Das von der FUNUS-Stiftung herausgegebene Magazin „Drunter + Drüber“ beschäftigt sich zweimal im Jahr mit Themen unserer Vergänglichkeit. Der Tod gehört zum Leben. Oft gibt er ihm erst seinen Sinn. Denn – um Der Tod zu zitieren, dessen Beitrag wieder ganz hinten im Heft zu finden ist: „Wenn Ihr was zu erledigen habt, tut es in diesem Leben.“ Womit man bei den Untoten wäre, die irgendwie eine Menge Leute begeistern und aus Film und Fernsehen nicht mehr wegzudenken sind.

Was ist da dran? Ist das überhaupt ein Thema für ein Magazin, das sich eigentlich sehr seriös mit dem Thema Endlichkeitskultur beschäftigt? Auch Der Tod kam da, als ihm der Hefttitel übermittelt wurde, erst einmal auf völlig andere Assoziationen: „Na, das wird wohl eine Kolumne über deutsches Beamtentum. Über Faxgeräte, apokalyptische Paragraphenreiter und Angestellte, wo selbst ich als Profi nur schwer zwischen ‚bereits verstorben‘ oder ‚noch arbeitend‘ zu unterscheiden vermag.“

Schwarzer Humor eben. Aber eben auch ein kleiner, aber nicht zu überlesender Hinweis darauf, dass das Thema eigentlich größer ist als das, was Thrillerautoren und Regisseure da nun seit über 100 Jahren am laufenden Band mit Vampiren, Ghulen, Wiedergänger, in die Welt zurückkehrenden Toten aller Art inszenieren. Auch wenn diese Inszenierungen mit uralten menschlichen Ängsten zu tun haben, über die in mehreren Beiträgen im Heft ausführlich geschrieben wird.

Denn in Zeiten, als die Medizin noch in ihren Anfängen steckte und der Tod eines Menschen nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, kam es des Öfteren dazu, dass für tot Geglaubte auf einmal wieder Lebenszeichen von sich gaben. Geister- und Gespensterglauben kam hinzu.

Friedhöfe waren wirklich unheimliche Orte. Und man vergisst bei all den klugen Essays zu den Geistergeschichten der Vergangenheit immer wieder einen deutlichen Hinweis darauf, dass alle diese Geschichten aus Zeiten stammten, als es keine öffentliche Beleuchtung gab.

Nächte waren wirklich finster. Und bei Dunkelheit ging man in der Regel nicht hinaus. Wir können uns diese unbeleuchtete Welt mit unserer heutigen Lichtverschmutzung schlicht nicht mehr vorstellen.

Auch wenn die Ängste – wie sie etwa Edgar Allan Poe vorm Lebendigbegrabenwerden schildert – noch virulent sind. Aber auch hier hat die Trennung des Sterbens vom heimischen Bett Veränderungen mit sich gebracht, die auch vielen Schauergeschichten den Boden entzogen haben.

Vermiedene Trauer

Aber das Heft belässt es nicht bei einer kleinen Erkundung alter Vorstellungen von Untoten und von uralten Riten, mit denen Menschen versuchten, besonders gefürchtete Verstorbene daran zu hindern, in die Welt der Lebendigen zurückzukehren.

Diverse martialische Grabbeigaben zeugen davon. Aber die Andeutung von Der Tod zu seinen Assoziationen öffnet die Tür auch zu den Versuchen einiger Leute, den Tod tatsächlich auszutricksen und dazu alle technischen Möglichkeiten zu nutzen – von den Kryptpokonservierung bis hin zur Erzeugung digitaler Avatare von Verstorbenen mit KI.

Beides nicht nur fragwürdige Technologien, sondern auch Zeugnisse davon, dass die Macher dahinter nicht wirklich begriffen haben, worum es geht. Und dass man Leben zwar künstlich simulieren kann – es bleibt trotzdem Schein und Selbstbetrug.

Es mildert bestenfalls die Trauer um die Menschen, die wir verloren haben. Und das wieder berührt einen Kern dieses Heftes: Dass die Spielerei mit den Untoten auch die Unfähigkeit überspielt, Trauer zuzulassen. Denn Trauer heißt nun einmal: Eingestehen, dass man keine Macht über das Leben hat.

Dass die liebsten Menschen unerbittlich fortgerissen werden und wir nichts mehr gutmachen können, wenn sie tot sind. Dass wir also vorher leben und lieben sollten. Und eben auch über Tod und Trauer reden sollten. Oder wie Sorgenboy es betitelt: „Fragen muss man stellen, solange man am Leben ist“.

Wer nicht fragt, steht dann da mit dem Berg an Ungesagtem. Unrettbar und untröstlich.

Carpe diem!

Natürlich kommen auch „Herr Tod und Frau Leben“ in Schwarwels Comic im Heft auf die Frage der tatsächlich Untoten, auf Eingefrorene, in die Cloud Geladene und Handy-Zombies, die das eigentliche Leben verpassen, weil sie nur noch auf das digitale Gedudel starren.

Von den Konsum-Berauschten ganz zu schweigen, die glauben, das Leben bestünde darin, lauter Firlefanz anzuhäufen. Ein wirklich wichtiger Punkt, der ganz andere „Drunter + Drüber“-Themen nach sich ziehen dürfte.

Denn Frau Leben sagt es zu Recht: „Du plädierst also für ‚Carpe diem‘?“ Und Herr Tod sagt so trocken, wie es auch der Tod bei Terry Pratchett sagen würde: „Du weißt doch: ‚Das letzte Hemd hat keine Taschen.‘“

Was ja nun einmal heißt: Wer sein Leben allein damit zubringt, sich mit vermeintlichen Schätzen zu umgeben, Besitz anzuhäufen und dem schnöden Mammon nachzujagen, verpasst wohl das, worum es wirklich geht: Die Zeit mit vertrauten Menschen tatsächlich zu erleben.

Und dann vielleicht als geliebter Mensch noch lange in Erinnerung zu bleiben. Untot auf eine völlig andere Weise – nicht als Geist oder Gespenst, sondern als tröstliche Erinnerung daran, wie reich das Leben sein kann. Und wie faszinierend wirkliche Begegnungen.

Die echten Untoten

Vielleicht gibt es auch irgendwo Studien, die ermittelt haben, wie viele Menschen sich die Filmserien mit allerlei grässlich verstümmelten Untoten immer wieder anschauen, ob das wirklich ein so weit verbreitetes Bedürfnis ist, wie es den Anschein hat, wenn man sich die ganzen Kanäle anschaut.

Oder ob darin nicht etwas anderes zum Ausdruck kommt, das mit dem Leben diesseits des Grabes zu tun hat: Denn in den Untoten lebt ja im Grunde die Angst vor ganz realen Menschen auf, die sich unberechenbar, gewalttätig und eben „wie Untote“ benehmen.

Die schon bei Lebzeiten so angsteinflößend sind wie die wildesten Gestalten aus Thrillern. Und sogar ganz real auf Bildschirmen agieren und den Zuschauern ins Gesicht lügen und trotzdem kein Hehl daraus machen, wie homophob sie sind.

In der Phantasiewelt spiegelt sich die beängstigende Realität. Und damit die von vielen Menschen erlebte Machtlosigkeit, weil sie gegen diese Zombies kein Mittel in der Hand haben, die Wirklichkeit tatsächlich als unbeherrschbar erscheint.

Das Grauen ist – wie es ausschaut –  überall. Da ist dann der verfilmte Aufstand der Toten eigentlich nur noch das Sahnestückchen obendrauf. Die abendliche Bestätigung, dass auch ein Film nicht wirklich beängstigender sein kann als die Wirklichkeit.

Wessen Leben leben wir eigentlich?

Und da ist es, als müsste man beim Umblättern eigentlich auch noch auf einen schönen saftigen Essay über heutige politische Wiedergänger stoßen. Aber den gibt es nicht. Vielleicht auch, weil sonst das Heft aus allen Nähten geplatzt wäre. Und weil damit auch größere Fragen im Raum stehen, die eigene Hefttitel wert sind – etwa „Tod und Politik“.

Oder eben auch eine philosophische Untersuchung, warum Menschen so leicht bereit sind, sich zu Helfershelfern des Grauens zu machen – und ihr eigenes Lebern dabei völlig negieren. Auch das eine Art, untot zu sein. Nur nach den Rezepten und Einflüsterungen anderer Leute oder fremder Propaganda zu leben und zu denken.

Denn unser Verständnis davon, was ein gut gelebtes Leben ist, hat nun einmal mit Psychologie zu tun, mit unseren Vorstellungen davon, was eigentlich ein Paradies ist. Ob wir dieses Endlich-im-Frieden-Leben im Jenseits – also in den Äonen nach unserem Tod – verorten, oder es hier suchen, in der einzig erlebbaren Wirklichkeit. Eine Harmonie-Frage, die etwa Lara Schink anspricht mit der Frage „Lieber ein Schrecken mit Ende als ein Ende ohne Schrecken?“

Es ist ein Thema mit vielen Facetten, bei dem es aber ganz offensichtlich immer darum geht, ob wir den Mut zum (eigenen) Leben finden oder uns von Anderen einreden lassen, wie wir uns zu benehmen haben. Leben wir oder werden wir gelebt?

Eine sehr beklemmende Frage, wenn einer auf einmal merkt, dass er den falschen Zielen hinterhergerannt ist. Und die wirklich menschlichen Abenteuer in einem selbstgewählten Leben schlichtweg verpasst hat. Auch das steckt ja im alten Gespensterglauben: Dass die ewig Herumirrenden einfach verpennt haben, ihr eigenes Leben zu leben. Und jetzt herumheulen und die Lebenden nerven. Was den Kreis eigentlich schließt. Es klingt wirklich ganz simpel: „Carpe diem!“

Aber dazu gehört nun einmal das Wissen, dass eines Tages Schluss, aus und finito. Und dass alles, was wir hätten leben können, vorher hätte stattfinden müssen.

Drunter + Drüber „Untot und Tod“, FUNUS Stiftung, Kabelsketal 2025, 11 Euro

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar