Was macht man eigentlich mit dem Altar eines berühmten Malers, von dem nur noch die Seitenflügel existieren? So, wie es mit dem Marienaltar von Lucas Cranach d. Ä. war, den dieser 1519 für den Westchor des Naumburger Doms gemalt hatte. Schon 1541 waren die großen Mitteltafeln zerstört worden, und damit gerade jene Mariendarstellung, die für den Marienaltar zentral waren.

Aber gibt es da nicht in Leipzig einen Maler, der sich wie kein anderer wieder mit der christlichen Malerei der Renaissance beschäftigte?

Gibt es: Wenn man von einem Maler erwarten kann, dass er sich in die Bildsprache der Renaissance einfühlen kann, dann ist es Michael Triegel, auch wenn er gern auch mit einer Symbolik arbeitet, die man so bei den großen Malern der Lutherzeit nicht findet.

Aber es sollte ja auch kein „nachgemachter Cranach“ werden, was sich die Vereinigten Domstifter für den wieder vervollständigten Marienaltar wünschten. Die Bildsprache sollte sich ergänzen, aber sollte ergänzend zu Cranachs Seitentafeln eben auch eine heutige sein. Eine, die auch die Besucher des Doms anspricht. Am Sonntag, 3. Juli, kam zum Abschluss, was 2019 mit einer freundlichen Anfrage bei Michael Triegel begonnen hatte.

Das Projekt Marienaltar

Das in den ersten Anfängen seit Oktober 2019 von den Vereinigten Domstiftern initiierte und inhaltlich von der Evangelischen Kirchengemeinde Naumburg mitgetragene und von den Bischöfen der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands und des katholischen Bistums Magdeburgs lebhaft unterstützte Vorhaben hat zum Ziel, die spirituelle Anziehungskraft des Naumburger Doms zu erhöhen.

Das Hauptaugenmerk lag von Anfang an darauf, das 1519 von Lucas Cranach d. Ä. für den Marienaltar im Westchor geschaffene Altarretabel, von dem nur noch die beiden Seitenflügel erhalten geblieben sind, durch den Leipziger Künstler Michael Triegel durch eine neue Mitteltafel wiedererstehen zu lassen und liturgisch in den Dienst der Verkündigung zu stellen.

Die Rückseite des Marienaltars. Foto: Vereinigte Domstifter / Falko Matte/ VG Bildkunst Bonn 2022
Die Rückseite des Marienaltars. Foto: Vereinigte Domstifter / Falko Matte / VG Bildkunst Bonn 2022

Am Sonntag, 3. Juli, fand das spektakuläre Naumburger Altarprojekt „Triegel trifft Cranach“ seinen erfolgreichen Abschluss. Da wurde das Altarretabel im Westchor des Naumburger Doms in einer Ökumenischen Vesper geweiht. Die feierliche Vesper wurde gestaltet von und mit Landesbischof Friedrich Kramer und Bischof Dr. Gerhard Feige, dem Domkapitel der Vereinigten Domstifter sowie Regionalbischof Dr. Johann Schneider und Domprediger Michael Bartsch.

Musikalisch begleitet wurde die Vesper u. a. vom Leipziger Vokalensemble Amarcord, dem Leipziger Barockorchester und dem Naumburger Kammerchor. Geleitet wurde das musikalische Programm von Domkantor KMD Jan-Martin Drafehn.

Das Altarretabel von Lucas Cranach d. Ä.

Lucas Cranach d. Ä. (1427–1553) war einer der bedeutendsten deutschen Maler der Renaissance. Im Jahr 1519 vollendete er ein dreiflügeliges Altarretabel für den Altar des seit seiner Entstehung in der Mitte des 13. Jahrhunderts der Gottesmutter Maria geweihten Naumburger Westchors.

Das mit einer Darstellung der Gottesmutter Maria mit Kind versehene Mittelteil des Retabels wurde 1541 im Zuge der Auseinandersetzung in der Reformationszeit zerstört.

Auf diese Weise verlor der Westchor seine Patronin.

Die großformatigen Seitenflügel des Retabels mit der porträthaften Darstellung der beiden Stifterbischöfe Johannes III. von Schönburg (1492–1517) und Philipp von Wittelsbach (1518–1542) und verschiedener Heiliger haben die Jahrhunderte überdauert und waren seit 2006 im Domschatzgewölbe des Naumburger Doms ausgestellt. Sie zeugen von der außergewöhnlichen Qualität des Werkes.

Besonders die Darstellungen von Maria Magdalena und Jakobus d. Ä. ragen durch ihre feine Ausführung heraus. Den auf den Flügelinnen- und -außenseiten dargestellten Heiligen — Barbara, Katharina, Philippus, Jakobus d. Ä., Jakobus d. J. und Maria Magdalena — waren zuvor Nebenaltäre im Westchor geweiht, die Anfang des 16. Jahrhunderts abgebrochen worden sind.

Auf diese Weise führt das Retabel die seit dem 13. Jahrhundert fassbare liturgische Tradition des Naumburger Westchors fort.

Die neue Mitteltafel und die Predella von Michael Triegel

Nach mehr als 500 Jahren wurden die beiden originalen Flügel von Cranach um ein vom Leipziger Künstler Michael Triegel geschaffenes Mittelteil sowie eine Predella ergänzt.

Auf der Vorderseite der neuen Mitteltafel ist eine „Sacra Conversazione“, d. h. Maria umgeben von Heiligen, dargestellt. Zentral präsentiert Maria den neugeborenen Heiland. Die dargestellten Persönlichkeiten können sowohl als im Naumburger Westchor verehrte Heilige oder auch als gegenwärtige Menschen interpretiert werden.

Ergänzt wird die Gruppe um den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Die Personen verdeutlichen dem Betrachter, dass das Heilsgeschehen immer auch einen eigenen, persönlichen Bezug hat, der des Engagements des Einzelnen bedarf.

Michael Triegel. Foto: Vereinigte Domstifter / Falko Matte
Michael Triegel. Foto: Vereinigte Domstifter / Falko Matte

Auf der Rückseite der Mitteltafel ist der Auferstandene zu sehen. Er ist inmitten der Architektur des Naumburger Westchors dargestellt und verdeutlicht auf diese Weise, dass die Vollendung der Heilsgeschichte nicht in einem undefinierbaren zeitlich und räumlich entfernten Raum geschehen wird, sondern auch konkret und unmittelbar an diesem Ort möglich ist. Die Predella mit Vorder- und Rückseite verweist auf die Symbolik des Abendmahls bzw. auf die Passion zurück.

Dechantin Prof. Dr. Karin v. Welck ist glücklich: „Mit der Wiederindienstnahme des Retabels auf dem Altar wird nicht nur der grundgesetzlich verbrieften Freiheit der Religionsausübung in einem Kirchenraum Rechnung getragen, sondern es wird auch die Funktion einer Domkirche gestärkt und damit der Authentizität und Integrität der Nutzung des Welterbes Naumburger Dom entsprochen.

Die sichtbare Wiederkehr der Patronin des Westchores erleichtert in besonderer Weise die Vermittlung des hochkomplexen theologischen und ikonographischen Konzepts des Naumburger Westchores. Zudem hat das neue Retabel aufgrund seiner Geschichte das Potenzial, sich zu einem Symbol der Einheit der Christen zu entwickeln.“

Auch Stiftsdirektor Dr. Holger Kunde freut sich: „Die Rückverwandlung eines musealen Objekts in ein lebendiges liturgisches Ausstattungsstück, welches die Tradition des Naumburger Domes mit den Bedürfnissen der Gegenwart verbindet, ist das erklärte Ziel. Die hier versammelte künstlerische Qualität von Lucas Cranach und Michael Triegel wird neue Akzente für die Ausgestaltung von Kunst im Kirchenraum setzen. Es geht um lebendige Verkündung und aktive Gemeinden. Tradition und Gegenwart bedingen einander“.

Mit dem Altarretabel gewinnt der Westchor seinen liturgischen Mittelpunkt zurück.

Der Künstler Michael Triegel: Michael Triegel – heute einer der bekanntesten Vertreter der Neuen Leipziger Schule – wurde 1968 in Erfurt geboren und studierte von 1990 bis 1997 Malerei an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst bei Arno Rink und Ulrich Hachulla.

Internationale Bekanntheit erlangte Triegel 2010 als er den Auftrag erhielt, Papst Benedikt XVI. zu porträtieren. Zuvor waren bereits einige kirchliche Aufträge von ihm ausgeführt worden, so z. B. zwei großformatige Altarbilder für die Kirchen in Grave und Ebern und ein Deckengemälde für die Dommusik Würzburg.

Es folgte 2011 der dritte Altar für die Kirche St. Augustinus in Dettelbach sowie 2015 die Ausgestaltung zweier Kirchenfenster für die Pfarrkirche St. Marien in Köthen. 2017 wurde sein Andachtsbild „Barmherziger Jesus“ in der Kirche St. Peter und Paul in Würzburg eingeweiht. 2018 folgte das Hochaltarbild „Menschwerdung“ für die Kirche St. Oswald in Baunach.

Bedeutende Personalausstellungen Triegels waren zuletzt in Leipzig („Logos und Bild“, 2017), Erfurt („Discordia concors“, 2018/19) und Rostock („Cur Deus“, 2020) zu sehen.

Sonderführungen „Triegel trifft Cranach“: Sonderführungen zum Altar gibt es immer sonntags ab dem 10. Juli jeweils 13 Uhr.

Angebot der KinderDomBauhütte: „Altarwerkstatt. Cranach vs. Moderne“ am 22. August um 10 Uhr
In dem Kurzprojekt erfahren die Kinder, was ein Altar ist, welche Bedeutung den Heiligen zukommt und können selbst kreativ werden: Wie der Künstler Michael Triegel kreiert jedes Kind ein eigenes Mittelteil, um den Cranach-Altar zu ergänzen.

Eine frühzeitige Buchung über unseren Besucherservice ist empfohlen: Besucherservice Naumburger Dom, Domplatz 16/17 | 06618 Naumburg, Tel. 03445 2301-133, fuehrung@naumburger-dom.de

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