Dem deutschen Bundesminister der Finanzen kann man nachsagen, was man will, ein unerschütterliches Selbstbewusstsein (manche behaupten es wäre Arroganz) kann man ihm nicht absprechen. So zu sehen und zu hören bei der Demonstration der Landwirte am 15. Januar 2024 in Berlin. Warum war Lindner eigentlich dort?

Am Anfang seiner Rede mischte sich der Präsident des Deutschen Bauernverbandes Joachim Rukwied ein und rief die Protestierenden zur Ruhe auf, Christian Lindner bedankte sich dafür und für die Einladung durch Herrn Rukwied.

Joachim Rukwied hat ihn also eingeladen. Er stellt sich gern als Landwirt dar, ist aber auch Aufsichtsratsmitglied bei Südzucker, der BayWa und der KfW. Durch diese und andere Mandate hatte er 2020, laut Monitor-Recherche, Nebeneinkünfte von 167.000 Euro. Mit 100.000 Euro EU-Subventionen lt. Spiegel-Recherche, gehört er also zur Lieblingsklientel von Christian Lindner.

Aber zurück zum Finanzminister und seiner Rede.

Eine Eigenart solcher Reden, im speziellen Fall vor einem Publikum, das diese Rede nicht hören will, ist ja, dass sie nicht für die Anwesenden, sondern für Menschen, die sich später damit befassen, gehalten wird. Da stört es nicht, wenn gepfiffen und gebuht wird und somit 90 % kaum etwas hören.

Das Publikum

Es ist immer die Rede von Bauern. Ohne die Berechtigung der Proteste in Frage zu stellen, muss man sich fragen: Bei der Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe, die seit Jahrzehnten durch Höfesterben und Konzentration auf große Betriebe geprägt ist, wer nahm eigentlich an den Protesten teil?

Schaute man sich Interviews mit Protestierenden an, dann stand beim Namen oft „angestellter Landwirt“ oder aus dem Gespräch kam heraus, dass der Betreffende im Unternehmen XX arbeitete.

Man kann davon ausgehen, dass ein großer Teil des Protestes von angestellten Landwirten mit Traktoren ihres Arbeitgebers, durchgeführt wurde. Die Kleinbauern mit Flächen bis 50 oder max 100 ha holen sich meist die Maschinen vom Maschinenring und werden wohl eher nicht nach Berlin gefahren sein.

Es ist also auch möglich, dass Angestellte von Herrn Rukwied darunter waren. Das ist allerdings eine Vermutung und nicht belegt.

Der Anfang

Christian Lindner hätte ja seine Rede damit beginnen könne: „Liebe Landwirte, als ihr Finanzminister habe ich die Vorlage zur Abschaffung der Steuerbegünstigung für landwirtschaftliche Fahrzeuge und Agrardiesel, erarbeitet von meinem Ministerium, zu verantworten.“

Vielleicht hätte ihm das Aufmerksamkeit gesichert, ob er sich dafür danach entschuldigt hätte oder diese Vorlage verteidigt hätte, sei dahin gestellt.

Das wäre zu viel verlangt, also redete er lieber über die ausgebliebenen „schrecklichen Bilder“ die er befürchtet hatte. Sieht man ab von Galgen mit der Ampel und anderen „fraglichen Inhalten“ auf Plakaten, dann sind diese wohl auch wirklich ausgeblieben – Berlin steht noch.

Der Verständnisvolle

Christian Lindner hat selbstverständlich Verständnis für das Anliegen der Protestierenden. Ahnung von der schweren Arbeit hat er auch, ist er doch neben Wiesen und Feldern aufgewachsen. Außerdem ist er Jäger, versteht etwas vom Wald, und als Hobbyreiter ist er nach dem Ausmisten des Pferdestalls immer ziemlich fertig. Wenn die Masse das verstanden hätte, wäre Platz für einen Lacher gewesen.

Die Landwirtschaft schützt schließlich unsere Umwelt, das muss man bringen, wenn man eine Minute davor daran erinnert hat, vier Jahre vorher gegen die Düngeverordnung, als ideologische Politik bezeichnet, gewesen zu sein.

Lob der Form des Protestes

Da kommen die Klima-Kleber, die das Brandenburger Tor beschmiert haben, ins Spiel. Der zeitliche Aspekt erscheint hier wichtig, sind doch genau diese „linksextremistisch unterwanderten Gruppen“ am Vortag unter anderem in Berlin und am selben Tag in mehreren Städten ein wichtiger Akteur der Massenproteste gegen die Gefahr von rechts. Die nachfolgende Aufforderung an Politik und Medien, den „Linksextremismus der Klima-Kleber“ zu verurteilen, ist billiger Populismus. Oder ist es sein Versprechen, wie er künftig handeln will?
Besonders ärgert es Lindner aber, dass er vor den Landwirten über Kürzungen reden muss und Menschen für Nichtstun Geld bekommen. Die Volte zu den „Jobverweigerern“ muss man erst mal hinbekommen.

Diese Politik aber auch

Besonders mit denen in der Politik hat es Christian Lindner gern. Wer war doch gleich Regierungsmitglied?
„Ich will, dass die Politik den Landwirtinnen und Landwirten vertraut, statt in die Betriebe hinein zu regieren!“ sagt er und „Es muss enden, dass Politologen und Juristen ihnen erklären, wie sie Böden bewirtschaften, von denen ihre Familien seit Generationen leben.“ Ja, Christian Lindner, der im Hauptfach Politikwissenschaft studierte, weiß das.

Lindner der Vollblut-Berufspolitiker fordert sich selbst auf, die Finger von der Wirtschaft zu lassen. „Hineinregieren“ ist ja nicht nur die Reglementierung durch berechtigte, teilweise auch unberechtigte, Auflagen für Wirtschaftszweige. Auch Subventionen sind „hineinregieren“, Subventionen sind an Auflagen gebunden. Dazu die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: „Die Direktzahlungen sind unmittelbar an die Einhaltung zahlreicher Auflagen gebunden (sog. ‘Cross-Compliance-Instrument’).“ Ist Christian Lindner gegen Subventionen, die an Auflagen gebunden sind?

Die Regierung spart ja auch, sagt er. Besonders natürlich Christian Lindner, der den Bau des neuen Finanzministeriums gestoppt hat. Da müssen die armen Beamten eben zusammenrücken.

Harte Arbeit

„Ich bin gegen ideologische Politik“ und „Ich bin für Politik, die nachhaltiges Unternehmertum stärkt“. Und dann die Aussage, dass die Landwirtschaft keine Branche wie jede andere ist – sie fordert nämlich harte Arbeit.

Nicht nur Industriearbeiter, sondern auch zum Beispiel Kranken- und Altenpfleger werden sich hier persönlich angegriffen fühlen, wenn Lindner versucht, sich bei den Bauern einzuschleimen.

Der Finanzminister spricht

Auch das kann Christian Lindner: Seine Funktion beschreiben, wenn er darüber spricht, dass er das Geld der Bürgerinnen und Bürger verwaltet, dass Zinsen keine Investitionen sind und dass die Politik lernen muss, mit dem Geld, welches die Bürger zur Verfügung stellen, verantwortungsvoll umzugehen.

Schönheitsfehler gibt es aber auch da: So lehnt er Steuererhöhungen in Bausch und Bogen ab – weil eine Erhöhung der Einkommenssteuer gerade die Anwesenden beträfe.

Warum redet er nicht von einer, von ihm auch abgelehnten, Vermögenssteuer für wirklich große Vermögen? Na gut, da hat er eine kleine Gruppe, die das beträfe.

Letztendlich lehnt er aber eine komplette Rücknahme des Auslaufens der Subventionen für Agrardiesel ab, weil ja andere auch Opfer bringen. Das haben wahrscheinlich die meisten Anwesenden gehört.

Fazit: Trotz, oder gerade wegen des zur Schau getragenen Selbstbewusstseins ist Lindners Rede mehr die eines Oppositionsführers als eines Regierungsmitglieds. Die Frage stellt sich: Ist das Wahlkampf oder die Vorbereitung auf ein Leben nach der Politik?

Das gezeigte unerschütterliche Selbstbewusstsein wünscht man sich aber manchmal von anderen hochrangigen Politikern, zum Beispiel vom Bundeskanzler.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Der Auftritt war der verpasste Moment zur Aufkündigung der Koalition, wie Zastrow schrieb.

Schreiben Sie einen Kommentar