Der Frühling kommt. Ganz bestimmt. Und alle strömen wieder. "Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge / Durch die Gärten und Felder zerschlägt." Das ist das Gedicht mit dem lustigen Nachen, von Scherzkeks Johann Wolfgang. Muss er in Leipzig gesehen haben beim Spazierengehen im Clara-Park. Den es zu seiner Zeit noch nicht gab. Deswegen fehlten damals auch noch keine Toiletten.

Heute fehlen sie, denn die Menge – naja – zerschlägt sich nicht wirklich, wie Johann Wolfgang Goethe behauptete. Sie ballt sich auf Wegen und Stegen und strömt. Und hat Bedürfnisse, die seit zwei Jahren tatsächlich mal benannt werden, seit emsig über den Clara-Zetkin-Park diskutiert wird und alle Beteiligten feststellen, was alles fehlt – von ordentlichen Fahrradtrassen über Mülleimer bis hin zu – ja – Toilettenanlagen, in die sich des Dorfs Getümmmel ergießen kann, und erleichern, um hinterher freudestrahlend in die vom Eise befreite Landschaft zu rufen: “Zufrieden jauchzet groß und klein: / Hier bin ich Mensch, hier darf ichs sein!”

Dafür lieben ihn die Schlachtenbummler. Für dieses faustische Gebimmel.

Aber 2017 stellte ja Leipzigs Stadtrat einvernehmlich fest: Es fehlt tatsächlich an Toiletten im Revier. Das Revier ist auch von Johann Wolfgang. Und wenn Sachsens Literaturlehrer ein bisschen was von unserer Sprache verstehen, nutzen sie diese Reimerei aus Faust Nr.1 dafür, den Kindern beizubringen, was man mit Gedichten nicht machen darf. So etwas nämlich.

Und die Toiletten?

Hatte die Verwaltung nicht hoch und heilig versichert, dass man dafür eiligst eine Lösung finden will? Hat sie. Was jetzt, zum Auftakt des neuen Jahres und den eisbefreiten Bächen, die beunrigten Stadträte Dr. Sabine Heymann, Stefan Georgi (beide CDU), Siegfried Schlegel (Linke), Heiko Oßwald (SPD) und Tim Elschner (Grüne) zum Anlass nahmen, mal in vereinigter Neugier nachzufragen: Wie hälst du’s mit den Toilettenanlagen, liebe Stadt?

Da, wo es ums Menschliche geht, sind sich doch alle einig. Erstaunlich.

Und die Stadt in Personifikation des Dezernats Umwelt, Ordnung, Sport? Ist am Arbeiten und Strippenstrippen, wie es jetzt ganz offiziell zur Antwort gab.

Wobei auch die Fragen ganz lustig sind. So wie der oben zitierte Nachen: “Welche Aktivitäten hat das zuständige Amt aufgenommen, um die Gastronomen in die Lage zu versetzen, weitere Toilettenkapazitäten zu errichten?”

Das zuständige Amt hat nicht nur Aktivitäten unternommen. Es hat sogar seine heiligen Büroräume verlassen und hat mit Menschen gesprochen: “Seitens des Amtes für Stadtgrün und Gewässer sind Gespräche mit den ansässigen Gastronomen Ende Februar geplant, um gemeinsam über die Rahmenbedingungen der Nutzung der vorhandenen Toilettenkapazitäten zu sprechen. Für die bauliche Erweiterung der Toilettenanlage des Gastronomiestandortes am Musikpavillon liegt eine rechtskräftige Baugenehmigung mit 11 Becken für Damen, 4 Becken für Herren und 7 Urinalen vor.”

Das ist doch mal eine Nachricht!

Der Spaziergänger und geputzte Mensch merke sich also den Musikpavillon: Dort wird es künftig also eine leistungsfähige Toilettenanlage geben, wo gejauchzt werden darf.

Aber nicht nur die drängenden Bedürfnisse bewegten die anfragenden Stadträte. Sondern auch Spiel und Spaß. Denn gleich nebenan befindet sich ja bekanntlich das Schachzentrum der Stadt, wo man sommers die vielen verhinderten Kasparows und Karpows beim Grübeln und Pferdchensetzen sehen kann.

“Welche Investitionen werden für das Schachzentrum geplant?”, fragten die neuigierigen Stadträte also.

Antwort: “Am Schachzentrum ist die Reparatur des Daches 2018 geplant. Weitere Investitionen sind gegenwärtig nicht vorgesehen. Im Schachzentrum selbst ist 1 WC vorhanden, das kein Potential für eine öffentliche Nutzung bietet.”

Also bei dringenden Angelegenheiten lieber nicht die Schachspieler ärgern, sondern rüber zum Musikpavillon eilen.

Und als wichtiges Örtchen für ein nutzbares Örtchen hatte man ja auch die Sachsenbrücke ausgemacht, wo in wärmeren Tagen nicht nur der Eisverkäufer steht, sondern regelmäßig auch Feste und Konzerte mit viel Publikum stattfinden. Nur: An heimlichen Orten fehlt’s hier. Oder mal so gefragt: “Wann werden die Verbesserungen der technischen Infrastruktur nahe der Sachsenbrücke vorgenommen?”

An der technischen Infrastruktur wird hier mal gar nichts gemacht. Aber ein Provisorium ist möglich: “An der Sachsenbrücke können Standorte für mobile Toilettenanlagen im Bereich der Max-Reger-Allee ausgewiesen werden, ohne weitere technische Aufwendungen.”

An Blumenduft wird’s im Revier also nicht fehlen.

Und die Besorgnis aus dem hohen Haus: “Welche flankierenden Beschlüsse müssen ggf. für die obigen Themen gefasst werden?”

Die Antwort dürfte vielleicht ein wenig Besorgnis bei allen Bedürftigen auslösen: “Flankierende Beschlüsse sind von der weiteren Bearbeitung des Verwaltungsstandpunktes zum Antrag VI-A-05044 – Erarbeitung eines Toilettenkonzeptes – abhängig.”

Dieses Toilettenkonzept hatte sich der Seniorenbeirat gewünscht. Und wenn man die Antwort richtig liest, ist das, was jetzt in Planung ist, noch nicht die Umsetzung des Toilettenkonzeptes. Dazu muss erst noch ein Verwaltungsstandpunkt erarbeitet werden.

“Ich höre schon des Dorfs Getümmel, / Hier ist des Volkes wahrer Himmel.”

Der Antrag zum Toilettenkonzept aus dem Seniorenbeirat.

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