Die Nikolaikirche und die Thomaskirche in Leipzig sind weithin bekannt. Darüber hinaus gibt es in der Messestadt so manche Kirchen, über die es Wissenswertes und Überraschendes zu berichten gibt. Heute im Porträt: die Pauluskirche in Leipzig-Grünau. Die Pauluskirche Grünau ist das Kirchengebäude der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens in Leipzigs Ortsteil Grünau an der Alten Salzstraße 185.

Nachdem die DDR systematisch Kirchen-Neubauten behindert und verhindert hatte, war die Pauluskirche 1983 DDR-weit der erste evangelische Kirchenneubau mit einem Kirchturm – und das noch dazu in einer Neubau-Großwohnsiedlung.

Wie war es dazu gekommen? Hatten die staatslenkende Partei SED und die DDR-Staatsführung ihre grundsätzlich wenig kirchenfreundliche Politik geändert? Die Erklärung ist gleichermaßen naheliegend wie banal: Die Parteiführer hatten begriffen, dass sie mit Kirchenbauten in der DDR für die devisenklamme Staatskasse die heiß begehrte D-Mark in Millionenhöhe einnehmen konnten.

Hätte so ein Vorgehen in den jüngeren Jahren der DDR noch als prinzipienlos und revisionistisch gegolten, so spielte das in der beginnenden Abenddämmerung dieses Staates offensichtlich nur noch eine untergeordnete Rolle.

So eröffnete das Valuta-Sonderbauprogramm „Kirchen für neue Städte“ in den 1980er Jahren den Bau deutlich erkennbarer Sakralbauten in der DDR – in zugleich weitmöglichst begrenztem Umfang. Nachdem jahrzehntelang in der DDR in keinem einzigen Neubaugebiet eine kirchliche Einrichtung gebaut werden durfte, entstanden in Leipzigs großflächiger Plattenbausiedlung Grünau zunächst die evangelische Pauluskirche und danach die katholische St.-Martin-Kirche (1983–1985).

Nach der Grundsteinlegung am 17. Oktober 1981 und zweijähriger Bauzeit wurde das nach dem Apostel Paulus benannte Gotteshaus am 29. Oktober 1983 eingeweiht. Das Bauwerk stellte die DDR mit einer Million D-Mark in Rechnung – beglichen aus der Bundesrepublik Deutschland von der dortigen Evangelischen Kirche in Deutschland.

Die Inneneinrichtung war in dieser Summe nicht enthalten, dafür war weiteres Geld erforderlich. Diesen Kirchen-Neubau hatte 1978 der damalige Bischof Albrecht Schönherr mit ermöglicht.

Die als Gemeindezentrum konzipierte Pauluskirche versinnbildlicht die Grundidee eines Zeltes für das wandernde Gottesvolk in Anlehnung an Bibel-Worte aus Jeremia 35: Als Christen und als Kirchgemeinde in Bewegung bleiben, sich nicht verfestigen, auf die Menschen zugehen.

Das Kirchengebäude entstand als Vierflügelanlage nach dem Entwurf von Gerhart Pasch und Rainer Ilg vom Büro für Baupflege des Regionalkirchenamts Leipzig: Sie schufen einen unauffälligen Gebäudekomplex mit abgewalmter Dachkonstruktion – und damit visuellem Übergang zur älteren Eigenheim-Nachbarsiedlung in Grünau.
Das eingeschossige Hauptgebäude entstand in traditioneller Bauweise aus Ziegelmauerwerk und mit einem zum Innenraum offenen, hölzernen Dachstuhl. Die Raumdisposition ist günstig für vielseitige Nutzungen: Zu Großveranstaltungen finden beim Koppeln der Räume 300 Besucher Platz. Im Gang der Pauluskirche gibt es regelmäßig wechselnde Ausstellungen.

Der freistehende Glockenturm der Pauluskirche. Foto: Lumu, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9709174
Der freistehende Glockenturm der Pauluskirche. Foto: Lumu, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org

Der Putzbau mit freistehendem Glockenturm umfasst das Gemeindezentrum mit zentralem Gemeinderaum und Nebenräumen. Neben dem Kirchengebäude platzierte Gerhart Pasch bei der Planung den freistehenden Glockenturm.

Der Glockenturm sollte ursprünglich nach den DDR-staatlichen Vorstellungen gar nicht errichtet werden; er entstand kirchlicherseits – finanziert von einer Partner-Kirchgemeinde in der Bundesrepublik Deutschland – in einer „Nacht- und Nebelaktion“.

In diesem Turm, der auch für die direkt südlich gelegene römisch-katholische St.-Martin-Kirche läutet, sind drei Gussstahlglocken aus der abgebrochenen Kirche in Magdeborn zu Hause. Sie wurden 1950 von der in Apolda ansässigen Firma Schilling & Lattermann gegossen. Das blattgoldene Turmkreuz spendete ein Privatmann aus der Schweiz.

Die Glocken werden für Anlässe sowohl der Pauluskirchgemeinde als auch der benachbarten katholischen Sankt-Martin-Kirche geläutet.

Der ohne bauliche Verbindung zum Kirchengebäude freistehende Glockenturm, auch Campanile genannt, fällt neben den sechs- bis elfgeschossigen Plattenbauten kaum auf. Zugleich gibt er dem mehrteiligen Kirchen-Ensemble die klare Prägung als Kirche.

Eingefügt in das Gebäude wurden Abbruchsteine der Kirchen aus Bösdorf und Magdeborn, die dem Braunkohletagebau bei Leipzig zum Opfer fielen. Ein Kreuz und das silberne Abendmahlsgerät stammen aus der ebenfalls devastierten Kirche Eythra, das zinnerne Taufgeschirr wurde aus Bösdorf übernommen. Die Altarwand im Inneren gestaltete der Leipziger Künstler Matthias Klemm. Aus Magdeborn stammt auch der Grabstein von Friedrich Otto von Karstädt.

Die Pauluskirchgemeinde wurde am 1. April 1978 gegründet, sie wuchs mit dem DDR-Neubaugebiet in Grünau. „Offen sein für andere“ ist ihr Motto. Das zeigt sich auch in der nicht nur räumlich engen Nachbarschaft zur römisch-katholischen St.-Martins-Gemeinde: Von Anfang an war die kirchliche Arbeit in Grünau ökumenisch. Das Zeichen der zwei Fische am Eingang beider Kirchen symbolisiert dieses Miteinander beider Religionen in Grünau.

Koordinaten: 51° 18′ 50,7″ N, 12° 16′ 43,1″ O

Quellen und Links:
https://de.wikipedia.org/wiki/Pauluskirche_(Leipzig)
https://www.kirche-leipzig.de/gemeinde/gruenau-pauluskirche/
https://www.architektur-blicklicht.de/kirchen/gruenau-pauluskirche-leipzig/
http://www.gruen-as.de/2013/44/artikel1.html

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Redaktion über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar