Die Kindertageseinrichtung „Henriette Goldschmidt“ in der Spittastraße 7 wird nun bald, am 30. Dezember, ihr 125-jähriges Gründungsjubiläum feiern können. Dieser einleitende Satz ähnelt dem Bericht des Amtes für Jugend, Familie und Bildung der Stadt Leipzig, der seit 31. Oktober 2018 hier in der Leipziger Zeitung steht.
Mir geht es allerdings nicht um ein übliches Gratulieren, sondern um eine Korrektur bzw. Ergänzung.

Im damaligen Bericht heißt es: „Die Einrichtung wurde vom Verein für Familien und Volkserziehung geleitet und 1921 in die Henri-Hinrichsen-Stiftung übernommen. Diese wurde von der Stadt Leipzig mit einem verbindlichen Stiftungszweck in treuhänderische Verwaltung übergeben und in die ‚Stiftung für sozialpädagogisches Frauenseminar‘ umbenannt.“

„Stiftung für sozialpädagogisches Frauenseminar“ – das klingt so harmlos-zivilisiert-normal: Das war es aber nicht, wie ein Blick in die Zeitgeschichte 1933 bis 1941 verrät und den Weg bis dorthin zeigt.

Veranlasst von einem Schreiben der Schulleiterin Rathgen vom Juli 1933 wegen der Unverträglichkeit des Unterrichtes in „Rassenkunde“ mit den in der Schule öffentlich sichtbaren Bildern der jüdischen Gründerin und des jüdischen Stifters ordnet der Oberbürgermeister (OB) von Leipzig, Karl Friedrich Goerdeler, am 19. August 1933 an, „daß die Büste (Henriette Goldschmidts) ebenso wie das Bild des Stifters Geheimrat Hinrichsen im Schulleiterzimmer aufgestellt werden.“

Heute würdigt eine Tafel am Haus wieder Frau Henriette Goldschmidt. Foto: Ralf Julke
Heute würdigt eine Tafel am Haus wieder Henriette Goldschmidt. Foto: Ralf Julke

Die Geburtstagsfeier am 23. November für Henriette Goldschmidt, so wird mit der Schulleitung vereinbart, fällt ohne besondere Begründung aus. Am 20. März 1934 legt OB Goerdeler fest, dass die Bilder und die von Seffner geschaffene Büste „abgestellt“ werden. Der Geist der Begründerin der Schule und des Stifters werden durch Flaggenhissung und Horst-Wessel-Lied abgelöst.

Auf Betreiben des kommissarischen Leiters des sozialpädagogischen Frauenseminars, Pilz, wird dieser Schule als erster in Leipzig am 11. Oktober 1935 das Hissen der HJ-Fahne gestattet, weil 90 Prozent der Schülerinnen im BDM (Bund Deutscher Mädel) organisiert sind.

3. September 1937: Das Schul- und Bildungsamt weist auf Anfrage der Direktorin Braune die endgültige Beseitigung der Namen Henriette Goldschmidt und Henri Hinrichsen an. Die Henri-Hinrichsen-Lehrmittelstiftung wird aufgelöst, die Exlibris aus den Büchern gerissen, die Bronzeplatte mit der Widmung des Stifters entfernt; unersetzliches Bild- und Schriftmaterial sowie Werte aus Schenkungen und Stiftungen gehen verloren, die vergoldeten Buchstaben „Henriette-Goldschmidt-Haus“ über dem Torbogen werden abgeschlagen.

Die von Henri Hinrichsen errichtete Stiftung „Hochschule für Frauen“ wird bis 1941 – inoffiziell in den Akten – als „Henri-Hinrichsen-Stiftung“ geführt und danach in „Stiftung Sozialpädagogisches Frauenseminar“ umbenannt.

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Nach 1989 wurde die Einrichtung von der Leipziger Bürgerstiftung übernommen. Heute ist es eine kommunale Einrichtung mit 63 Plätzen, davon 13 für Krippenkinder. Das Gebäude gehört der Leipzigstiftung (vormals Leipziger Bürgerstiftung).

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