Irgendetwas läuft in der Abteilung der Stadt, die für Straßenbenennungen zuständig ist, vollkommen aus dem Ruder. Jeder noch so unsinnige Vorschlag, eine Straße oder einen Platz zu benennen, der von Leipzigern und Nichtleipzigern eingebracht wird, wird in den „Namensvorrat“ für künftige Straßenbenennungen aufgenommen. Und wenn es dann tatsächlich um historische Ortsnamen geht, macht das zuständige Amt einen Vorschlag, der diesmal in Gohlis zu Recht für Ärger sorgt.

„Mit Unverständnis hat der Bürgerverein Gohlis e.V. zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Stadt Leipzig den Antrag der Fraktion der Freibeuter im Leipziger Stadtrat, den historischen Stadtplatz in der Menckestraße als ‘Gohliser Anger – Turmgutplatz’ zu benennen, unterstützt. Zugleich treibt die Stadt das Vorhaben auf die Spitze, indem im Verwaltungsstandpunkt die Doppelbenennung abgelehnt wird, dabei die Bezeichnung ‘Gohliser Anger’ gleich komplett aus dem Stadtteilbild getilgt werden soll und als Name ‘Turmgutplatz’ vorgeschlagen wird“, meldet sich der Bürgerverein Gohlis zu Wort, der Jahre lang darum gekämpft hat, dass der als Parkplatz missbrauchte Anger wieder als eine erlebbare Grünfläche gestaltet wurde. Erst im April 2023 war die Fläche neu gestaltet der Öffentlichkeit übergeben worden.

Nur eine umgangssprachliche Platzbenennung?

Und dass die Verwaltung in Gohlis nicht einmal nachgefragt hatte, wie man dort den Umbenennungsantrag der Freibeuter-Fraktion überhaupt sieht, wird in der Erläuterung des Verwaltungsvorschlags deutlich: „Die Verwaltung lehnt den Vorschlag einer Doppelbenennung der Grünfläche in der Menckestraße in der Form ‘Gohliser Anger – Turmgutstraße’ ab. Eine solche Doppel­benennung ist nicht zweckmäßig und könnte zu Irritationen im öffentlichen Raum führen, da diese im Stadtbild nicht üblich sind.

Um dem Ansinnen des Antrags nachzukommen wird vorgeschlagen, die Grünfläche als ‘Turmgutplatz’ zu benennen. Damit wird ein lokaler Bezug hergestellt und die Erinnerung an das Turmgut, die mit der Umbenennung der Turmgutstraße in Boris-Romantschenko-Straße verloren ging, erhalten.

Auf die umgangssprachliche Bezeichnung als ‘Gohliser Anger’ könnte im Rahmen einer Erläuterungstafel verwiesen werden. Die Aufstellung eines Straßennamensschildes sowie die Anbringung einer Erläuterungstafel werden von der Verwaltung in Aussicht gestellt, müssten aber noch durch das zuständige Amt für Stadtgrün und Gewässer geprüft werden.“

Bislang hat der Vorschlag des Amtes für Statistik und Wahlen nur die Dienstberatung des OBM passiert. In den Fachausschüssen und im Stadtbezirksbeirat Nord soll er erst zum Aufruf kommen.

Auch die Formel „umgangssprachliche Bezeichnung als ‘Gohliser Anger’“ erzählt davon, dass man die eigentlich Betroffenen der Umbenennung gar nicht gefragt hat. Denn der Platz im Verlauf de Menckestraße wird nicht nur umgangssprachlich so genannt, sondern ist der tatsächliche alte Anger des Dorfes Gohlis.

Amtliche Unkenntnis der lokalen Geschichte

Der Bürgerverein Gohlis fordert deshalb die Stadtverwaltung und die Fraktion der Freibeuter auf, ihre beiden Vorschläge zurückzuziehen. Stattdessen sollte auf das Votum der lokalen Akteure und Gremien gehört werden. Aus diesem Grund will sich der Bürgerverein auch für die offizielle Benennung Gohliser Anger einsetzen.

„Der Gohliser Anger als Herz des ehemaligen Dorfes beherbergte auf seiner Fläche einst wichtige öffentliche Gebäude wie die Schule, die Gemeinde- und die Gerichtsstube. Noch heute ist die Bezeichnung Gohliser Anger tief in der Anwohnerschaft von Gohlis verankert und die Fläche dient als Begegnungsstätte für Nachbarschaftsfeste und Naherholung. Zudem hat der Verein erreicht, dass dieser Platz neu gestaltet worden ist. Diesen Bezug jetzt mit einem Federstreich auszuradieren, zeugt von enormer Unkenntnis der lokalen Bezüge“, stellt der Bürgerverein Gohlis fest.

„Nach der Umbenennung der Turmgutstraße Ende 2022, welche vom Bürgerverein Gohlis nicht unterstützt werden konnte, folgt nun – in Unkenntnis der lokalen Geschichte – der Versuch, den so wichtigen Namen Turmgut im öffentlichen Raum zu erhalten, dafür aber die Bezeichnung Gohliser Anger zu opfern. Eine Erläuterungstafel soll auch aufgestellt werden. Wir erinnern uns, dass erst im Frühjahr 2023 der sanierte Gohliser Anger der Öffentlichkeit übergeben wurde, versehen mit einer Infotafel mit kurzem Abriss zur Geschichte des Dorfes Gohlis und der Bedeutung des Gohliser Angers. Es erschließt sich uns nicht, was hier passiert und ob sich wirklich alle damit Befassten in der Verwaltung hinreichend mit dem Vorhaben beschäftigt haben“, sagt der Vorsitzende des Bürgervereins Gohlis e.V., Tino Bucksch.

Und weil der Vorschlag der Verwaltung von so viel Unkenntnis erzählt, bietet der Bürgerverein der Stadtverwaltung und der Fraktion der Freibeuter einen Stadtteilrundgang mit einer ausführlichen Schilderung der Historie von Gohlis und der Bedeutung des Angers an. Die Arbeitsgemeinschaft Stadtteilgeschichte, die dazu seit drei Jahrzehnten forscht, könne den daran beteiligten Akteuren einige wichtige Informationen zum Thema anbieten.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 4 Kommentare

Dass ich dir, User Urs, mal zustimme, hätte ich nicht gedacht. Aber ja, die Umbenennungen sind irgendwie unsinnig. Der Gohliser Anger ist als solcher erkennbar und für wen es nicht erkennbar ist, könnte man auch eine Tafel mit kurzer Geschichte aufstellen.
Die Liebesinsel in Leutzsch hat man auch nicht extra so benannt.
Wenn man unbedingt die Turmgutstraße noch im Stadtbild haben möchte, dann könnte man auch ein Stück des Kickerlingsbergs umgenennen.
Alternativ bastelt man aus der riesigen Kreuzung Poetenweg/Kickerlingsberg einen Platz und benennt diesen in Turmgutplatz. Da wäre dann auch kein Anwohner betroffen und das Stadtplatzprogramm muss auch mit Leben gefüllt werden.

Wieso braucht es überhaupt eine offizielle Namensgebung dieser Fläche inmitten der Menckestraße? Ich war dort jahrzehntelang Anwohner, ich kann mich an kein einziges Mal erinnern, daß dort unter Leuten die Rede vom “Gohliser Anger” gewesen wäre (obschon die die Bedeutung der heutigen Fläche als Anger weithin bekannt ist).

Kann man nicht diesen ganzen verschlimmbessernden Zauber der “Freibeuter” gesamthaft abblasen? Schon die von einer Mischung aus Mahnung aber auch Häme angetriebene Umbenennung der Turmgutstraße in Boris-Romantschenko-Straße war nicht richtig. Die Turmgutstraße hieß so, weil sie genau auf ein Gut mit einem Turm, nämlich dem des Schlößchens, zuläuft. Der heutige Garten auf Poetenweg-Seite verkörpert gewissermaßen das einstige Gut. Den nun seit kurzem verlorenen Begriff “Turmgut” über den Winkelzug mit dem Anger weiterleben lassen zu wollen, wirkt nicht zuletzt daher gebastelt, als daß der einstmalige Anger eine vom Schlößchen weithin diskunkte Bedeutung hat(te), und weil auf der einstmaligen Dorfstraßenseite (Menckestraße) das Schlößchen gewisermaßen über einen nichtöffentlichen Vorplatz betreten wird. Wenn man es partout wollte, könnte man dem den Freibeuter-Namen “Turmgutplatz” aufzwingen.

Schreiben Sie einen Kommentar