Kopfnoten stammen aus einer Zeit, als Schulen vor allem dazu da waren, gehorsame Untertanen heranzuziehen. Sie erzählen von einem Obrigkeitsdenken, das den unangepassten Schüler als Problem sieht, nicht die veraltete Art der Wissensvermittlung. Aber das Sächsische Oberverwaltungsgericht unterstützt nun die Haltung der sächsischen Regierung, die nicht nur mit den Kopfnoten mental im vorletzten Jahrhundert verhaftet ist.

Selbst das Oberverwaltungsgericht macht in seiner Begründung deutlich, dass es mental noch immer in einer Welt zu Hause ist, in der Schule als Disziplinaranstalt behandelt wurde, zumindest, wenn die Meldung des Kultusministeriums dazu zutrifft.

„Das Oberverwaltungsgericht hat mit seiner Entscheidung aufgrund einer Beschwerde des Landesamtes für Schule und Bildung den anderslautenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Dresden geändert und den Antrag des Schülers abgelehnt“, meldete das Sächsische Kultusministerium am Montag, 6. Mai.

„Das Verwaltungsgericht hatte in seiner Entscheidung im vorigen November in einem Eilverfahren entschieden, dass die Kopfnoten das Recht des Schülers auf freie Berufswahl einschränken könnten und deshalb nicht per Rechtsverordnung des Ministeriums, sondern nur per Landtagsgesetz zu regeln seien. Dagegen hatte das Landesamt Beschwerde eingelegt und in zweiter Instanz gewonnen. Nach Meinung des Oberverwaltungsgerichts können auch Kopfnoten Rückschlüsse auf das Arbeits- und Sozialverhalten eines Schülers zulassen. Aber dennoch dürften sie bei Bewerbungen wesentlich weniger bedeutsam sein als die Leitungsnoten und sich daher nicht oder allenfalls indirekt auf die freie Berufswahl auswirken. Dies sei allerdings im Hauptsachverfahren abschließend zu klären. Bei den Kopfnoten handelt es sich tatsächlich um eine Einschätzung des Arbeits- und Sozialverhaltens von Schülern an der Schule und im Unterricht.“

Das Frappierende an der Meldung: Sie bricht einfach ab. Da fehlt es also auch ein bisschen an Ordnung und Sorgsamkeit.

„In Sachsen werden außer in den Abschlusszeugnissen die Sozialkompetenzen von Schülern bis zum ersten Halbjahr der zehnten Klasse bewertet“, behauptet das Ministerium. „Benotet werden auf einer Skala von ‚sehr gut‘ (Note 1) bis ‚mangelhaft‘ (Note 5) das Verhalten in Betragen, Mitarbeit, Fleiß und Ordnung. Die Einschätzungen werden nicht nur von einer Lehrkraft vorgenommen, sondern von der Klassenkonferenz, sprich allen Lehrerinnen und Lehrern, die die Schüler der Klasse unterrichten. Was ist mit Begriffen wie ‚Betragen‘ gemeint? In den jeweiligen Schulordnungen sind diese Begrifflichkeiten untersetzt. Mit ‚Betragen‘ sind zum Beispiel gemeint Zivilcourage, Rücksichtnahme, Toleranz, Gemeinsinn und Hilfsbereitschaft. ‚Ordnung‘ umfasst etwa Sorgfalt, Pünktlichk…“

Und da bricht es dann ab, überhaupt nicht erstaunlich bei den Stichworten „Sorgfalt, Pünktlichk…“

FDP wettert gegen „leistungslose Kuschelpädagogik“

Wirklich Beifall gab es nur aus der sächsischen FDP, wo man gleich mal wieder gegen „Kuschelpädagogik“ polemisiert. Aber was ist eigentlich das Gegenteil von „Kuschelpädagogik“? Zucht und Ordnung?

Genau das klingt an, wenn Holger Zastrow, Landeschef der Freien Demokraten in Sachsen und FDP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl, erklärt: „Ich freue mich über die Entscheidung; die Freien Demokraten befürworten eine Weiterführung der Kopfnoten in Sachsen. Denn es ist wichtig, dass die Schüler auch eine Einschätzung ihrer sozialen Kompetenzen bekommen. Das gehört einfach zu einer Schule, die auf das Leben vorbereiten soll, mit dazu. Leistungslose Kuschelpädagogik soll das Alleinstellungsmerkmal der Schulsysteme linksgeführter Bundesländer bleiben.“

Warum werden weniger wichtige Noten überhaupt vergeben?

Saftige Kritik gab es logischerweise von den jungen Linken, linksjugend [‘solid] Sachsen, für die Paul Hösler, Jugendkandidat der linksjugend [‘solid] Sachsen zur Landtagswahl, erklärt: „Wenn Kopfnoten nur einen ‚geringen Stellenwert‘ insgesamt besitzen, dann können sie auch gleich komplett abgeschafft werden. Dass die Schule einen Erziehungsauftrag besitzt, ist unbestritten. Dennoch werden Kopfnoten geradezu willkürlich von Lehrkräften verteilt und sagen exakt nichts über den Entwicklungsstand der Kinder und Jugendlichen aus. Sie quantifizieren und entmenschlichen Jugendliche nur und bleiben ein Relikt der Vergangenheit, das es zu überwinden gilt. Dafür werden wir uns auch weiterhin einsetzen!“

Und ganz ähnlich sehen es die Grünen.

Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, erklärte: „Ich habe Verständnis für den Kläger. Entweder sind Noten wichtig für die Beurteilung. Dann sollten sie auch durch den Gesetzgeber und nicht durch die Verwaltung geregelt werden. Oder einzelne Noten sind weniger wichtig. Dann ist die Frage, wozu und auf welcher Grundlage sie erteilt werden, mehr als berechtigt. Mit Blick auf die Berufswahl könnte das dann auch andere Fächer betreffen. Es ist gut, dass es jetzt ein Hauptsacheverfahren gibt, in der diese Frage geklärt wird.“

Was für soziale Kompetenzen brauchen junge Berufsanfänger wirklich?

Die heftigste Kritik gab es von der SPD.

„Der Beschluss des OVG Bautzen zum Thema Kopfnoten wirft leider mehr Fragen auf, als er beantwortet. Zu erwarten ist, dass die Auseinandersetzung weitergeht“, erklärt Sabine Friedel, die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landstag. Das OVG argumentierte in seinem Beschluss: „Auch wenn Kopfnoten in gewisser Hinsicht Rückschlüsse auf das Arbeits- und Sozialverhalten des Schülers zulassen, dürften sie bei Bewerbungen wesentlich weniger bedeutsam sein als die Leistungsnoten.“ Weil die Bedeutung der Kopfnoten derart gering sei, so das OVG, schränkten sie das Grundrecht auf freie Berufswahl nicht ein und seien daher zulässig.

„Ob das Gericht da wirklich auf einer realen Basis argumentiert, kann man zumindest bezweifeln“, sagt Friedel. „So halte etwa der Hauptgeschäftsführer der IHK Leipzig, Dr. Thomas Hofmann, Kopfnoten für sehr sinnvoll – weil die eigentlichen Leistungsnoten in den vergangenen Jahren immer weniger Bedeutung für die Wahl eines Berufs und für die Auswahl eines Auszubildenden bekommen hätten. Auch die regelmäßigen Ausbildungsbefragungen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages würden zeigen, wie wichtig den Arbeitgebern soziale Kompetenzen im Vergleich zu Fachnoten seien.

„Das OVG selbst lässt sich deshalb in seinem Beschluss ein Hintertürchen offen und fügt der Aussage, dass Kopfnoten kaum relevant seien (‚… weniger bedeutsam … als Leistungsnoten‘), den Satz an: ‚Dies ist indes der Klärung im Hauptsacheverfahren, ggfls. im Wege der Beweiserhebung, vorbehalten‘“, stellt Friedel fest. „Sollte sich dort erweisen, dass die Unternehmen den Kopfnoten doch höhere Bedeutung zumessen, als das OVG glaubt, dann geht es ans Eingemachte: Denn dann braucht es auch für solche Noten objektivierbare Bewertungsmaßstäbe, ähnlich wie es sie in Mathematik, Biologie oder Chemie gibt – damit die Bewertung der Schüler nicht ‚nach Nase‘ erfolgt. Das passiert derzeit oft und hat beispielsweise zur Folge, dass Jungen im Schnitt schlechtere Kopfnoten als Mädchen erhalten.“

Es reicht also nicht, wenn sich die Schulverwaltung irgendwelche Inhalte für Kopfnoten ausdenkt – sie müssen objektiv und nachvollziehbar sein. Das aber muss eigentlich der Gesetzgeber regeln, also der Landtag, der bei dem Thema bislang immer außen vor gelassen wurde.

Und dann geht Friedel auch auf die Willkür der ausgewählten „sozialen Kompetenzen“ ein, die nun leider nur irgendwie luschig aus der Kopfnoten-Leiste der DDR-Schule übernommen wurden, wo sie eindeutig zur Disziplinierung der Kinder gedacht waren.

„Hinzu käme, dass dann diskutiert werden muss, ob Betragen, Ordnung, Fleiß und Mitarbeit tatsächlich soziale Kompetenzen abbilden. Bei sozialen Kompetenzen sind eher Fähigkeiten wie Leistungsbereitschaft, Kommunikative Kompetenz, Hilfsbereitschaft, Gründlichkeit, Höflichkeit, Genauigkeit, Teamfähigkeit und ähnliches gemeint. Zudem sind für verschiedene Berufsbilder verschiedene Kompetenzen von Belang“, geht Friedel darauf ein, dass Schüler und Schülerinnen völlig unterschiedliche soziale Kompetenzen entwickeln – und alle sind sie wichtig, gerade in einer Gesellschaft, die eben keine gleichartigen Untertaten heranzüchten möchte.

Friedel: „Die Entwicklung objektivierbarer Maßstäbe für so unterschiedliche Kriterien wäre ein Versuch, mit Kanonen auf Spatzen zu schießen. Wir bleiben dabei: Vernünftiger wäre es, statt starrer Noten eine individuelle Einschätzung zu geben. Hier können Lehrkräfte die sozialen Kompetenzen der Schüler beschreiben und ihre besonderen Stärken herausstellen. Das hätte mehr Informationswert als das Einpressen einer Schülerpersönlichkeit in vier zirka 100 Jahre alte Kategorien – und zwar für die Schülerinnen und Schüler selbst sowie für die Lehrkräfte und die potentiellen Arbeitgeber gleichermaßen.“

Und dann geht sie noch kurz auf die Frage ein, um die sich die Kultusminister der CDU seit Jahren eifrig herummogeln: „Die Debatte um die Kopfnoten betrifft lediglich die Spitze des Eisberges. Die Frage dahinter lautet: Was muss die Schule künftig leisten? Was sollen Schülerinnen und Schüler im 21. Jahrhundert lernen? Wie entwickeln wir Persönlichkeiten? Diese Debatte müssen wir führen – und zwar bundesweit und mit einem klaren Blick auf die Zukunft“, so Sabine Friedel.

Die Pressemeldung des SMK.

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