Als die Stadt im letzten Jahr ihre Pläne zur Neugestaltung der Rietzschekaue in Sellerhausen bekannt gab, gab es auch einige Kritik aus dem Stadtrat, denn das sah alles wieder nur nach einer 08/15-Parkbewirtschaftung aus ohne große Artenvielfalt und Insektenfreude. Die Linksfraktion preschte deshalb mit einem Antrag vor, hier deutlich mehr Wildnis zu wagen.

Denn so langsam lernen wir alle, dass die menschliche Parkpflege in den Städten eher zur Artenarmut beiträgt und damit eben auch zum Insektensterben.„Die Stadt Leipzig betreibt seit ein paar Jahren Blühstreifen. Diese werden jährlich angelegt, sodass weder eine natürliche Sukzession möglich ist noch zwei- oder mehrjährige Pflanzen Teil der Blühstreifen sind. In der Konsequenz vergibt sich die Stadt ein sehr hohes Potenzial an Biodiversität“, ging der Linke-Antrag auf das Thema ein, das nun seit geraumer Zeit mit immer neuen Vorlagen zu Blühstreifen, Schmetterlingswiesen oder Glyphosat-Verzicht die Ratsversammlung beschäftigt.

„Mit der Rietzschke-Aue hat man die Chance, eine größere Fläche für die Natur zurückzugewinnen und einen Beitrag zur Erhöhung der Biodiversität und gegen das Insektensterben zu leisten. Hierzu bedarf es allerdings eines Managementplans, der die Ziele hoher Biodiversität auch verfolgt.“

Und Linke-Stadtrat Michael Neuhaus machte sich selbst auf den Weg, um das kleine Naturparadies zu besichtigen, das gleich neben den neuen Schulen an der Ihmelsstraße entstanden ist, als hier die Nutzung durch Kleingärtner endete. Die Stadt will hier den Verlauf der Östlichen Rietzschke wenigstens auf einem Teilstück wieder zugänglich und erlebbar machen.

„Im Jahr 2020 konnten in der Rietzschke-Aue sehr viele Wildbienenarten, Hummeln, Falter etc. beobachtet werden“, resümiert die Vorlage den Besuch vor Ort. „Damit diese hohe Artenvielfalt erhalten bleibt, benötigen diese ein sicheres Zuhause. Das ist nur gegeben, wenn die Blühwiesen nicht jedes Jahr neu angelegt werden und die Rasenflächen maximal jährlich gemäht werden.“

In der Online-Ratsversammlung am 21. Januar kam der Linke-Antrag zu mehr Mut zur Wildnis auf die Tagesordnung, wenn auch nicht zur Abstimmung. Denn zwischenzeitlich hatte das Amt für Stadtgrün und Gewässer einen eigenen Vorschlag gemacht, wie man das Mahdregime so organisieren kann, so dass eine möglichst große Artenvielfalt erhalten wird.

Im Kern lautet der Vorschlag: „Zur Förderung der biologischen Vielfalt ist eine partielle Mahd vorgesehen. Das bedeutet, dass die gesamte Fläche der Blühwiesen in drei Abschnitte unterteilt wird, die in der Mahdabfolge zu verschiedenen Zeitpunkten gemäht werden. Es bedeutet zugleich, dass ein Drittel der gesamten Wiesenfläche je Arbeitsgang nicht gemäht wird. Diese partielle Mahd wird mit jedem weiteren Arbeitsgang rotieren bzw. wechseln, wobei stets ein anderer Abschnitt der Wiese nicht gemäht werden wird und der Aufwuchs dort bis zur nächsten Mahd vollständig erhalten bleibt.“

„Damit wird gewährleistet, dass in unmittelbarer Umgebung der gemähten Flächen Alternativlebensräume erhalten bleiben, auf welche z. B. Insektenarten ausweichen können. Für die Langgraswiesen der Rietzschke-Aue Sellerhausen ist, wie auch für die Blühstreifen in der Stadt Leipzig, in der Regel eine zweischürige, selten eine ein- oder dreischürige Mahd vorgesehen. Ein erster Schnitt liegt nicht vor Beginn der Hauptblüte der Gräser, das Mahdgut wird beräumt. Die Wahl der Mahdhäufigkeit und des Mahdzeitpunktes ist u.a. abhängig vom Standort und von der Witterung. Das für die Fläche vorliegende Pflegekonzept berücksichtigt ein regelmäßiges Monitoring und ermöglicht die Anpassung der einzelnen Maßnahmen.“

Was aber trotzdem bedeutet, dass die bislang naturbelassene Fläche erst einmal umgestaltet wird. Den die natürliche Sukzession würde den Wiesencharakter schon bald deutlich verändern.

„Die natürliche Gestaltung der Rietzschke-Aue Sellerhausen erfolgt gemäß der Deutschen Fließwassertypologie in Anlehnung an den Steckbrief Sandgeprägte Tieflandbäche (LAWA-14) mit begleitenden Blüh- und Langgraswiesen. Sie zeichnen sich durch einen hohen Artenreichtum insbesondere durch eine ausgeprägte Schichtung in Ober-, Mittel- und Unterschicht sowie auffällige und farbige Blühaspekte niedrig- und hochwüchsiger Kräuter und Stauden aus“, schreibt das Grünflächenamt dazu.

„Die Ansaat der sogenannten Frisch- und Fettwiesen bzw. Ufersäume erfolgt einmalig und mit zertifiziertem Wildpflanzensaatgut aus kontrolliertem Anbau mit gesicherter regionaler Herkunft, wobei es sich bei den verwendeten Kräutern, Gräsern und Leguminosen ausschließlich um Wildformen des Ursprungsgebietes 5 – Mitteldeutsches Tief- und Hügelland handeln darf.“

Und was man da säe, wäre ein wertvoller Wiesenbestand, so das Grünflächenamt: „Blüh- und Langgraswiesen sind als wertvolle Biotope Bestandteil unserer Kulturlandschaft und können nur über eine extensive Pflege erhalten werden. Dazu zählen eine kurzzeitige Beweidung oder Mahd. Würde die offene Fläche vollständig oder in Teilen der natürlichen Sukzession überlassen, dann entstünde auf ihr im Laufe der Zeit ein flächiger Wald, der die potentiell natürliche Vegetation auf diesem Standort darstellt.“

„Durch die Neuanlage und dauerhafte Etablierung der geplanten Grünfläche mit großflächigen, extensiv bewirtschafteten, artenreichen Wiesenflächen wird ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung und weiteren Erhöhung der Biodiversität im Stadtquartier geleistet. Eine abschnittsweise, zeitlich versetzte Mahd sichert ein attraktives und dauerhaftes Blühangebot über die gesamte Vegetationsperiode hinweg. Das Aussparen einzelner Teilbereiche von der Mahd führt zu einer weiteren Erhöhung des Angebotes von Lebensräumen ohne die Zielstellung aufgeben zu müssen, hier artenreiche Blüh- und Langgraswiesen entstehen zu lassen.“

Die Linksfraktion stellte dann – nach einer kurzen Einführung von Michael Neuhaus – den Verwaltungsstandpunkt zur Abstimmung, der dann auch eine überdeutliche Mehrheit im Online-Voting bekam bei drei Gegenstimmen und acht Enthaltungen.

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