Auf was für Gedanken man so kommt, wenn einen nachdenkliche Leute wie Matthias Horx oder Ivan Krastev oder die „Black lives matter“-Bewegung daran erinnern, dass die Welt nicht so sein muss, wie sie ist, dass wir uns mit den vorgefundenen Vermauerungen nicht abfinden müssen. Und dass die meisten Mauern in unseren Köpfen stecken. Das betrifft auch die bis heute irritierende Tatsache, dass Frauen keine Aliens sind, die irgendwie in Männerwelten hineinpassen müssen, und Kinder kein Störgut. Ein besonderer Autor/-innen-Blog macht darauf aufmerksam.

Geschrieben nicht nur von Autorinnen. Denn wenn sich auch das Verhältnis von Vätern zu Kindern und Familie ändert, bekommen sie genau dieselben Probleme, die Mütter schon zur genüge kennen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Kinder immer noch vor allem als Kosten- und Störfaktor betrachtet, die Arbeitswelt ist auf Rücksicht auf Familienleben nicht eingerichtet. Eltern werden für ihre Nicht-Verfügbarkeit am Arbeitsmarkt bestraft.

Was die Lage von Singles und Kinderlosen übrigens nicht besser macht. Denn sie verzichten in der Regel überhaupt nicht freiwillig auf Familiengründungen und Kinder.

Aber so wenig, wie eine auf Effizienz und elitäre Auslese getrimmte Gesellschaft ihren immanenten Rassismus nicht versteht, so wenig versteht sie ihre eigene strukturelle Familien-und Kinderfeindlichkeit.

Und das merken sogar junge schreibende Eltern, wenn sie mit den Kindern einmal eins der so begehrten Aufenthaltsstipendien wahrnehmen wollen.

Denn diese Stipendien sind in der Regel gedacht für einsame, von keinen Familiensorgen geplagte Autoren, die das alte deutsche Ideal vom „Elfenbeinturm“ noch immer leben.

Das kommt zwar den älteren Herren entgegen, die im deutschen Feuilleton regelmäßig als „Dichter und Denker“ gefeiert werden. Es hat aber so gar nichts mit der Lebenswirklichkeit junger Autor/-innen zu tun, die eben eher nicht über die innerlichen Bekümmernisse eines vereinsamten Kleinbürgers mit Selbstfindungsproblemen schreiben (wollen), sondern über das reale Leben mit all seinen Sorgen, Schikanen und Abenteuern.

Und dazu gehören auch Liebe, Partnerschaft, Kinder, Familientrubel und eine beratungsresistente Umwelt, in der noch immer der mobile, flexible und anhanglose Jobber gefeiert wird, der keine Familie hat, an nichts sein Herz hängt und schon gar nicht irgendwo verwurzelt ist.

Nur so als Nebenbemerkung: Die um sich greifende Debatte über „Heimat“ hat genau damit zu tun. Der Mensch ist nicht dafür gemacht, in einer Maschine zu arbeiten, der sein Dasein als lebendiger Mensch völlig egal ist.

Aber das spüren und erleben junge Autor/-innen nicht nur in der klassischen Arbeitswelt. Das erleben sie auch da, wo sie eigentlich damit rechnen könnten, dass die Einladenden auf ihre persönlichen Nöte und Befindnisse Rücksicht nehmen. Zum Beispiel bei den Aufenthaltsstipendien, die nicht so begehrt sind, weil sie für ein Weilchen eine gewisse Absicherung schaffen, sondern weil sie den Schreibenden die Chance geben, einmal aus ihrem Familientrott herauszukommen und Buchprojekte tatsächlich voranzutreiben.

Und dann merken sie spätestens, wenn sie die Modalitäten klären wollen, dass Kinder am Ankunftsort leider auch nicht erwünscht sind.

Zwei Leipziger Autorinnen – Katharina Bendixen und Sibylla Vričić Hausmann – und der Autor David Blum haben deshalb einen Blog eröffnet, auf dem genau diese Kümmernisse junger schreibender Eltern thematisiert werden: Bei Other Writers Need to Concentrate (www.other-writers.de) bloggen inzwischen rund 20 Autor/-innen – darunter Franziska Gerstenberg, Kirsten Fuchs, Selim Özdogan – über das Leben und Schreiben mit Kindern.

Es sind übrigens nicht nur Katastrophengeschichten. Die Texte erzählen von einem realen Alltag mit Kindern, von echten Abenteuern, von falschen Männer- und Frauenbildern, aber auch von Selbstausbeutung oder den patriarchalischen Vorstellungen von Kritiker/-innen, denen Geschichten mit Familie und Kindern drin immer zu popelig sind.

Manche stellen auch schon mal Ausschnitte aus fertigen oder halbfertigen Texten ein, die sich aber auch mit diesem großen Themenkomplex beschäftigen. Und natürlich reflektieren einige Beiträge auch die (seelischen) Belastungen aus dem Corona-Shutdown, erinnern also daran, dass junge Eltern in dem ganzen Schlamassel die eigentliche Hauptlast zu tragen hatten.

Außerdem gibt es Lektüreempfehlungen zum Thema Elternschaft und künstlerischer Prozess und Hinweise zur Familienfreundlichkeit von Aufenthaltsstipendien.

„Im Juli veranstalten wir mit Unterstützung der Stadt Leipzig Other Writers Readings, eine digitale Lesereihe mit vier Leipziger Autor/-innen“, kündigt Katharina Bendixen schon einmal an.

Und sie erklärt auch den Namen der Seite, der sich aus einem Mailwechsel mit einem Künstlerhaus erklärt.: „And sorry to tell you that we do not accept little kids as it really troubles other writers who need to concentrate“, war die Antwort auf eine Anfrage, ob die Möglichkeit bestehe, zu dem bereits zugesagten Aufenthaltsstipendium mit Familie anzureisen.

In Juli wollen die Other-Writers dann zu einer Online-Lesereihe einladen, die natürlich dieselben Themen anklingen lässt, die den seit Februar immer weiter wachsenden Blog beschäftigen.

Bei der Lesereihe „Other Writers Readings“ geben drei Leipziger Autor/-innen des Blogs (Franziska Gerstenberg, Marcus Klugmann, Sebastian Weirauch) sowie als Gast die Leipziger Autorin Kerstin Preiwuß Auskunft über das Leben und Schreiben mit Kindern und gewähren Einblick in ihr derzeitiges Schaffen. Die Lesungen haben eine Länge von ca. dreißig Minuten und werden vom 3. bis 24. Juli jeweils freitagabends auf YouTube und der Website www.other-writers.de online gestellt.

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