Er griff im Jugendstrafvollzug einen Bediensteten mit einer Schere an, weil ihm eine Disziplinarmaßnahme nicht passte: Am Montag verurteilte das Landgericht den 20 Jahre alten Pierre B. unter Einbezug einer Vorstrafe unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung. Ein versuchter Mord sei dem jungen Mann aber letztlich nicht nachzuweisen, so die Kammer.

Sein Urteil nahm er mit geradezu stoischer Ruhe entgegen: Pierre B. ist unter anderem schuldig der gefährlichen Körperverletzung und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, muss deswegen mit Einbeziehung einer Vorstrafe für fünf Jahre und acht Monate in Haft. Die Kammer sah es neben weiteren Vorwürfen als erwiesen an, dass der 20-Jährige am 4. Dezember 2023 einen Aufseher in der Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen mit einer Schere attackiert hatte.

Hals des Opfers nur knapp verfehlt

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft den Vorfall sogar als Mordversuch angeklagt, zuletzt aber Abstand davon genommen. Der damals 18 Jahre alte Pierre B., der wegen Raubdelikten einsaß, sollte am fraglichen Tag gegen 14:00 Uhr aufgrund wiederholter Auffälligkeiten in einen gesicherten Bereich des Gefängnisses verlegt werden. Da eine gewalttätige Reaktion des Sachsen-Anhaltiners nicht ausgeschlossen wurde, rückten acht Beamte in Schutzausrüstung an seiner Zelle an, um die Disziplinarmaßnahme zu vollziehen.

Pierre B. zeigte sich nach kurzem Widerstand scheinbar kooperativ – am neuen Haftraum jedoch wendete sich das Blatt, als er sich für eine Untersuchung entkleiden sollte. Der junge Mann griff nach einer Schere in seiner Hosentasche und schwang sie in Richtung eines Beamten. Sie verfehlte den Hals um wenige Zentimeter und zerbrach am Schutzhelm des Mannes, Pierre B. wurde überwältigt und fixiert.

Laut Gericht kein versuchter Mord nachweisbar

Den Vorfall hatte Pierre B. im seit Juli laufenden Prozess auch eingeräumt und die Beamten um Entschuldigung gebeten. Seine Version, dass er nicht mehr um die Schere in seiner Hosentasche gewusst haben will, hielt das Gericht für eine Schutzbehauptung. Die Herkunft des Tatwerkzeugs blieb im Prozess unklar – nach Aussage von JVA-Mitarbeitern seien früher allerdings Bastelscheren in abgerundeter Form im Umlauf gewesen. Das Geschehen habe auch im Nachgang zu internem Ärger geführt, heißt es.

Ob Pierre B., wie er geltend machte, zur Tatzeit unter anderem durch Drogen psychisch beeinträchtigt war, müsse dahingestellt bleiben, da er in seine medizinischen Unterlagen keinen Einblick gewährt habe.

Zumindest der Vorwurf eines versuchten Mordes ließe sich aber nicht nachweisen: Dagegen sprächen die Hemmschwelle, einen Menschen töten zu wollen, aber auch die Dynamik des Geschehens und die unbestreitbare Anspannung von Pierre B., sagte der Vorsitzende Richter Michael Dahms. In dieser Gemengelage habe der 18-jährige Häftling wohl eine Reaktion ohne Risikoabschätzung gezeigt.

Er sei entgegen einem Medienbericht sicher nicht „Sachsens gefährlichster Jugendhäftling“, meinte der Richter: „Letztlich sind Sie noch ein in der Entwicklungsphase befindlicher junger Mann.“ Deswegen würde auch Jugendstrafrecht angewandt.

Angeklagter auf dem Weg der Besserung?

Das Leben gab dem Täter sicher nicht die besten Karten mit auf den Weg: Pierre B. wuchs bei einer alleinerziehenden Mutter auf, galt seit seinem zweiten Lebensjahr als verhaltensauffällig, zeigte Wutausbrüche und geringe Frustrationstoleranz. Immer wieder wurde er in Einrichtungen und Wohnprojekten mit wechselnden Bezugspersonen untergebracht, ohne dass sich die Situation durchgreifend besserte.

Auch in Regis-Breitingen kam es zu Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen und Personal, die letztlich in der Disziplinarmaßnahme mündeten und auch Gegenstand der Anklage waren. Seit Anfang 2025 zeige Pierre B. aber nach seiner Verlegung in ein anderes Gefängnis positive Tendenzen. Die Zukunft werde zeigen, ob der Angeklagte dies auch bei einem Leben in Freiheit fortsetzen könne.

Das Gericht blieb mit fünf Jahren und acht Monaten Haft knapp unterhalb der von Oberstaatsanwalt Ulrich Jakob geforderten sechs Jahre. Verteidiger Sven Kurt Schneider hatte das Strafmaß ins Ermessen des Gerichts gestellt und bekräftigt, dass sein junger Mandant noch Zeit für die persönliche Entwicklung benötige. Beide Seiten erklärten am Montag, das Urteil nicht anfechten zu wollen. Es ist damit rechtskräftig.

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