Es gibt bekanntlich Filme und es gibt Filmchen. Einer der besten der ersten Kategorie war im vergangenen Jahr unweigerlich der britische Film „Suffragette“. Dieser Tage erinnerte ich mich wieder daran. Ich weiß noch: Wir kamen aus dem Dunkel des Kinosaals, so ein bisschen verpeilt wie man immer ist, wenn man von der Welt der Bilder unvermittelt wieder in die tatsächliche Welt zurückgespült wird, die Augen noch ganz klein, mühsam die Gefühle ordnend wie man es mit Kleidern tut.

Auf der nasskalten winterlichen Straße liefen wir als erstes zwei jungen Frauen mit stark gefärbtem Haupthaar, sehr kurzen Röcken, aber dafür sehr hohen Stiefeln mit Pfennigabsatz in die Arme. Arme, die irgendwo die Nacht umarmen wollten. Ich hatte erst den Eindruck, dass es sich hier um einen starken Kontrast zu dem eben noch Gesehenen handelte, aber ich glaube, ich irrte mich: Der Film „Suffragette“ handelt nicht von männer- oder sexualitätsfeindlichen Wesen, die keinen Spaß verstehen oder vor allem eines wichtig nehmen: sich. Er handelt viel mehr von Frauen, denen wir sehr, sehr viel zu verdanken haben. Von tapferen Wesen. Tapferen Wesen, die sich auf keinen Präzedenzfall in der Geschichte berufen konnten, um sich selber Mut zuzufächeln. Die einzig aus ihrer inneren Überzeugung handeln konnten, dass das, was sie erstritten, keine Frauenrechte waren, sondern MENSCHENRECHTE.

Wohlgemerkt alles erst vor etwa 100 Jahren.

Der Film ist wunderbar in seiner Wirkung, die einen ein bisschen klüger und demütiger werden lässt, vor allem aber durch seine vulnerable Hauptdarstellerin Carey Mulligan erzielt wird. Eine junge Frau, die mit einem sanften, schön geschwungenen Gesicht so viel Hoffnung in die Welt hineinleidet, um im nächsten Augenblick wieder trotzig dagegen anzulächeln. Meine Güte, dachte ich damals, die Demokratie ist wahrlich noch ein Fohlen. Sie stakst noch immer auf wackeligen, fragilen Beinchen.

Dieser Tage kommt mir das alles wieder in den Sinn. Mitte Oktober ging bekanntlich eine erneute Sexismus-Debatte los, ausgelöst auch durch das Facebook-Posting der jungen Staatssekretärin Sawsan Chebli, die ohne Zweifel jung UND schön ist, dies aber in beruflich-offiziellem Kontext wenig thematisiert haben möchte. Man könnte dies ja zumindest erst einmal so hinnehmen. Stattdessen rollten mal wieder Empörungswellen in Tsunami-Größe über die Netzwerke.

Erbitterte Gegner wollten der SPD-Politikerin Böses. Unterstellten in Kindergartenmanier, dass „schön“ etwas anderes sei, wurden persönlich. Andere wollten ihr ein Kopftuch verpassen oder noch mehr Verhüllung, auf dass sie sich nicht mehr beschwere, sprich: den Mund halte.

Konservative Kolumnistinnen sprangen herbei. Machten sich lustig über so viel Sensibelchen-Geschrei, schlugen ebenfalls die Burka vor. Solidarität reicht da offensichtlich nicht selten nur von der Wand bis zur Tapete. Manchmal habe ich tatsächlich den Verdacht, dass manche Menschen im Herzen einfach eine Kammer zu wenig haben. Vielleicht sind manche schlichtweg wirklich so angelegt. Ich frage mich trotzdem, was ist da gerade schon wieder los mit uns?

Natürlich kann man unterschiedlicher Ansicht darüber sein, wann von „Sexismus“ die Rede sein darf. Wenn ein harmloses Kompliment in den falschen Hals oder besser in falsche Ohren  kommt, kann es zurzeit schiefgehen. Das macht die Männer ein bisschen unsicher. Ich kann das auch auf deren Seite nachvollziehen. Aber es gibt viel unaufgedeckte Gewalt in dieser Hinsicht. Und die darf meines Erachtens auch jederzeit ans Licht gezerrt werden. Im Grunde wünsche ich mir eine Welt voller Frauen und Männer. Die ihre Eigenheiten haben und selbstbestimmt leben können.

Und dazu gehört für mich ein Typus Frau, der die Sache pragmatisch nimmt. Der weiß, wie das Leben so sein kann, der weiß, wie der Hase läuft und die Männer halbwegs ticken. Und diese mögen. Vielleicht tragen diese Frauen sogar Kopftuch. Ich finde, das schließt sich gar nicht aus. Frauen ohne und mit Kopftuch können auch andere Frauen mögen, weil sie vieles erkennen in ihnen, in ihrem Schicksal und dem eigenen. Ich würde es schön finden, wenn die Grundvoraussetzung lautete, dass der Mensch den Menschen zunächst verstehen möchte.

Ob das gelingt, ist dann schon große Kunst.

Aber versuchen könnte man es man ja zumindest mal.

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