Für viele kommt es überraschend: Die SPD, seit Jahren bundesweit in den Umfragen um 15 % herum dümpelnd, überholt die CDU/CSU bei den Meinungsumfragen – und das wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 26. September 2021, d. h. während des Wahlvorgangs; denn seit einer Woche ist die Briefwahl in vollem Gange.

Nun wird in den Medien der Meinungsumschwung auf die Wirkung der drei Kanzlerkandidat/-innen Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grünen), Armin Laschet (CDU/CSU) und Olaf Scholz (SPD) zurückgeführt – wobei die hohen Zustimmungswerte für Scholz mit der Schwäche von Baerbock und Laschet erklärt werden.

Doch bei genauerer Betrachtung ist das nur ein Teil der Erklärung. Denn eigentlich war seit Beginn des Jahres klar: In dem Moment, in dem die CDU/CSU ihren Kanzlerkandidaten küren wird, wird auch dem/der letzten Wähler/-in bewusst: Angela Merkel steht nicht mehr zur Wahl. Damit aber beginnt der Niedergang der CDU/CSU, der vom YouTuber Rezo schon vor zwei Jahren vorausgesagt wurde und nunmehr bekräftigt wird. Daran hätte auch ein Kanzlerkandidat Markus Söder (CSU) nichts geändert.

Warum das so ist? Angela Merkel war/ist die sozialdemokratischste Kanzlerin, die Deutschland je hatte. Von ihren 16 Jahren Kanzlerinnenschaft waren 12 gut und vier miserabel, nämlich die Koalitionsregierung CDU/CSU/FDP von 2009–2013. Es waren politisch gesehen vier verlorene, für den Steuerzahler sehr teure Jahre. Man denke nur an den Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomenergie, der nach Fukushima zum Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg wurde.

Das kostete am Ende den Steuerzahler fünf Milliarden Euro. In den 12 Jahren der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD (2005–2009, 2013–2021) konnte sich Merkel immer auf die SPD und ihre Minister/-innen verlassen. Das Fatale für die SPD war nur: Ihre Erfolge wurden von Merkel auf die CDU umgeleitet. Das erklärt nicht alles am vermeintlichen Niedergang der Sozialdemokratie, aber sehr vieles. Damit ist jetzt aber Schluss. Jetzt dämmert vielen Menschen: Wer will, dass es in Deutschland einigermaßen gerecht zugeht, der muss SPD wählen.

Wer will, dass Deutschland auf den Klimawandel die richtigen Antworten gibt, der hat jetzt die Chance, für eine rot-grüne Koalition zu werben und zu stimmen. Nach den letzten Umfragen besteht tatsächlich die Aussicht, dass es am 26.09.2021 für eine Koalition von SPD und Grünen reichen könnte – unter der Voraussetzung, dass Die Linke unter die fünf-Prozent-Hürde rutscht. Das wäre dann eine Bundesregierung der Erneuerung. Und gleichzeitig bekommt die oft gestellte Frage „Wozu braucht Deutschland noch die Sozialdemokratie?“ eine bejahende Antwort.

Bleibt die Frage: Warum stürzen CDU/CSU in den Umfragen so ab? Weil viele Bürger/-innen diesen Parteien unter Laschet/Söder/Merz/Maaßen/Glöckner/Scheuer/Altmaier keine Erneuerung zutrauen, aber eine Zementierung der sozialen Ungleichheit befürchten, insbesondere in einer Koalition unter Beteiligung der FDP.

Darum kommt es jetzt darauf an, dass SPD und Grüne so stark wie möglich werden – damit es möglicherweise für Rot-Grün reicht. Kaum jemand hätte sich eine solche Perspektive vor einigen Wochen vorstellen können. Jetzt aber ist diese Möglichkeit zum Greifen nah – auch und vor allem, weil die SPD mit Olaf Scholz einen Kanzlerkandidaten präsentiert, der eine hohe Kompetenz aufweist, über Regierungserfahrung in der SPD/Grüne-Koalition verfügt und in der Lage ist, unaufgeregt Krisensituationen zu steuern und auf internationalem Parkett.

Maßgeblich ist aber auch, dass die SPD ein Programm aufgelegt hat, das auf die Herausforderungen Klimaschutz, Corona-Pandemie, soziale Gerechtigkeit, europäische Einigung reagiert und Leitlinien entwickelt.

Zum Blog von Christian Wolff: http://wolff-christian.de

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