Mit einer knapp zweistündigen Diskussion über die sogenannte Willkommenskultur in Deutschland ist am Freitagabend der Kongress „Welcome 2 Stay“ eröffnet worden. Die Initiatoren wollen an diesem Wochenende Willkommensbewegungen aus ganz Deutschland zusammenbringen, europäische Entwicklungen, Integrations-Lösungen und die Gleichheit der Menschen diskutieren. Schwerpunkt des mit zahlreichen Panels und Workshops gespickten Programms ist der Samstag.

Erfahrungsberichte, kämpferische Redebeiträge und erste Perspektiven für die zukünftige Ausrichtung antirassistischer Willkommensbewegungen prägten die Podiumsdiskussion am Freitagabend. Diese bildete den Auftakt zum Kongress-Wochenende „Welcome 2 Stay“ und widmete sich einführend dem „Jahrhundert der Migration“. Stadträtin Juliane Nagel (Die Linke) moderierte das Panel.

Vor Beginn der eigentlichen Diskussion präsentierten die Organisatoren des Kongresses eine Art Leitfrage für das Wochenende: Wie kommen wir vom Willkommen zum Bleiben? Zudem betonten sie, dass die Veranstaltung nicht zufällig in Sachsen stattfinde – dies sei als „symbolische Intervention“ gegen den hier besonders ausgeprägten Alltagsrassismus zu verstehen.

Das Panel drehte sich zunächst um die Frage, was eigentlich unter dem Begriff „Willkommenskultur“ zu verstehen sei. „Ich weiß es nicht“, gestand Massimo Perinelli vom Historischen Institut der Universität Köln. „Ich bin hier, um das herauszufinden.“ Er sprach von einem „historischen Momentum“, welcher derzeit zu spüren sei. Wenig Begeisterung für Teile der deutschen Willkommenskultur zeigte Tanja van de Loo, die im Bündnis „Recht auf Stadt“ in Hamburg organisiert ist: „Ich war nicht so entsetzt wie ich dachte, als ich die Bedingungen in Idomeni sah – ich kannte den Anblick zum Teil schon aus Hamburger Camps“. Der Begriff „Willkommenskultur“ selbst sei „total versaut“.

Von Erfahrungen in Griechenland wusste auch Nasim Lomani zu berichten. Er gehört zu einer Gruppe von etwa 400 Personen, die derzeit das Hotel City Plaza in Athen besetzt halten, um Geflüchteten dort eine menschenwürdige Unterbringung zu ermöglichen. Die griechische Regierung scheint dazu nicht in der Lage.

Livestream von den Podiumsdiskussionen am 10. Mai 2016 (Bilder ab Zeit -2:01)

Der Aktivist Turgay Ulu komplettierte die Runde. Er floh aus der Türkei, beteiligte sich an der Organisation eines Protestmarsches durch halb Deutschland und trat schließlich auf dem Berliner Oranienplatz in den Hungerstreik. Auf die Phase der „Willkommenskultur“ blickt er mit gemischten Gefühlen zurück. „Wir haben gesehen, wie die Refugees an den Bahnhöfen empfangen wurden. Aber das hat nicht lange angehalten. Die schöne Willkommensatmosphäre war nur ein Trugbild.“ Seine Kritik richtet sich unter anderem an die Bundesregierung, die die Rechte von Geflüchteten im Eiltempo beschnitten habe.

In Deutschland wünscht er sich eine ähnliche Bewegung wie aktuell mit „Nuit Debout“ in Frankreich. Geflüchtete, Arbeiter, Obdachlose und Antifaschisten müssten an einem Strang ziehen. „Wenn sich in Deutschland nichts ändert, wird auch in anderen europäischen Ländern nichts passieren. Es ist wichtig, hier etwas zu bewegen.“

Die Podiumsdiskussion war mehr als 30 Minuten später als ursprünglich geplant gestartet. Zahlreiche Teilnehmer waren noch mit dem Ankommen beschäftigt. Im „Pavillon der Hoffnung“ auf dem Alten Messegelände konnte man sich derweil auch anderweitig die Zeit vertreiben: Ausstellungen über die Balkanroute, Todesopfer rechter Gewalt in Leipzig und das Versagen des Verfassungsschutzes seit seiner Gründung erweckten das Interesse vieler Besucher. Nach Abschluss der Auftaktveranstaltung begaben sich die Teilnehmer nach draußen und feierten gemeinsam das Fastenbrechen. Für den weiteren Abend wurden Tanz und Filme angekündigt.

Der Schwerpunkt des Kongresses liegt jedoch auf Samstag. Über den Tag verteilt sind zwei weitere Podiumsdiskussionen sowie mehrere Dutzend Workshops geplant. Am Abend beginnt dann die eher experimentell angelegte „Lange Nacht der Visionen“. Die dreistündige Abschlussveranstaltung folgt am Sonntag. Sämtliche Angebote sind kostenlos und auch für nicht angemeldete Besucher geöffnet.

Das komplette Programm von “Welcome2Stay” im Internet
www.welcome2stay.org/de/programm/

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