der beliebtesten Frischluftreviere der Leipziger war.

Ein ganzes Kapitel mit Ansichtskarten erzählt vno diesem verschwundenen Stück Grün mit seinen beliebten Ausflugsgaststätten Harthschlößchen und Harth-Café. Waldpartien und die Picknick-Freude der Leipziger fanden dereinst auch ins Bild. Genauso wie das Bahnwärterhäuschen der Eisenbahnstrecke Gaschwitz-Zwenkau-Meuselwitz, die ebenfalls Opfer des Braunkohletagebaus wurde.

Genauso wie die einst reiche und ebenso bei Ausflüglern beliebte Elsteraue, in der die Weiße Elster um 1900 noch ungehindert mäanderte, bis sie verlegt und in Beton gepackt wurde, wo Ziegeleien ihren Rohstoff fanden und die Zwenkauer ihr Flussbadevergnügen fanden, bis die Kohle- und Chemieindustrie dafür sorgten, dass man in der schäumenden Brühe nicht mehr baden konnte.

Im Schatten des Bergbaus

Man bekommt eben nicht nur die vielen eindrucksvollen Ansichtskarten zu sehen, sondern – in längeren und kürzeren Begleittexten – auch den historischen Hintergrund erläutert, der hinter einzelnen Gebäuden, Straßen und eben auch verschwundenen Orten steckt.

Sodass man auch – ebenso mit Ansichtskarten bebildert – die Entstehung des neuen Rathauses miterlebt, den Bau der Bürgerschule und der Walhalla-Lichtspiele. Und da gerade in dieser Zeit kräftig gebaut wurde und Zwenkau zur kleinen Industriestadt heranwuchs, zeigen gerade die Straßenporträts auch, wie flott damals ganze Straßenzeilen hochgezogen wurden, um die Industriearbeiter, die meist im nahen Böhlen arbeiteten, unterzubringen.

Aber die Ansichtskarten laden auch zum Entdecken ein – etwa wenn es die einstige Zwenkauer Dampfbrauerei geht, den verschwiegenen Sattelhof oder den „Tausendjährigen Taxusbaum“ im Freigelände des Hotels Kronprinz. Und selbst einige prächtige Gebäude der Sächsisch-Thüringischen Industrie- und Gewerbeausstellung von 1897 fanden – wie das Restaurant „Zur Sommerlust“ oder der „Rothenburger Erker“- in Zwenkau einen neuen Standort.

Gerade die Zahl der Ausflugsgaststätten in Zwenkau zeigt, wie beliebt das Städtchen im Leipziger Süden bei den Leipzigern war, wenn sie sich am Wochenende zum Ausflug entschlossen und mit dem Zug in den lockenden Süden aufbrachen.

Überhaupt bilden gerade die von diversen Hotels und Gaststätten herausgegebenen Ansichtskarten einen großen Teil dieser Sammlung Zwenkauer Ansichten. Sie zeigen aber überwiegend nicht nur die beliebte Gaststätte, sondern auch die Sehenswürdigkeiten der Stadt.

Mit O-Bus nach Zwenkau

Einer Stadt, die sich in den Folgejahren weiter veränderte. Davon erzählen dann die zumeist fotografischen Ansichtskarten der Zeit nach 1920, auf denen dann – in Schwarz/Weiß auch die Errungenschaften der neuen Zeit ins Bild rückten – die ersten Automobile auf den nun auf einmal gepflasterten Straßen, die Tankstelle mitten auf dem Pegauer Platz, das 1927 entstandene Familienbad Zwenkau (dem später der Braunkohletagebau ebenfalls das Wasser abgrub) und am Ende auch noch die ab 1956 (als Ersatz für die gekappte Eisenbahnlinie) eingerichtete O-Bus-Linie, die Zwenkau mit Leipzig verband.

Wirklich zu Ende ist das Ansichtskarten-Zeitalter natürlich nicht. Bunt gestaltete Karten aus der jüngeren Teit sind nur in kleiner Auswahl mit ins Buch gerutscht. Denn der Reiz dieser Ansichtskarten-Bände besteht ja darin, dass sie ein ganzes Stück Stadtgeschichte zeigen, das heute schon tiefe Vergangenheit ist. Selbst die Kinder und Erwachsenen, die sich damals stolz dem Fotografen vor ihren Häusern und Geschäften präsentierten, sind längst vergessen.

Es sei denn, emsige Familienforscher entdecken in ihnen ihre Ur- und Ur-Ur-Großeltern. Was durchaus möglich ist, wenn die Häuser lokalisierbar sind oder gar namhafte Geschäfte ins Bild gefunden haben. Jede einelne Straße kann zum Abenteuer für heutige Spurensucher werden – besonders für all jene, die ihr eigenes Leben mit diesen Orten in Verbindung bringen können, sich an Schulbesuche und Wege zum Kaufmann um die Ecke erinnern.

Veränderte Landschaften

Und da Zwenkau seither auch gewachsen ist, kommen auch die heutigen Ortsteile mit ihren eigenen Ansichtskarten-Serien ins Buch – von Kotzschbar bis Zitzschen, um das kurz zu umfassen. Auch hier werden die heutigen Bewohner der Orte neugierig auf die alten Ansichten schauen, Orte wiedererkennen und Verschwundenes wiederentdecken.

Und so erzählen die bunten Karten eben auch ein Stück regionale Geschichte, auch wenn sie meist nicht verraten, was die Veränderungen bewirkten und wie sehr die Landschaft sich nach dem großen Zeitalter der bunten Karten noch veränderte.

Aber diese Geschichte wird im Kapitel „Zwenkau im Wandel“ dafür recht ausführlich erzählt, sodass dieser dicke Band auch viele Leipziger neugierig machen dürfte auf das Städtchen im Süden, das nach dem – von Bürgern erzwungenen – Ende des Tagebaus auch einen eigenen See vor der Haustür liegen hat. Ein See, der auch an die Orte erinnert, die dem Tagebau zum Opfer gefallen sind – so wie Eythra.

Aber trotzdem entsteht so eine kleine Verlockung, mit Bus oder Fahrrad trotzdem mal hinzufahren und ein Städtchen zu entdecken, das vor 120 Jahren geradezu Synonym für Leipziger Ausflugsfreuden war.

Thomas Kröter, Thomas Nabert,Jürgen Winter „Zwenkau und seine Ortsteile auf alten Ansichtskarten“ Pro Leipzig, Leipzig 2025, 29 Euro.

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