Wo hat eigentlich Thomas Hartung, stellvertretender Landesvorsitzender der AfD Sachsen, seine Bauchschmerzen mit dem im Ventil Verlag erschienenen „Wörterbuch des besorgten Bürgers“? Na gut, die Alternative für Deutschland (AfD) kommt drin vor. Auf Augenhöhe mit Pegida, Legida und einigen namhaften konservativen Politikern, die seit zwei Jahren den Populisten spielen.

Wobei das Wort Populist selbst seine nicht ganz einfachen Implikationen hat. Politiker müssen ja auch manchmal volkstümlich sein, sich dem Volke (lateinisch: populus) verständlich machen. Und auch dessen Sorgen und Nöte kennen. Demokratien leben auch von diesem Gespräch vom Gewählten mit den Wählern. Wobei Populismus einen Beigeschmack hat. Meist meint man damit eher ein Andienen an bestimmte Stimmungen. Statt einer sachlich fundierten Politik wird eine Politik der Emotionen gemacht, werden Ressentiments bedient oder gar geschürt.

Denn zumindest den klügeren Politikern ist sehr wohl bewusst, dass dieses Zwiegespräch sich auch aufschaukeln kann. Gerade dann, wenn einige Teilnehmer der Diskussion nicht mehr sachlich diskutieren, auch nicht mehr auf die Argumente der anderen eingehen oder gar „denen da oben“ die Kompetenz absprechen. Weil die „Elite“ sind, irgendeine abgehobene Kaste, die „uns da unten“ nicht mehr versteht.

Übrigens alles nicht neu. Wen es interessiert (und wer keinen ausgiebigen Latein-Unterricht mehr mit Ciceros Reden hatte), dem können wir nun die mittlerweile auf drei Bände angewachsene Rom-Serie von Robert Harris ans Herz legen, in der eben der genannte Cicero die Hauptrolle spielt in jener Endphase der römischen Republik, als Demagogen und Populisten die fein austarierten Machtverhältnisse der Republik zerstörten und die Diktatur vorbereiteten. „Imperium“, „Titan“ und „Dictator“ heißen die Bände, die schon seit 2006 erschienen. Und wer sie gelesen hat, weiß, wie viel moderne Politikbetrachtung darin steckt und wie ähnlich einige europäische Verhältnisse diesen letzten Tagen der römischen Republik sind. Und auch schon 2006 waren, als der erste Band erschien.

Man kann das auf all die populistischen Machenschaften rund um den „Brexit“ beziehen. Aber es passiert derzeit überall in Europa, dass politische Karrieristen alle Register ziehen, nicht nur an die Macht zu kommen, sondern dabei auch den durchaus leicht verführbaren Populus einzuspannen für ihre Interessen.

Das Problem am Populismus ist nämlich, dass dem Volke zwar jede Menge Brot und Spiele versprochen werden. Um eine Besserung der Verhältnisse geht es den Populisten aber nie. Es geht für sie immer nur um Macht. Und – was auch Cicero mit purem Entsetzen erfüllte – um die Zerstörung der Demokratie. Populismus will das Gegenteil von Demokratie. Und das Erstaunliche ist, dass das nach 2.000 Jahren noch immer mit denselben Mitteln funktioniert.

Einige davon haben die Autoren des „Wörterbuchs des besorgten Bürgers“ sehr eindringlich beschrieben. Auch sehr emotional und moralisierend. Da hat Hartung sogar Recht. Die Autoren wollen tatsächlich emotionalisieren, anprangern und entlarven – auch wenn sie wenig Hoffnung haben, dass ausgerechnet „besorgte Bürger“ verstehen, was sie da schreiben.

Aber das Verblüffende ist: Hartung bestätigt die Analyse durch seine Reaktion. Denn er verwendet genau die rhetorischen Kniffe, die die Autoren des Wörterbuchs beschreiben und als Grundkonstante einer bewussten und systematischen Zerstörung gleichberechtigter Diskussion ausmachen. Denn das gehört ebenfalls zum Populismus: Die Behauptung, man habe „das Volk“ hinter sich, spreche allein dessen Interessen aus und sei Inhaber des einzig gültigen Standpunktes. Wozu dann auch gehört, dass man das Gegenüber systematisch abwertet, dessen Verhalten einfach zur Zumutung macht und ihn schlicht für inkompetent erklärt.

Wie es geht, zeigen wir einfach mal an Hartungs Meldung.

Der Einwurf von Dr. Thomas Hartung:

„AfD Sachsen: Leipziger Politikwissenschaftler dilettiert als Linkslinguist!
Dresden, 13. Dezember 2016

Die AfD Sachsen hat den Leipziger Politikwissenschaftler Robert Feustel als linkslinguistischen Dilettanten kritisiert. „Wer ein ‚Wörterbuch des besorgten Bürgers‘ verantwortet und darin gewöhnliche deutsche Wörter als ‚rechte Vokabeln‘, ja ‚rassistisch‘ diffamiert, muss sich fragen lassen, ob er überhaupt als Wissenschaftler wahrgenommen oder gleich als spinnerter Ideologe abgetan werden will“, empört sich Landesvize Thomas Hartung. „Ohne jede Empirie bspw. zu behaupten, dass ‚besorgte Bürger‘ (wer ist das eigentlich?) bestimmte Lexik nur ironisch nutzen, und diese Nutzung als verwerflich darzustellen ist ein schlimmes Beispiel für Postfaktizität, die nun offenbar auch die ehrwürdige Alma Mater Lipsiensis erreicht hat – an der einst immerhin Johann Christoph Gottsched lehrte.“

Für den Germanisten ist es eine Zumutung, wie Feustel in „bento“ sachlich falsch und zugleich subjektivistisch moralisierend manche Begriffe „abhandelt“. „Was sind denn ‚Nazi-Begriffe‘? Die wenigstens wissen etwa, dass ‚Entartung‘ auf den jüdischen Publizisten Max Nordau 1892 zurückgeht. Oder: Worten wie ‚Demokratie‘ die Verwendung gegen ihren traditionellen Sinn zu unterstellen und ‚straffe Führung‘ zu meinen ist nichts weiter als eine Interpretation. Auch Pauschalisierungen sind per se nicht negativ, jedes Curriculum verallgemeinert Bildungsfähigkeiten, jede Krankenkasse Erkrankungen, jeder Versicherer Versicherungsfälle. Und wer sarkastisch bis zynisch intendierte Tabubrüche nicht mehr versteht, sondern aus Denkfaulheit gleich ablehnt, offenbart damit mehr von sich selbst als von den Tabubrüchen. Nicht zuletzt ob des oft süffisanten, ja höhnisch-arroganten Tonfalls des ‚Wörterbuchs‘ dürfte sich Victor Klemperer im Grabe umdrehen!“

Wie Abwertung in Hartungs Stellungnahme funktioniert

Die Abwertung des Gegenüber steht gleich in der Überschrift. Robert Feustel wird von Hartung einfach zum Dilettanten und „Linkslinguisten“ oder gar „spinnerten Ideologen“ erklärt. Wenig später kehrt Hartung auch noch seine eigene Qualifikation als Germanist hervor, um zu betonen, dass er Feustel scheinbar als Wissenschaftler kritisiert. Was man machen kann. Aber das muss man belegen. Erst recht, wenn man dem Anderen Dilettantismus vorwirft.

Das Problem ist wohl: Hartung hat nur den Beitrag auf „bento“ über das Wörterbuch gelesen, das Wörterbuch selbst nicht. Denn wer es liest, käme nicht mal auf den Gedanken, ausgerechnet Viktor Klemperer, den Autor der „LTI“, gegen dieses Wörterbuch ins Feld zu führen. Denn es ist ein Buch ganz im Geiste Klemperers. Und Klemperer hätte Hartung die Behauptung ganz bestimmt nicht durchgehen lassen, im Wörterbuch seien „gewöhnliche deutsche Wörter als ‚rechte Vokabeln‘, ja ‚rassistisch‘ diffamiert“ worden.

Was nur nahe legt: Hartung hat das Wörterbuch nicht gelesen. Denn einige Stichworte stammen direkt aus dem Sprachschatz der Nationalsozialisten und werden auch genau so (wieder) benutzt. Und es ist auch nicht neu, dass viele dieser Begriffe von den Nazis gar nicht als Erste benutzt wurden – sie haben etliche dieser Begriffe von Anderen übernommen, oft umgedeutet oder auf völlig andere (gesellschaftliche) Felder übertragen. Dazu gehört der Begriff Entartung genauso wie Begriffe wie Lügenpresse, Volksgemeinschaft, Umvolkung oder völkisch.

Die AfD steht also nicht ohne Grund als Teil der großen Gruppe „besorgter Bürger“ mit im Buch, nach der Hartung fragt, als wäre das nicht benannt worden.

Nächster Schritt in seiner Volte: Er unterstellt die „sachlich falsche“ Abhandlung der Begriffe. Wer das Wörterbuch liest, merkt, dass es zwar sehr zugespitzt ist und an etlichen Stellen auch richtig sarkastisch. Sachlich falsch ist darin nichts. Aber das Wörterbuch selbst scheint bei Hartung gar keine Rolle zu spielen. Er behauptet einfach einen Zustand und empört sich dann darüber. Genauso, wie es die Autoren der Beiträge für einen Großteil des Standardvokabulars der empörten Rechten ausmachen können. Hartung bestätigt also den Mechanismus.

Dass die Autoren Demokratie ganz bestimmt nicht als „straffe Führung“ interpretieren, kann man im Wörterbuch nachlesen. Unter anderem im Beitrag zur „direkten Demokratie“. Aber wer sich ein wenig mit Rhetorik beschäftigt, merkt, wie Hartung mit jedem Satz weiter eskaliert. Übrigens ein Vorgang, der im Vorwort des Wörterbuchs ausgiebig beschrieben ist. Auch Hartung setzt sich nicht wirklich mit dem Inhalt des Wörterbuchs auseinander, sondern steigert sich in seinen Zuschreibungen und unterstellt – wem eigentlich genau? – „sarkastisch bis zynisch intendierte Tabubrüche nicht mehr“ zu verstehen und  „aus Denkfaulheit“ gleich abzulehnen. Man offenbare „damit mehr von sich selbst als von den Tabubrüchen.“

Womit Hartung bestätigt, wie sehr die Analysen im Wörterbuch stimmen. Denn genau das ist ja die Methode auch etlicher Akteure der AfD:  mit „sarkastisch bis zynisch intendierten Tabubrüchen“ immer wieder vorzupreschen und für mediale Aufmerksamkeit zu sorgen. Was bei einem oder zwei „Tabubrüchen“ wohl noch irgendwie einzuordnen wäre. Doch mittlerweile macht eine ganze Schar „besorgter Bürger“ mit Tabubrüchen ein dickes Geschäft – veröffentlicht Zeitschriften und Bücher, die so tun, als würden sie lauter Tabus brechen und Verschwörungen aufdecken. Möglichst laut, provokant und – ja – auch zynisch.

Ergebnis ist eine zerstörte Diskussion. Denn wer „die Anderen“ abwertet, ihnen wissenschaftliche und Sachkompetenz abspricht, der stellt sich über sie. Die Abwertung impliziert auch die Überheblichkeit. Der Sprecher belegt seine Position nicht mehr, sondern behauptet sie einfach – und unterstellt den Anderen einfach Dilettantismus. Sie hätten ja keine Ahnung. Hat Hartung nicht Viktor Klemperer oder sogar Johann Christoph Gottsched auf seiner Seite?

Bei Klemperer bin ich mir sicher, dass der ganz bestimmt nicht auf Hartungs Seite gewesen wäre. Dazu kannte der Dresdner Germanist die Funktionsweise der Sprache des Dritten Reiches nur zu genau. Und auch ihr Eskalationspotenzial und ihre systematischen „Tabubrüche“, die vor allem eins zum Ziel hatten: die Akzeptanz der Weimarer Republik zu zerstören. Auch die Nazis haben als Populisten angefangen. Am Ende sind aus ihren Worten Taten geworden.

Reagiert haben die Autoren des Wörterbuchs auch schon. Sie diagnostizieren bei Thomas Hartung schlicht mangelnde Lesekompetenz.

Rezension – Das Wörterbuch des besorgten Bürgers: Die sprachliche Analyse einer „Volksbewegung“, die keine ist

Das Wörterbuch des besorgten Bürgers: Die sprachliche Analyse einer „Volksbewegung“, die keine ist

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