Obwohl laut Corona-Schutzverordnung lediglich ortsfeste Kundgebungen mit höchstens 1.000 Teilnehmer*innen erlaubt waren, liefen am 6. November 2021 zahlreiche „Querdenker“ durch die Leipziger Innenstadt. Mehrere hundert von ihnen landeten auf der Grimmaischen Straße in einem stundenlangen Polizeikessel. Anderthalb Jahre später beschäftigte sich das Leipziger Amtsgericht mit einer Person, die damals dringend aufs Klo musste – und offenbar an ein Polizeiauto pinkelte.

Der Vorfall soll sich gegen 19.36 Uhr ereignet haben: Polizeimeister Erik S. beobachtete nach eigener Aussage einen Mann, der etwa 15 Sekunden an die Fahrertür eines Polizeiautos urinierte. Anschließend gab der Polizeibeamte per Funk eine Personenbeschreibung weiter.

Als später wegen Teilnahme an einer verbotenen Demonstration die Identität des Mannes festgestellt wurde, teilte man diesem mit, dass er zudem der „Belästigung der Allgemeinheit“ verdächtigt werde.

Extrem dringend

„Ich musste extrem dringend“, rechtfertigte sich Gregor S. vor Gericht. Dass er an ein Polizeiauto gepinkelt hätte, bestritt der im mittelsächsischen Augustusburg lebende Mann allerdings. Er habe sich eine Stelle am Rande des Polizeikessels gesucht, wo er möglichst unbeobachtet bleiben konnte und kein Geschäft treffen würde.

Amtsrichterin Heike Gunter-Gröne stellte klar, dass Urinieren in der Öffentlichkeit nicht erlaubt sei. In diesem konkreten Fall würde sich jedoch die Frage stellen, ob der Beschuldigte eine andere Möglichkeit gehabt hätte. Einer der beiden Polizeizeugen war sich sicher, dass es in dem Kessel keine mobilen Toilettenkabinen gab. Außerhalb des Kessels eine Toilette aufzusuchen, war ebenfalls nicht möglich.

Gunter-Gröne entschied sich in Anbetracht dieser Umstände, das Verfahren gegen Gregor S. einzustellen. Die Kosten für Anfahrt und Anwalt muss er jedoch selbst tragen. Bei letzterem handelt es sich um Martin Kohlmann, den Vorsitzenden der extrem rechten „Freien Sachsen“.

Extrem rechts

Ob Gregor S. wirklich an dem verbotenen Aufzug teilgenommen hat oder zu jenen Personen gehört, die gerade vom Shopping kamen und plötzlich in einem Polizeikessel landeten, war nicht Gegenstand der Verhandlung. Die Wahl seines Verteidigers und sein Verhalten im Gerichtssaal lassen zumindest eine Nähe zur „Querdenken“-Szene vermuten.

Mehrmals äußerte Gregor S., dass es eigentlich die beiden Polizisten seien, die sich vor Gericht verantworten müssten. Er selbst verliere „immer mehr den Glauben an den Rechtsstaat“. Als die Verhandlung bereits beendet war, lief er durchs Amtsgericht und sprach von einer „Farce“.

Auch sein Verteidiger verlor zunehmend die Fassung. Gab er sich während der Verhandlung noch betont freundlich und seriös, stimmte Kohlmann danach in die Empörung seines Mandanten ein und sagte zur Richterin: „Dürften Sie mal drei Stunden nicht aufs Klo, dann denken Sie anders darüber.“

Richterin Gunter-Gröne nahm die Wortmeldungen der beiden Männer ohne Regung zur Kenntnis.

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