Die Auseinandersetzungen und Angriffe in Dresden im Zuge des einjährigen Bestehens von PEGIDA haben sich in der Nacht von Montag zu Dienstag im Leipziger Hauptbahnhof fortgesetzt. Laut ersten Meldungen sollen mehrere Neonazis auf zurückkehrende Gegendemonstranten losgegangen sein. Ein Messer soll dabei eingesetzt worden sein.

Wie es übereinstimmend mehrere Medien in ihrer Live-Berichterstattung mitgeteilt haben, ging ein nicht gerade geringer Teil der Gewalt von Neonazis in Dresden aus. Ein Sachverhalt, der sich in der Pressemitteilung der Polizeidirektion Dresden zum Versammlungsgeschehen am Montag nicht widerspiegelte. Schilderten die ersten Meldungen eher Übergriffe von Gegendemonstranten auf PEGIDA-Teilnehmer, kehrte sich die Situation im Laufe des Abends um. Mehrere Polizeibeamte und Pegidagegner seien immer wieder in der Stadt angegriffen worden, so die Meldungen. Skurriler Höhepunkt vielleicht: RT Deutsch, sonst eher als Haus- und Hofsender Pegidas gehandelt vermeldete einen massiven Übergriff auf einen eigenen Reporter von sechs bis sieben Pegida-Teilnehmern.

Bei den Übergriffen in Dresden blieb es allerdings nicht.

Gegen 00:00 Uhr am Dienstag wurden auf dem Kurznachrichtendienst Twitter mehrere Nachrichten veröffentlicht, die von Übergriffen von Neonazis auf zurückkehrende Pegida-Gegendemonstranten im Leipziger Hauptbahnhof sprachen. Wie ein Augenzeuge kurz nach den Geschehnissen berichtete, hatten sich vor dem Gebäude circa 20 Neonazis aufgehalten. Als diese die Zurückkehrenden bemerkten, stürmte ein Mann in die Halle des Bahnhofs. „Einer hat direkt ein Messer gezückt“, so der Augenzeuge. Verletzt durch den Messereinsatz wurden nach bisherigen Erkenntnissen keine Person.

„Dann kam eine Gruppe von 10 bis 15 Nazis reingelaufen“, schilderte der Zeuge die Heranstürmenden, die die Personengruppe dann ebenfalls attackierten. Dabei sollen Latten eingesetzt worden sein.

Augenzeugenbericht. Quelle: Twitter
Ein veröffentlichter Augenzeugenbericht. Quelle: Twitter

Polizeibeamte seien mit starker Verzögerung erst später erschienen und hätten die Personengruppen getrennt. Bei der Trennung seien die Beamten mit Pfefferspray gegen die aus Dresden Ankommenden vorgegangen. Nach den Aussagen des Augenzeugen seien insbesondere vom Angreifer mit dem Messer keine Personalien festgestellt worden. Die Polizei sei mit der Lage überfordert gewesen, so die Einschätzung.

Eine Antwort der Pressestelle der Polizeidirektion Leipzig und der Bundespolizei steht noch aus und wird zeitnah ergänzt.

Nachtrag 20.10.2015 12:05: Videomaterial aufgetaucht

Ein L-IZ.de vorliegendes Video zeigt das Zusammentreffen am Hauptbahnhof. Ein einzelner Mann sagt „verpisst euch“ zu der ankommenden Reisegruppe. Danach folgen mehrere Wortwechsel, die immer lauter werden. Die Gruppe geht weiter. Eine Fünfergruppe betritt mit Fahnenstangen die Bahnhofshalle – vermutlich zurückgekehrte PEGIDA-Demonstranten aus Dresden. Auf die Reisegruppe von Gegendemonstranten trifft sie dabei am Bahnhofsausgang.

Danach wird es hektisch. Im Hintergrund kommt es scheinbar zu Tätlichkeiten. Zwei Polizeibeamte eilen herbei. Warum kann man nicht genau sehen. Weitere Personen aus dem Hintergrund, vermutlich weitere Neonazis, laufen herbei und die Beamten müssen sie mit den Händen immer wieder zurück schubsen. Eine Frau daneben mit einer Fahnenstange in den Händen schreitet kurz vorwärts zu der abziehenden Reisegruppe, als wolle sie damit zuschlagen, tritt dann aber wieder zurück.

Die Reisegruppe geht weiter zum Ausgang. Immer wieder kommen vermutliche Neonazis auf die gehende Gruppe zu. Es gibt immer wieder Geschrei. Entfernt von den Beamten stürmt eine Person auf eine andere zu, die sich gerade Rückwärts aus der Halle bewegt – scheinbar aus der Reisegruppe. Kurz danach strömen mehrere Beamte in die Halle. „Euer Einsatz ist Scheiße“, schreit eine Männerstimme und fordert die Polizisten auf „greift ein bitte jetzt!“ Ein kräftig gebauter Mann ruft auf Zurufe „was hast du“ und läuft auf die Reisegruppe wieder eilig zu. Er wird von den Beamten scheinbar ignoriert, die weiter in die Vorhalle hinein gehen. Die Lage wirkt so, als würde sie gleich weiter eskalieren. Es folgt Geschrei.

Im Hintergrund gibt es eine weitere Auseinandersetzung. Ein Mann mit Ausrüstung, scheinbar ein Polizist, versucht einen anderen zurückzuhalten. Ob von sich oder aus Trennungsgründen wird nicht ersichtlich. Er führt eine Schlagbewegung aus, vermutlich mit dem Schlagstock.

Die Reisegruppe ist vor der Halle angelangt. Zwei bis drei Personen stehen noch im Zwischenraum der Ausgangstüren. Ein junger Mann läuft langsam in den Raum zurück. Scheinbar wollen sie noch sehen, was in der Halle passiert. Vermutlich ein Polizeibeamter gibt die Anweisung „raus hier“, danach wird „Pfeffer“ gerufen. Die Personen strömen heraus, begleitet von einer Wolke Pfefferspray.

Das Video endet danach.

Nachtrag 20.10.2015 14:20: Aus Sicht der Polizei

Nach Angaben der Polizeidirektion Leipzig kam es vor der Halle zu Auseinandersetzungen zwischen PEGIDA-Anhängern und Gegnern. Ausgangspunkt war die parallele Ankunft gegen 00:15 Uhr und das Aussteigen aus den zurückgekehrten Reisebussen gewesen. Nach bisherigem Kenntnisstand der Polizei handelte es sich dabei um einen Bus von Anhängern und vier von Gegendemonstranten.

Es sei zu verbalen Provokationen gekommen, die sich hochgeschaukelt hätten. „Beide Seiten waren hierbei mit Holzlatten (wahrscheinlich Fahnenelemente) bewaffnet und ergriffen Steine“, so Polizeisprecher Andreas Loepki. Es folgte ein Einsatz von Bundes- und Landespolizei, die eine Trennung der Gruppen vollzog.

„Das zunächst verfügbare Kräfteaufgebot ließ unter Nutzung unmittelbaren Zwangs (Einsatz Reizgas) nur eine Trennung der beiden Lager zu, um die Fortsetzung von Straftaten zu unterbinden“, so Loepki. Eine Personalienfeststellung sei vor Ort allerdings nicht möglich gewesen, sodass mögliche Tatbeteiligte unerkannt entkamen.

„Im Nachgang wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Landfriedenbruchs aufgenommen“, teilte der Sprecher zu bisherigen Straftaten mit. „Durch einen Steinwurf, der sich augenscheinlich als Querschläger darstellte, wurde eine Beamtin am Bein getroffen; sie erlitt keine Verletzungen.“

Nachtrag 20.10.2015 15:20: Video veröffentlicht und Irritationen

Mittlerweile ist ein Video veröffentlicht, das die Szene im Hauptbahnhof zeigt. Darin markiert ist ein Gegenstand des Mannes, der zuerst auf die Reisegruppe zukam und „verpisst euch“ sagte. Dabei soll es sich um den Angreifer mit dem Messer handeln.

 

Es bestehen weiterhin Irritationen über die Polizeimaßnahmen. Mitteilungen von Jürgen Kasek (Bündnis 90 / Die Grünen) und Irena Rudolph-Kokot (SPD) im Kurznachrichtendienst Twitter besagen allerdings, dass es entgegen der Äußerungen der Polizeidirektion Leipzig zu Personalienfeststellungen gekommen sei.

Nachtrag 21.10.2015 12:00: Aufforderung zu Gedächtnisprotokollen und weitere Ermittlungen

In einer Pressemitteilung von Dienstagnacht kritisiert das Netzwerk „Leipzig nimmt Platz“ das Verhalten der Polizei. Darin wird den Behörden unter anderem vorgeworfen, die Bedrohungslage durch den Aufmarsch der „Offensive für Deutschland“ unterschätzt zu haben. An der Versammlung hatten nach Schätzungen 70 bis 80 Menschen teilgenommen, zum Teil auch gewaltbereite Personen. Laut Polizeidirektion Leipzig sei ebenfalls ein Bus von PEGIDA-Anhängern etwa zeitgleich am Hauptbahnhof vor der Auseinandersetzung angelangt.

Im Bahnhof sei es dann zu Beleidigungen, Schlägen und Tritten auf eine 50-köpfige Reisegruppe, die vorher gegen PEGIDA in Dresden demonstriert hatte, gekommen durch Personen aus dem Hooligan-Umfeld, laut Darstellung des Netzwerks. In dem veröffentlichten Video der Geschehnisse im Bahnhof sind mehrere Auseinandersetzungen zwischen Personen zu sehen, die von den benannten Hooligans ausgingen. Zudem soll es zu Steinwürfen auf Teile der Reisegruppe gekommen sein.

„Es war ein Glücksfall, dass keine Personen ernsthaft verletzt wurden“, fasst die Zeugin der Abläufe, Irena Rudolph-Kokot, zusammen und kritisiert das Verhalten der Polizei. „Weshalb die Polizei die Situation nicht nur zuließ, sondern die Eskalation abwartete, bleibt ebenso unklar wie die Frage, weshalb Festnahmen oder Identitätsfeststellungen bewaffneter Neonazis ausblieben, Zeugen nicht vernommen wurden und ein gezielter Pfeffersprayeinsatz auf Antifaschist_innen in der öffentlichen Berichterstattung der Polizei fehlt.“

Neue Erkenntnisse liegen bei der Polizeidirektion Leipzig bisher nicht vor, sagte Sprecher Andreas Loepki am Telefon und verwies auf seine Kollegen der Bundespolizei. Pressesprecher Christian Meinhold von der zuständigen Bundespolizeidirektion in Pirna konnte auf Anfrage ebenfalls keine neue Sachverhalte mitteilen. „Beide Seiten waren gewalttätig“, hob er zu den Abläufen hervor. „Es war kurzfristig nicht möglich“, reagierte er zudem auf den Vorwurf der nicht vorgenommen Identitätsfeststellungen von „Leipzig nimmt Platz.“

„Die Ermittlungen laufen zurzeit gegen Unbekannt“, teilte Meinhold zu den weiteren Strafverfolgungen mit. An der Auswertung des Videomaterials vom Bahnhof werde derzeit gearbeitet. „Wir ermitteln auf jeden Fall.“

Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ fordert alle Betroffenen der Übergriffe auf, Gedächtnisprotokolle anzufertigen und sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Anschließend sollen die Vorgänge gesammelt zur Anzeige gebracht werden.

 

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Es gibt 3 Kommentare

“So …. wird aus einem „Rechtsstaat“ ein „Rechts“staat”, sollte es heißen und ohne automatisiertem Schreibprogramm wird’s auch was.

Doch doch, das haben viele kommen sehen. Nur wurden und werden diese als Spinner, Gutmenschen und penetrant Linke verteufelt. Schwarzmaler, Aufwiegler und ähnlich nette Bezeichnungen.
Erstaunlich, dass sich die Darstellung der Polizei so sehr von der Darstellung der Augenzeugen unterscheidet? Nö, ist nicht erstaunlich. Immerhin zeigt sich die Rechte-Augen-Blindheit der Polizei spätestens seit Legida jede Woche sehr deutlich.

Sind wird aus einem “Rechtsstaat” ein “Rechts”staat.
Und wieder hat’s niemand kommen sehen …

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