Wie wahrscheinlich jeder Mensch habe ich mir als Teenager gedanklich eine kleine Bucket-List mit Dingen angelegt, die ich gerne in meinem Leben erfahren, erleben und auch haben wollte oder immer noch möchte. Mit der Zeit wurde hinter manchen Wünschen ein Häkchen gesetzt.

Dabei hat sich auch recht schnell herauskristallisiert, welche Punkte dringend noch angegangen werden sollten und welche optional zwar noch draufstehen, aber nicht zwingend in Erfüllung gehen müssen. Zumal ich zu der Erkenntnis gekommen bin, dass gewisse Träumereien doch nur aus der Distanz wie unfassbar schöne Diamanten glitzern und aus nächster Nähe sich doch nur als bedeutungslose Alufolienreste offenbaren.

Es soll hier aber weder darum gehen, welche Dinge bereits realisiert worden sind, noch um die Punkte, die an Bedeutung eingebüßt haben. Es werden gleich mehrere Wünsche aus drei unterschiedlichen Bereichen meines Lebens beschrieben, die mir sehr am Herzen liegen.

Bereich I: Beruf

Von Beruf her bin ich Medienpädagoge. Nicht nur ich beobachtete in den letzten Jahren, dass es vielen Menschen immer schwererfällt, sich im Dickicht des täglichen Informationsdschungels zurechtzufinden. Wann sind Quellen seriös und wann unseriös? Welche Nachrichten sind glaubwürdig und welche unglaubwürdig? Und wie kann ich das eine von dem anderen unterscheiden?

Die daraus resultierenden Unsicherheiten werden dadurch noch zusätzlich verstärkt, indem Desinformationen – also Lügen – von meist undemokratischen Gruppen bewusst gestreut werden, um die öffentliche Meinung zu den eigenen Gunsten zu beeinflussen. Aber nicht alle Falschmeldungen sind dabei automatisch gelogene Desinformationen, sondern sie können auch Folge schlechter Recherchearbeit oder fehlender Quellenvergleiche sein.

Genau! Spätestens hier wird deutlich, wie kompliziert dieser ganze Themenkomplex eigentlich ist. Und wie auf jeden komplexen Sachverhalt wird es auch hier keine einfachen Antworten geben. Deshalb wünsche ich mir bundesweit an allen Schulen ein verpflichtendes Unterrichtsfach, in dem sich bereits Schüler/-innen intensiv mit diesen Schwerpunkten und auch anderen Herausforderungen auseinandersetzen, die eine immer mehr medial geprägte Realität mit sich bringt. Auch in Volkshochschulen sollten vergleichbare Angebote verstärkt für interessierte Erwachsene ausgebaut werden.

Weitere wichtige Stichpunkte neben Fake News sind beispielsweise Hate Speech oder Cybermobbing. Allein bei den aktuellen Themen wie der Corona-Impfung oder dem Krieg in der Ukraine lässt sich sehr gut erkennen, welche Macht strategische Desinformationskampagnen in Zeiten Sozialer Netzwerke haben. Schon jetzt lässt diese Entwicklung unsere demokratische Grundordnung spürbar wackeln. Somit ist nicht nur aus meiner Sicht die Medienkompetenz bereits jetzt schon ein wichtiger Pfeiler unserer Demokratie.

Bereich II: Musik

Mein zeitintensivstes und teuerstes Hobby ist die Musik. Sie ist vielleicht auch der erste bewusste Wunsch überhaupt gewesen, den ich gezielt verfolgt habe. Dabei spielte mir in die Karten, dass ich früh einen Menschen kennengelernt hatte, der in diesem Punkt dieselben Absichten anstrebte wie ich: eine Band gründen.

Mittlerweile ist diese Person mein langjährigster Freund und noch immer machen wir gemeinsam Musik und nehmen Platten auf. Die Musik ist sehr wahrscheinlich auch der Hauptgrund, warum wir auch heute noch sehr gut befreundet sind. Wir ergänzen uns prima und kennen uns mittlerweile in- und auswendig.

Einher mit diesem Traum ging in der zehnten Klasse auch eine einschneidende Entscheidung: entweder E-Gitarre mit Verstärker oder mit einem Teil meines Jahrgangs drei Wochen nach New York fliegen. Beides konnte ich mir für das Geld nicht leisten, das ich mir während meiner harten Ferienjobs im Straßenbau verdient hatte.

Ich wollte beides unbedingt. Diese Entscheidung zu treffen, war wirklich schwierig für mich. Ich empfand sie sogar als sehr ungerecht. Aber es half nichts. Letztlich habe ich mich für die E-Gitarre mit Verstärker entschieden.

Lange Zeit war ich mir tatsächlich nicht sicher, ob ich nicht vielleicht doch hätte mit nach New York fliegen sollen. Nach elf Alben, an denen ich bisher beteiligt gewesen bin, und unzähligen kleinen und großen Konzertabenteuern in den verschiedensten Städten und Ländern weiß ich mittlerweile ganz genau, dass es die richtige Entscheidung war. Selbst in England durfte ich bereits dreimal auftreten. Somit kam auch das Reisen dabei definitiv nicht zu kurz.

Aber was wünsche ich mir denn eigentlich noch? Ich wünsche mir von Herzen, dass es mir in den nächsten Jahren noch möglich sein wird, Konzerte zu spielen, Musik mit befreundeten und sympathischen Menschen zu kreieren und aufzunehmen. Denn Musik ist eigentlich kein Hobby mehr für mich. Sie ist mittlerweile Ausdruck meiner Persönlichkeit geworden. Durch sie durfte ich Personen kennenlernen, die ich zu meinen besten Freund/-innen und Lieblingsmenschen zählen darf.

Sie ist Alltag und hilft mir neben Therapie und Medikamenten sehr dabei, einen besseren Umgang mit meiner Depression und mit mir zu finden. Sie hilft mir, das Weltgeschehen besser zu verarbeiten, indem ich sogar gelegentlich Themen, die mich sehr beschäftigen, mich manchmal runterziehen oder sogar wütend machen, künstlerisch in Liedtexten verwerten kann.

Die Musik gibt mir die Chance, meinen Gedanken und Gefühlen eine Form zu geben. Überhaupt habe ich durch das Schreiben von Gedichten erst gelernt, mein Innenleben zu verbalisieren und über meine Gedanken und Emotionen zu reden. Aus diesem Grund wünsche ich mir, dass jeder Mensch etwas für sich in seinem Leben findet, das ihm so viel Halt, Gutes und Schönes gibt wie mir die Musik.

Bereich III: Depression

Stand da gerade etwas von Depression? Ja. Richtig gelesen. Ich leide inzwischen seit etwa 27 Jahren an einer mittelschweren Depression, die in regelmäßigen Abständen zu schweren depressiven Episoden führt. Lange Zeit war mir nicht bewusst, dass ich überhaupt unter einer Depression leide. Ich dachte früher schlichtweg, ich bin zu inkompetent, um mit Leichtigkeit mit anderen zu kommunizieren oder länger in einem sozialen Gefüge zu funktionieren. Oft war es aber einfach nur sehr anstrengend für mich. Ich dachte, es liegt nur an mir. An dem Menschen, der ich war.

Eine Ursache dafür dürfte sein, dass mir oft gesagt wurde, ich solle mich nicht so haben. So schlimm sei es doch gar nicht. Nicht selten kam der Vorwurf, dass ich nahestehende Menschen sehr traurig mache durch mein distanziertes Verhalten und ich müsse mich doch mal in die andere Person hineinversetzen. Daraus ergab sich dann irgendwann die Konsequenz, dass ich mich gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Welche Bedürfnisse oder Wünsche ich hatte, konnte ich nicht mal mehr benennen.

Das Leben fühlte sich so meistens wie eine Pflichtveranstaltung an, wie ein trostloser Ort, an dem ich gar nicht mehr sein wollte, aber irgendwie musste, weil es sich andere von mir wünschten. Ich fühlte mich unter den meisten Menschen und vor allem in größeren Menschenmengen häufig ziemlich unwohl.

Lange Zeit war ich nicht imstande, professionelle Hilfe zuzulassen. Denn durch die gesellschaftliche Stigmatisierung empfand ich wie andere es als ein Tabuthema. Auch in der Familie und im Freundeskreis gab es schon mehrere Fälle von Depression. Ich wollte nicht der Nächste sein mit diesem Makel und mir selbst keine Schwäche eingestehen. Kein Scheitern zulassen.

Bis ich dann doch krachend gescheitert bin. Einfach weil ich sehenden Auges mit 250 km/h gegen die sich rasant nähernde Wand fahren wollte. Glücklicherweise blieb es bei suizidalen Gedanken. Aber mein Leben habe ich in Scherben zerschlagen, sodass kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Ein Leben, das ganz ohne Depression wirklich nicht besser und schöner hätte sein können. Nur konnte ich dieses Leben nicht mehr fühlen und dadurch nicht mehr wertschätzen. Mir war im Grunde wirklich alles egal.

Titelblatt der Dezember der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 109.
Titelblatt der Dezember der LEIPZIGER ZEITUNG, LZ 109. Foto: LZ

Diese massive Gleichgültigkeit ist einer der gefährlichsten Zustände in der Depression. Zumindest ist das bei mir so. Zu diesem Zeitpunkt war sie aber meine Retterin. Denn diese Gleichgültigkeit ließ den pragmatischen Schluss zu, sich wenigstens einmal so richtig in Therapie zu begeben.

Die vordergründige Zielsetzung war zwar, mir selbst zu beweisen, dass auch das nicht helfen würde. So hätte ich jedenfalls allen gezeigt, dass ich wirklich alles versucht habe. Therapie bedeutete in diesem Fall zunächst 3 ½ Wochen Psychiatrie, um emotional wieder stabilisiert zu werden. Später war ich dann weitere zehn Wochen stationär in einer psychosomatischen Klinik in Behandlung.

Was soll ich sagen? Es hat geholfen. Auch wenn keine Wunder eingetreten waren, die ich mir anfangs schon irgendwie erhofft hatte. Aber so einfach ist es eben nicht. Die Depression wird wohl ewige Begleiterin bleiben. Aber ich habe verstanden, dass ich sie akzeptieren muss, um gegen sie gewappnet zu sein.

Nach dem stationären Aufenthalt war zumindest genügend Zuversicht zurückgekehrt, aktiv die Scherben mit professioneller Hilfe und freundschaftlicher Unterstützung wieder zusammenzusetzen. Vieles war zwar danach nicht mehr so, wie es war.

Aber die wichtige Erfahrung, nicht verstoßen zu werden, nicht ausgegrenzt oder gemieden zu werden für mein zuvor sehr destruktives Verhalten, offenbarte mir, dass die Befürchtung völlig unnütz war und ich mir viel eher hätte professionelle Hilfe holen sollen, auch weil ich so schon viel früher mein näheres Umfeld massiv hätte entlasten können.

Nach diesen Erfahrungen wünsche ich mir, dass Depressionen nicht mehr stigmatisiert, sondern ernst genommen werden. So würden sich vermutlich viele Menschen viel früher in Therapie begeben, als es mir möglich war. Es muss nicht der absolute Tiefpunkt erreicht werden, bis eine Therapie als sinnvolle oder notwendige Option erkannt wird.

Ich wünsche mir, dass sich Wartezeiten auf einen Therapieplatz massiv verkürzen, denn bei Depression zählt unter Umständen jeder Tag. Ich bin froh, dass Menschen wie Nora Tschirner, Thorsten Sträter oder Kurt Krömer über ihre Depressionen sprechen und eigene Erfahrungen öffentlich thematisieren. Somit können Vorurteile abgebaut und ein breites Verständnis für diese Krankheit ermöglicht werden.

Ich wünsche mir auch, dass mutige Menschen wie die drei genannten Beispiele Vorbild für diejenigen sind, die immer noch mit Ängsten zu kämpfen haben. Mein Wunsch an euch: Holt euch bitte Hilfe. Es lohnt sich!

Schließen möchte ich mit folgender Bitte: Seid gut zu anderen und vor allem zu euch selbst. Tut, was ihr liebt, und setzt euch bewusst Pausen, damit es euch gutgeht, denn nur so könnt ihr auch wirklich nachhaltig gut zu anderen sein. Und sprecht bitte mit Vertrauenspersonen über eure Gedanken und Gefühle, denn oft sind danach Kopf und Herz nur noch halb so schwer und Mitmenschen verständnisvoller.

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„Wenn Leipziger/-innen träumen: Meine drei Wünsche“ erschien erstmals am 16. Dezember 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 109 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.

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