Althochdeutsch, das ist das, was die Bewohner Deutschlands sprachen, als sich das Deutsche Reich gerade herausbildete. Was sie also zu Zeiten von Heinrich I. sprachen, wahrscheinlich auch zu Zeiten Karls des Großen. Und was sich bruchstückhaft in alten Handschriften erhalten hat. In Leipzig entsteht das maßgebende Wörterbuch dazu. Und die Wissenschaftler/-innen widmeten dem jetzt ihren ersten Film.

Ganz im Stil der ZDF History. Was kein Makel ist, denn mit der filmischen Dramatisierung von Forschung wird sie auch für Menschen auf einmal interessant, die am drögen Schulstoff einst verzweifelt sind und so erst einmal mitbekommen, wie spannend Geschichte ist. Und wie nah einem die Schicksale unserer Vorfahren sind. Auch wenn sie schon über 1.000 Jahre tot sind.

Aber ihre Sprache ist nicht tot. Sie hat sich verwandelt, hat sich im Lauf der Zeit zu jenem Hochdeutsch gemausert, das die meisten von uns heute sprechen. Und schon vor 200 Jahren fanden es deutsche Altertumsforscher spannend, die Spuren des Althochdeutschen zu sammeln und daraus ein Althochdeutsches Wörterbuch zu machen.

Spurensuche seit 150 Jahren

Aber der erste Versuch galt dann auch unter Gelehrten als nicht handhabbar. Das war der von Eberhard Gottlieb Graff 1834 bis 1842 in sechs Bänden herausgegebene „Althochdeutsche Sprachschatz oder Wörterbuch der althochdeutschen Sprache“. Schon 1870 galt es nicht mehr als zeitgemäß, sodass sich der Altgermanist Elias von Steinmeyer ab 1870 daranmachte, ein wissenschaftliches Belegarchiv aufzubauen.

Zu Lebzeiten veröffentlichte er noch die Edition der Althochdeutschen Glossen in 5 Bänden (1879–1922). Ein neues Wörterbuch entstand nicht. Denn die penible Suche nach allen verfügbaren Stellen, an denen althochdeutsches Wortgut zu finden war, machte erst deutlich, was für eine Riesenarbeit da zu bewältigen war.

Nach mehreren Anläufen war es dann die ab 1935 in Leipzig begonnene Arbeit von Elisabeth Karg-Gasterstädt und Theodor Frings, die tatsächlich dazu führte, dass ab 1952 von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig die ersten Bände des Althochdeutschen Wörterbuchs herausgegeben werden konnten.

Noch zwei Bände bis 2030

Mittlerweile sind die Forscher/-innen in der Karl-Tauchnitz-Straße bei Band 8 und dem Buchstaben S angelangt. Bis 2030, so hoffen sie, werden sie auch noch die Veröffentlichung der beiden abschließenden Bände 9 und 10 schaffen, womit dann wohl für alle Zeiten das gültige Althochdeutsche Wörterbuch vorliegt.

Denn noch eine Generation – so der Projektleiter Prof. Hans Ulrich Schmid – wird sich diese Arbeit nicht antun. Ganz zu schweigen davon, dass wohl die meisten auffindbaren Belegstellen gefunden sind. Es wäre eine Sensation, sollte doch noch irgendwo ein größeres altdeutsches Textkonvolut auftauchen.

Die Forschergruppe der Sächsische Akademie der Wissenschaften arbeitet tatsächlich auch noch mit Belegzetteln, die von Elias von Steinmeyer (1848–1922) stammen. Das Archiv ist mittlerweile auf rund 750.000 Belegzettel angewachsen, in dem alle Wortformenbelege von den Anfängen deutscher Schriftlichkeit im 8. Jh. bis zu Spätbelegen des 13. bis 15. Jh. aus kritischen Editionen zusammengeführt sind.

„Die Belege stammen aus allen deutschen Mundarten, vom alemannisch-bairischen Süden über die verschiedenen Teile des Fränkischen bis hin zum Niederdeutsch-Altsächsischen“, erläutert die SWA den Bestand.

„Alle Belegstellen sind interpretiert und vollständig aufgelistet, wobei die Kontexte je nach Aussagefähigkeit oder Schwierigkeit in Auswahl zitiert sind, um die Gebrauchsweise(n) eines Wortes zu illustrieren und nachprüfbar zu machen. Durch systematische Bezugnahme auf Wörterbücher der anderen altgermanischen und der jüngeren deutschen Sprachstufen wird die Verbreitung und Entwicklung eines Wortes dokumentiert. Abgesehen von der Darstellung der einzelnen Stichwörter, werden auch Wortschatzstrukturen sichtbar gemacht.

Neben den genannten Informationen gibt das ‚Althochdeutsche Wörterbuch‘ auch Aufschlüsse über die Zeit der Karolinger, Ottonen und nachfolgender Herrschergeschlechter, als die deutsche Kultur und Sprache durch die Aneignung von Antike und Christentum und durch die enge Beziehung zum romanischen wie zum irisch-angelsächsischen Kulturkreis ihr besonderes Gepräge erhielten.“

Im Hortulus theodiscus

Der Film, der die Arbeit der Forschergruppe mit spannender musikalischer Untermalung erzählt, lebt auch davon, dass die Forscher/-innen in ihrer Freizeit im Garten hinter dem Akademiegebäude einen kleinen Garten, einen „Hortulus theodiscus“, angelegt haben, in den sie lauter Pflanzen gesetzt haben, die schon der Benediktiner, Dichter und Botaniker Strabo im 9. Jahrhundert erwähnt hat.

Alles sehr alltägliche Pflanzen wie der Meerrettich, der im Film eine besondere Rolle spielt, denn sein Name gibt den Forschern bis heute Rätsel auf, ob da nun wirklich das Meer drin steckt oder doch eher die Märe.

Bei der Gelegenheit weisen die Forscher/-innen auch darauf hin, dass es für das Althochdeutsche Wörterbuch seit 2017 auch eine Online-Variante gibt, die mittlerweile bis zum Buchstaben R gediehen ist. Dort kann also jeder Sprachinteressierte nachschauen, wenn er gern den Ursprung heute gesprochener Wörter erfahren möchte.

Die Onlineausgabe folgt den Lieferungen mit einem Abstand von jeweils drei Jahren. Sie ist (bis auf vereinzelte Buchstabenkorrekturen) druckidentisch und über die Band- und Spaltenzahl auch zitierbar.

Es sei denn, man legt sich gleich die gedruckten Bände zu. Auch die in der DDR-Zeit erschienenen Bände liegen inzwischen wieder als Reprint vor.

Und welche Freude auch die Forscher an den alten Worten haben, machen jetzt kleine Videoclips sichtbar, auf denen sie in der Serie „Mein Lieblingswort“ regelmäßig ganz persönliche Einblicke in ihre Arbeit geben.
Den Anfang machte Dr. Torsten Woitkowitz zur Frage: Wer war eigentlich ein „frô“? Aleta Leipold erzählt vom Ursprung des „Geraunes“, Hans Ulrich Schmid widmet sich dem noch immer nicht entschlüsselten „Muspilli“ und Susanne Näßl erklärt, warum so völlig verschiedene Worte wie Muße und Müssen tatsächlich dieselbe Wurzel haben.

Die Serie findet man direkt auf dem YouTube-Kanal der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Und das regelmäßige Hineinschauen lohnt sich, weil immer mehr Lieblingswörter dazukommen sollen.

Und auch wie der Film entstanden ist, zeigt die SWA auf einer eigenen Website.

Und direkt zum Film auf YouTube geht es hier.

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