Geht sorgsam mit unserer Sprache um. Und hört auf zu lügen. Der Grat ist schmal, an dem aus einer knalligen Überschrift eine glatte Lüge wird. Dass es heute wieder „Spiegel Online“ trifft – selber schuld. Wenn es um Statistik geht, werde ich nervös. Sie ist so leicht missbrauchbar, wenn sie in die Hände von Leuten fällt, die ihre Scheuklappen nicht ablegen, aber fette Überschriften basteln aus den gewohnten Versatzstücken. Heute: „Deutsches Gastgewerbe erleidet stärksten Umsatzeinbruch seit Ende 2021“. Chaos! Katastrophe! Niedergang!
Äh: Nö. Nur Bullshit aus der Mach-mal-fix-Abteilung von „Spiegel Online“. Grundlage: Eine schlichte und nüchterne Mitteilung des Statistischen Bundesamtes. Deren Überschrift: „Gastgewerbeumsatz im Mai 2025 real 4,6 % niedriger als im Vormonat“.
Da haben wir wieder dieses schöne Wörtchen „niedriger“, das augenscheinlich die Schlagzeilen-Macher bei den großen Magazinen dazu animiert, in Panik auszubrechen. Vielleicht, weil sie das Wachstums-Mantra unserer Wirtschaftsauguren verinnerlicht haben: Alles muss ständig wachsen und wachsen und wachsen – sonst beginnt der Niedergang.
Der Untergang des Abendlandes, tief verankert in den Köpfen unserer verängstigten Mittelklasse, die seit Oswald Spengler immerfort das Land in den Abgrund rutschen sieht, wenn nur irgendwo die wilde Wachstumskurve einen Knick bekommt.
Aber in der ganzen Meldung des Statistischen Bundesamtes keine Spur von einem „stärksten Umsatzeinbruch“ seit 2021. Als hätten Gastwirte und Hoteliers reihenweise ihren Laden schließen müssen, das saure Bier wegkippen und die Kellner entlassen. So ein Umsatzeinbruch war das …
Wann beginnt eigentlich ein Umsatzeinbruch?
Die trockenen Zahlen aus dem Bericht des Statistischen Bundesamtes: „Das Gastgewerbe in Deutschland hat im Mai 2025 nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) kalender- und saisonbereinigt real (preisbereinigt) 4,6 % und nominal (nicht preisbereinigt) 2,2 % weniger umgesetzt als im April 2025. Im Vergleich zum Vorjahresmonat Mai 2024 sank der Umsatz real um 4,0 % und stieg nominal um 0,8 %.“
Die simple Nachricht lautet also: Im Mai haben Gaststätten und Hotels real 2,2 Prozent weniger Umsatz gemacht als im April. (Nominal, nach den aktuellen Preisen, sogar 14,3 Prozent mehr). Kein nüchterner Unternehmer würde dabei von Umsatzeinbruch sprechen. Schon gar nicht im Gastgewerbe, wo es Saison um Saison rauf und runter geht.
Von 2021 steht nichts im Text des Statistischen Bundesamtes. Das bekommt man höchstens über die beigefügte Grafik mit. Und da sieht man auch schon deutlich, wie die Preise seit 2022 real und nominal immer weiter auseinander gingen. 2022 – das war das Jahr, als die Inflation zuschlug und alles teurer machte. Vor allem die Energie. Und damit am Ende auch alles, was beim Wirt auf der Karte steht.
Ergebnis: Nominal haben die deutschen Gaststättenbetriebe sogar mehr umgesetzt. Oder für den Gast: Er hat für die gleiche Bestellung mehr Geld hinlegen müssen. Für alle ist der Gaststättenbesuch teurer geworden. Was für eine Menge Leute, die es nicht so dicke haben, bedeutet, dass sie sich einen Gaststättenbesuch nicht mehr leisten können.
Die Statistiker rechnen dann immer die Saisoneffekte und die Preissteigerungen raus, um irgendwie einen „realen“ Umsatz im Gastgewerbe zu ermitteln. Da landen sie dann – gegenüber 2015 – auf einem Wert von nur noch 87,3 Prozent, während die Gäste real 37,3 Prozent mehr Geld ausgegeben haben als 2015.
Die Langzeitwirkungen von Corona
Die Grafik zeigt auch sehr schön das wirklich tiefe Loch – den wirklichen Umsatzeinbruch – das die Corona-Zeit im Gastgewerbe gerissen hat. Und die sachte Erholung, die dann 2022 einsetzte, obwohl die Branche heftige Einschnitte erlebt hat. Nicht nur haben damals etliche Gastbetriebe geschlossen, weil sie den Einbruch nicht mehr auffangen konnten. Sie haben vor allem eine Menge geschultes Personal verloren, das in der Corona-Zeit in nicht so krisengeschüttelte Branchen abgewandert und danach nicht zurückgekommen ist.
Das steht nun nicht in dieser Meldung, kann man aber (bis 2023) auf der Website des Dehoga nachlesen: Zwischen 2019 und 2022 gingen rund 28.000 Gaststättenbetriebe verloren. Erst 2023 trat eine leichte Erholung ein. So etwas nennt man wirklich einen Einbruch. In Zahlen: In der Corona-Zeit verlor Deutschland 16 Prozent seiner Gaststättenbetriebe.
Das heißt auch im Jahr 2025 immer noch: Deutlich weniger Betriebe erwirtschaften den vom Statistischen Bundesamt registrierten Umsatz. Und zwar real einen höheren Umsatz als vor Corona. Auch wenn das vor allem durch höhere Preise auf der Speisekarte bewirkt wird.
„Im Mai brachen die Umsätze so stark ein, wie seit Ende 2021 nicht mehr“, behauptet Spiegel Online. Aber nicht einmal das stimmt. Im Herbst 2021 rutschten die Umsätze im Gastgewerbe real tatsächlich von 91,1 auf 65,3 Prozent der Umsätze von 2015 ab. Im Mai 2025 ging es nur 91,5 auf 87,3 Prozent runter.
Wie gesagt: preis- und saisonbereinigt gegenüber 2015. Kein Vergleich mit Ende 2021. Ohne Kalender- und Saisonbereinigung gab es sogar einen Anstieg der Umsätze um 7,7 Prozent. (Das ist die dunkelrote Linie in der Grafik.) Da kann man sich die Gastwirte richtig vorstellen, wenn sie ihre Monatsabrechnung gemacht haben und sich dann über die „Spiegel“-Meldung wundern: Der Laden lief ganz ordentlich und legte – saisonbedingt – sogar im Umsatz zu. Aber das weiseste aller Magazine behauptet schlankweg, es hätte einen riesigen Umsatzeinbruch gegeben.
Da malt man Untergangsstimmungen. Während alle, die es sich leisten können, fröhlich ihr Bierchen trinken, sich unter den Armen fassen und schunkeln: „Die Welt geht unter.“
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