Alle zwei Jahre findet in Leipzig das Philosophie-Festival „Leipzig denkt“ statt. Seit letztem Jahr bekommen auch Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich in im Rahmen des Festivals „Was wäre wenn“ in Diskussionen über aktuelle ethische und politische Fragen auszutauschen. Auftakt war am Donnerstag, dem 16. November, unter dem diesjährigen Motto „Ich, Wir und die Anderen“. Zwei Tage lang konnten sich sowohl Schüler*innen als auch Lehrer*innen in Workshops und Seminaren weiterbilden. Veranstaltet wird das Festival vom Transformatorenwerk Leipzig e. V.

„Wir fanden das Thema besonders spannend“, so Tobias Würfel, Lehrer an der Luise-Otto-Peters-Schule, der mit einigen Schüler*innen an der Eröffnungsveranstaltung teilnahm. „Gerade in Zeiten von wachsendem Nationalismus und zunehmender Fremdenfeindlichkeit müssen wir dieses Thema auch vermehrt im Ethikunterricht angehen.“

„Das Festival eröffnet Denkräume für die Kinder und Jugendlichen, um gemeinsam Fragen wie den folgenden nachzugehen: Wie ist mein Verhältnis zu mir selbst und wie zu den anderen? Wann bilde ich mit anderen zusammen ein „Wir“? Was braucht es dafür und wie fühlt es sich an, ein „Wir“ zu sein, und „Wir“ zu sagen? Wie könnte es sich anfühlen? Kann man auch mit Tieren zusammen ein „Wir-Gefühl“ haben? Und wie ist es mit Bäumen oder der Natur im Ganzen? Und mit wem (welchen Menschen) möchte man lieber nicht ein „Wir“ bilden und warum? Und wie geht man mit diesen Anderen trotzdem um, dass es für alle o.k. ist?“, so Mitinitiator und -gründer von Leipzig denkt und Was wäre wenn Dr. Rainer Totzke.

Das Festival soll Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit bieten, eigene Perspektiven und Antworten zu erkunden und ihnen ein Gefühl für die „Freiheiten, die Möglichkeiten und die Abenteuer des Denkens“ geben. Auch das Sprechen und Zuhören sollen gefördert werden.

Eröffnungsveranstaltung zu Aliens, Science Ficition und „Dem Anderen“

Vor allem das Zuhören spielte in der Auftaktvorlesung mit Prof. Dr. Andreas Gelhard „Philosophie im Film: Aliens, Androiden und die Begegnung mit dem absolut Anderen“. Trotz typischem Vorlesungsstil, der vielen Studierenden der Uni Leipzig im fensterlosen Hörsaal 8 bekannt sein dürfte, nahmen 60 Personen an der Veranstaltung teil. Die Wortmeldungen waren rege und nahmen Bezug auf Rassismus und Kolonialismus im Vergleich mit Filmen wie „Avatar“.

Tobias Würfel wollte die Chance auch nutzen, um den Schüler*innen einen Einblick in die Uni an sich zu geben: „Natürlich ist die Aufmerksamkeitsspanne der Schüler*innen, wenn man sich selbst in die Schulzeit zurückdenkt, doch nicht so groß. Die Begrifflichkeiten sind auch andere. Aber zu sehen, wie viele Wissenschaftsbereiche sich überschneiden, gerade in der Philosophie zum Beispiel mit Psychoanalyse oder Filmkritik ist natürlich spannend.“

Die Workshops und Fortbildungen waren auch in diesem Jahr, so ein Sprecher des Festivals, gut besucht.

Lange Nacht der Philosophie

Parallel dazu fand am 17. November die 4. Lange Nacht der Philosophie im Budde-Haus statt. Der besondere Gast in diesem Jahr war der bekannte Jenaer Soziologe Hartmut Rosa. Der Titel lautet in diesem Jahr „Du musst dein Leben ändern!“? – Zur Revolution unserer Weltbeziehungen.

„Der Appell „Du musst Dein Leben ändern!“ und die Aufforderung zur „Selbsttransformation“ richtet sich nun schon seit längerem von vielen unterschiedlichen Seiten an uns: Die Lange Nacht lädt zum gemeinsamen kontroversen Nachdenken darüber ein, ob und welche Änderungen bzw. „Revolution(en) unserer Weltbeziehungen“ (Rosa) wirklich möglich und nötig sind und welche eher nicht. Besucher*innen können dabei an diesem Abend in unterschiedlichen Formen ihre eigenen Erfahrungen mit Transformation und Selbsttransformation in den gemeinsamen Denkraum ‚einspielen‘“, so Dr. Rainer Totzke.

Politik spiele dabei immer wieder eine wichtige Rolle. Weniger die Tagespolitik, als mehr das große Ganze: „Die Frage danach, wie wir als einzelne und als Gesellschaft leben können und sollten und wie beides dabei miteinander verschränkt ist.“

Die Veranstaltung im Budde-Haus war schon zwei Wochen im Voraus ausverkauft. Erwartet wurden rund 75 Gäste.

Die Grippe- und Corona-Saison hat begonnen. Gleichzeitig verschärft sich der Mangel an Allgemeinmediziner*innen beziehungsweise Hausärzt*innen in Sachsen. Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung droht ein „Praxenkollaps“: Die wohnortnahe und qualitative medizinische Versorgung stehe auf dem Spiel. Woran liegt es? Und wie ist die Lage in Leipzig?

Laut dem Leipziger Arzt Göran Wild stehen für jeden Patienten genau sieben Minuten zur Verfügung. Auf den Cent genau ist jeder Handgriff berechnet, schreibt er in seinem Buch „111 Gründe kein Arzt zu sein“. Die Budgetierung des Gesundheitssystems macht nicht nur Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und niedergelassene Arztpraxen auf dem Papier zu schaffen. Vor allem die Menschen, Ärzte, Pfleger*innen und Patient*innen, leiden darunter.

Cover Leipziger Zeitung Nr. 119, VÖ 24.11.2023. Foto: LZ

Währenddessen sind in Krankenhäusern ganze Abteilungen für die Abrechnung mit den Krankenkassen beschäftigt. Göran Wild schreibt, dass rund 20 Prozent der Krankenkassenbeiträge für deren Verwaltungsapparat draufgehen. Auch für die Hausärzt*innen laut der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS) sind neben Personalmangel und dem Kaputt-Sparen des Gesundheitssystems vor allem Bürokratie und mangelnde Digitalisierung das Problem.

„Jahrelange Sparmaßnahmen, fehlendes Personal und ein wachsender Bürokratieaufwand gefährden akut die Sicherstellung der wohnortnahen, flächendeckenden und qualitativ hochwertigen ambulanten medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung der Bürgerinnen und Bürger“, so eine Sprecherin der KVS. „Mit dem „PraxenKollaps“ setzen sich die KBV und die Kassenärztlichen Vereinigungen gegenüber der Gesundheitspolitik der Bundesregierung dafür ein, die medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten zukunftssicher zu gestalten und die ambulanten Praxisstrukturen zu stärken.“

Aktion gegen den #Praxenkollaps

Am 15. November dieses Jahres war der „Zero Pay Day“. Das heißt: Ungefähr 10 Prozent der Behandlungen, die niedergelassene Ärzt*innen vornehmen, werden nicht mehr vergütet. Oder, wie Bundesspitze des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes es formulierte: Insgesamt 75 Prozent der hausärztlichen Leistungen bleiben unvergütet. Deshalb lautet eine der Forderungen eine Abschaffung der Budgetierung der Praxen und eine Berücksichtigung der Kosten der Inflation. Außerdem werden mehr ambulante OPs, eine sinnvolle Digitalisierung, mehr Weiterbildungen, weniger Bürokratie und Abschaffung der Wirtschaftlichkeitsprüfungen von Praxen gefordert.

Kopfschmerzen macht den Allgemeinmediziner*innen auch die angesetzte Reform der Notaufnahmen. Mehr Arbeit soll dabei auf die Hausärzt*innen ausgelagert werden.

„Es ist fünf vor zwölf. Wenn die Politik nicht bald aktiv wird, wird es die medizinische Versorgung, so wie die Bürger sie schätzen, bald nicht mehr geben. Wir brauchen so viele Unterschriften wie möglich, um eine größtmögliche Sichtbarkeit für unser Anliegen zu bekommen“, betont der Vorstand der KBV auf seiner Webseite.

Vergütung der Ärzt*innen in Deutschland gedeckelt

Die Ärzt*innen in Deutschland erhalten ihr Geld zum Großteil von privat Versicherten Selbstzahler*innen und den Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Die sogenannte Gesamtvergütung, in die alle GKVs beitragen, wird unterteilt in die ungedeckelte Extrabudgetäre Gesamtvergütung (EGV) und die Morbiditätsbedingte Gesamtvergütung (MGV), die in Deutschland gedeckelt ist.

Die MGV wird je nach dem sogenannten „Morbiditätsfaktor“ eines Bundeslandes berechnet. Je mehr alte und kranke Personen in einem Bundesland leben und gesetzlich krankenversichert sind, um so höher die MGV, also auch das Budget. Zusätzlich verhandeln auf Bundes-, Landes- und Regionalebene die jeweiligen Kassenärztlichen Verbände mit den Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherungen Orientierungswerte für die Preise der medizinischen Behandlungen und auch über die Entwicklung der Morbiditätsraten. Unter anderem daraus ergibt sich die Festlegung der Krankenkassenbeiträge.

Wie sich das Hausärzte-Honorar zusammensetzt. Grafik: Kassenärztliche Bundesvereinigung
Wie sich das Hausärzte-Honorar zusammensetzt. Grafik: Kassenärztliche Bundesvereinigung

Fachgruppen wie Kinderärzt*innen oder Gynäkolog*innen bekommen einen Großteil ihrer Leistung von der EGV vergütet und sind dadurch weniger von der Budgetierung abhängig. Hausärzte jedoch werden zu großen Teilen aus der MGV bezahlt.

Deshalb forderte die Bundesspitze des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes anlässlich des 44. Hausärztinnen- und Hausärztetags, den Deckel von der MGV zu nehmen, eine sogenannte „MGV plus“.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach im September eine Frist zur Stellungnahme der Forderungen gegen den Praxenkollaps gesetzt. Diese verstrich ohne Antwort. Mitte Oktober startete eine Petition beim Deutschen Bundestag, um „die Politiker für die Probleme der ambulanten Versorgung zu sensibilisieren“, so heißt es auf der Webseite der KBV. Sobald der Petitionsausschuss sie freigegeben hat, kann sie auch online unterzeichnet werden.

Wie ist die Lage in Sachsen und Leipzig

In Sachsen waren laut der LVZ zum 1. Juli 2023 484 Praxiszulassungen ungenutzt, davon 430 für Hausärzt*innen. Im Jahr 2021 waren es insgesamt noch 434, davon 370 für die Hausärzt*innen. Die Anzahl der Sitze in einer Region wird in der sogenannten Bedarfsplanung im Gemeinsamen Bundesausschuss berechnet.

In Leipzig liegt der Versorgungsgrad bei 107,9 Prozent. Auf rund 1 535 Einwohner*innen kommt damit ein*e bedarfsplanungsrelevante*r Hausärzt*in. Damit sieht es in der Stadt deutlich rosiger aus als auf dem Land. Vor allem in kleineren Städten wie Annaberg-Buchholz, Werdau, Reichenbach, Weißwasser oder auch Stollberg liegt der Versorgungsgrad bei unter 80 Prozent, teilweise sogar unter 70 Prozent.

Zahlenmäßig fehlen die Hausärzt*innen vor allem in den größeren Städten. In Chemnitz beispielsweise gibt es 44,5 offene Zulassungsmöglichkeiten bei einem Versorgungsgrad von 83,5 Prozent. Auch Zwickau hat 25 offene Zulassungen, Versorgungsgrad bei 85 Prozent. Tendenziell lässt sich zum Vorjahr eine Abwanderung der Ärzt*innen in Richtung urbaner Räume beobachten.

Ländliche Regionen sind besonders vom Praxenkollaps betroffen. In der Bundespolitik und unter weiten Teilen der Bevölkerung findet das Thema jedoch noch kein Gehör. Das ist problematisch, denn wenn die Lage auch wegen steigender klimabedingter Gesundheitsprobleme und Alterung der Gesellschaft einmal kippt, lässt sich das Rad nicht so schnell zurückdrehen.

„Sprechen über Uns und die Welt: ‚Was wäre wenn‘ und ‚Lange Nacht der Philosophie‘“ erschien erstmals im am 24.11.2023 fertiggestellten ePaper LZ 119 der LEIPZIGER ZEITUNG.

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