Etwa 500 Menschen haben sich am Montagabend an einer rechtsradikalen Demonstration im sächsischen Sebnitz beteiligt. Die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ hat diese organisiert. Demonstrierende riefen dazu auf, eine angebliche „Asylflut“ zu beenden. Mit Spruchbändern und Pappschildern positionierten sich Teilnehmer*innen grundsätzlich gegen die Politik der Bundesregierung. Eine Person forderte: „Ampel in den Knast“.

Die „Freien Sachsen“ rufen regelmäßig zu montäglichen Demonstrationen in Sebnitz auf – so wie in dutzenden anderen Städten auch. Diesmal aber lag ein besonderer Schwerpunkt auf einem Vorfall rund um ein Wohnheim für Geflüchtete, der sich am 22. Juli ereignet hatte.

Damals waren mehrere Männer – einige von ihnen maskiert – in das Gebäude eingedrungen, um Bewohner*innen anzugreifen. Bei den Angreifern handelte es sich offensichtlich um Neonazis. Ein 18-jähriger Bewohner wurde geschlagen und mit Gegenständen beworfen. Die Betroffenen sollen zuvor am selben Tag rassistisch beleidigt worden sein.

Rechte Desinformation

Obwohl ein Video zumindest belegt, dass sich vermummte und bewaffnete Neonazis in dem Haus aufhielten, zweifeln die „Freien Sachsen“ den Angriff an. In ihrem Telegram-Kanal schreiben sie von einem „angeblichen Überfall“, der „in dieser Form überhaupt nicht stattgefunden haben kann“. Die Demonstration richtete sich demnach auch gegen „die Hetze der Medien“.

Indiz für eine falsche Medienberichterstattung ist aus Sicht der „Freien Sachsen“ einzig die Wortwahl in einem „Bild“-Artikel. Dort ist von einem Angriff auf eine „Flüchtlingsunterkunft“ die Rede. Die „Freien Sachsen“ stellen dazu fest: „In Sebnitz gibt es überhaupt keine Flüchtlingsunterkunft, Asylbewerber werden dezentral in Wohnungen untergebracht.“ Weitere Belege liefern die Rechtsradikalen nicht.

AfD und Neonazis laufen mit

Wie die „Sächsische Zeitung“ berichtet, beteiligten sich an der Demonstration am Montagabend „erkennbare Neonazis, regionale AfD-Funktionäre und ehemals führende Mitglieder der 2001 verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz“. Teilnehmer*innen seien mit Naziparolen wie „Wir wollen keine Asylantenheime“ durch die Straßen gezogen.

Martina Renner, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, fühlte sich nach eigener Aussage an die Pogrome der 90er Jahre erinnert. Sie schrieb in einem Tweet: „Neonazigewalt gegen Geflohene, ein Bürgermob der applaudiert und anfeuert, Polizei, die kein Schutz ist und die Rechten gewähren lässt. Die Menschen in der Unterkunft müssen mit weiteren Angriffen rechnen, holt sie da raus!“

Parallel zu der Veranstaltung fand in der Kirche ein Friedensgebet statt, an dem laut Medienberichten etwa 50 Personen teilnahmen. Unter ihnen waren der parteilose Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar und mehrere Stadträt*innen.

Fast alle rechtsradikalen Demos in Sachsen

Erst in der vergangenen Woche war bekanntgeworden, dass Sachsen aus Sicht der Bundesregierung aktuell Hochburg rechtsradikaler Demonstrationen in Deutschland ist. Von 52 erfassten Veranstaltungen im zweiten Quartal dieses Jahres fanden nur acht nicht in Sachsen statt. Mit Ausnahme einer kleinen „Gedenkveranstaltung“ in Niederkaina wurden alle erfassten Versammlungen im Freistaat von den „Freien Sachsen“ organisiert.

Nicht als rechtsradikale Demonstrationen mitgezählt wurden Veranstaltungen der AfD und jene aus dem verschwörungsideologischen, „Querdenken“-nahen Spektrum. Solche Versammlungen – häufig ebenfalls von den „Freien Sachsen“ mitorganisiert oder beworben – finden immer noch regelmäßig statt. Die tatsächliche Zahl zumindest rechtsoffener Demonstrationen dürfte sich dadurch vervielfachen.

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