LEIPZIGER ZEITUNG/Auszug aus Ausgabe 30Wer kurz vor Ostern in den Supermärkten in Leipzig unterwegs war, musste das Gefühl bekommen, die Geschäfte würden nach den Feiertagen nie wieder öffnen: Vollgepackte Einkaufswagen wohin man sah, oben drauf thronten ganze Rudel von Osterhasen der bekannten Süßwarenhersteller. Es scheint uns gut zu gehen, richtig gut. Uns allen? Was machen eigentlich diejenigen unter uns, denen beim Blick ins Portemonnaie schon lange nicht mehr zum Lachen zu Mute ist? Was haben Menschen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, für Möglichkeiten, zu einer vernünftigen, ausgewogenen Ernährung zu gelangen oder in manchen Fällen überhaupt erstmal ihre Nahrungsmittel-Grundversorgung einigermaßen zu sichern?

In der Jordanstraße in Leipzig-Lindenau hat die Leipziger Tafel ihren Sitz. Bis zu 13.000 Leute nehmen nach Auskunft des Tafel-Chefs Dr. Werner Wehmer monatlich die Angebote des eingetragenen Vereins wahr. Die Zahlen steigen stetig an, 15–20 % größeren Zustrom habe die Tafel in den vergangenen Monaten verzeichnen können. Das liege auch an den ankommenden Flüchtlingen. Wer in Leipzig Sozialleistungen vom Jobcenter bezieht, hat Anspruch auf einen Leipzig-Pass, der auch zur Nutzung der Tafel berechtigt. Dies gilt natürlich auch für Asylbewerber. Daher nehmen laut Wehmer pro Monat auch 800-1.200 Flüchtlinge die Essensausgabe bei der Tafel in Anspruch. Dies bringe einige Herausforderungen für die tägliche Arbeit der 80 bis 90 ehrenamtlichen Helfer mit sich. Diese sehen sich dadurch bspw. mit besonderen Essenswünschen konfrontiert; mit Nahrungsmitteln, die meist nicht im alltäglichen Sortiment enthalten sind.

Bei der Leipziger Tafel hat man dafür jedoch eine Lösung gefunden: Verschiedene große Sponsoren liefern spezielle Produkte für die Bedürfnisse der Flüchtlinge. Dolmetscher gibt es bei der Tafel übrigens keine, das „gehe schon alles so“, heißt es. Die vor Ort geltenden Regeln würden schnell verstanden. Größere Probleme habe es bisher nicht gegeben. Von Horrormeldungen und Übertreibungen, wie man sie von anderen Tafeln in Sachsen hier und da liest, scheint man in der Jordanstraße ohnehin nichts zu halten. Ein Kapazitätsmangel aufgrund der vielen neuen Bedürftigen sei bisher nicht entstanden. Das könne sich in den kommenden Monaten, bei gleichbleibenden Flüchtlingszahlen, aber durchaus ändern. Dann müsse man eventuell über einen „Aufnahmestopp“ nachdenken. „Die Ware wird nicht mehr“, so Wehmer, „wir kommen an unsere Grenzen.“

Einmal pro Woche kann man sich bei der Essenausgabe der Tafel versorgen, vorausgesetzt, man hat einen Tafel-Pass. Zwei Euro kostet das pro Woche für Erwachsene, einen Euro für Kinder. Jeder hat eine fest vergebene Nummer, die lange Wartezeiten und das demütigende Schlange stehen auf der Straße erspart. Wann die einzelnen Nummern an der Reihe sind, wechselt wöchentlich nach einem festen System. So ist jeder mal früher bei der Essenausgabe dran und hat eventuell eine größere Auswahl. Ein kleiner psychologischer Kniff, der für die Leute sehr wichtig sei, erklärt Wehmer.

Die zu verteilenden Nahrungsmittel kommen von verschiedenen Bäckereien in Leipzig sowie den bekannten großen Supermarktketten und werden von den Mitarbeitern der Tafel regelmäßig vor Ort abgeholt. Die Zusammenarbeit laufe gut, was u. a. auch die REWE-Group bestätigt. Ausgerechnet der Konsum Leipzig gehöre jedoch nicht zu den Unterstützern. Einen Grund dafür kennt der Leiter der Tafel nicht. Auf seine letzte E-Mail vor sechs Monaten, längst nicht der erste Versuch der Kontaktaufnahme, habe er bis heute keine Antwort erhalten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die keine Ware übrig haben“.

Frisches Obst und Gemüse gibt es bei der Tafel übrigens auch, aus den eigenen „Tafelgärten“. Bereits seit 2007 bewirtschaften vom Jobcenter vermittelte Menschen, oft Langzeitarbeitslose, Beete in Gartenvereinen. „Mehr bio und frisch geht wirklich nicht“, sagt Wehmer über das Projekt. Wer nicht selber kochen mag oder kann, hat außerdem die Möglichkeit, für 1,50 EUR bei der Tafel ein warmes Mittagessen zu bekommen. Weitere Überlegungen zu einem Frühstücksangebot für Kinder direkt vor Ort in den Schulen scheiterten in der Vergangenheit an Bedenken der Stadt. Man habe dort v. a. kein Vertrauen in die Langfristigkeit des Engagements gehabt. Ein Argument, das Wehmer nicht nachvollziehen kann, da Nachhaltigkeit eines der wichtigsten Prinzipien der Arbeit der Tafel sei.

Abseits der Versorgung über die Tafel bzw. ergänzend dazu gibt es in Leipzig mittlerweile auch einige andere Möglichkeiten für Menschen, denen das Geld für das regelmäßige Einkaufen fehlt. So fällt einem z. B. bei „Curry Süd“ am Connewitzer Kreuz ein Schild auf dem Tresen ins Auge, das auf das sogenannte „Aufschieben“ hinweist. Wer sich dort etwas zu essen holt, hat die Möglichkeit, eine zusätzliche Portion für Bedürftige im Voraus zu bezahlen. Diese kann dann später abgeholt werden. Mindestens einmal pro Tag „schiebe jemand auf“. Die Nachfrage sei allerdings deutlich stärker. Ein fester Personenkreis von rund zehn überwiegend jüngeren Leuten sei es mittlerweile, der regelmäßig nach einem „aufgeschobenen“ Essen frage. Jeder, der fragt, bekomme auch etwas, man „wolle nicht Richter über die Lebenssituation anderer spielen“. In vielen deutschen Städten hat sich das „Aufschieben“ in der Gastronomie bereits etabliert. Auch in Leipzig scheint es langsam anzukommen.

Im sozialen Netzwerk Facebook kann man die Gruppe „Foodsharing Leipzig“ finden, welche über 5.000 Mitglieder hat. Zu viele Kartoffeln gekauft? Unmengen Tee in der WG-Küche, den sowieso niemals jemand mehr trinken wird? Nach der Geburtstagsfeier noch drei halbe Kuchen übrig? Abnehmer für die angebotenen Nahrungsmittel finden sich hier schnell. Ein Versuch, den Anteil der weggeworfenen Lebensmittel möglichst gering zu halten und natürlich auch bedürftigen Menschen zu helfen.

Für derartige Angebote muss man aber nicht zwangsläufig im Netz auf Nahrungssuche gehen. Wer aufmerksam durch Leipzigs Straßen läuft, begegnet unter Umständen einer der „Fair-Teiler-Stationen“, von denen es mittlerweile einige in Leipzig gibt. Hier ist überwiegend die Initiative food-sharing.de aktiv. Klar ist, dass hier nur bestimmte Lebensmittel-Gruppen verteilt werden können – einfach eine Frage der Kühlung.

Ein weiteres Phänomen ist seit einigen Jahren das sogenannte „Containern“. Es meint das Durchsuchen von Abfallbehältern von Supermärkten und Bäckereien auf der Suche nach Essbarem. Neben der eigentlichen Suche nach Essbarem geht es auch hier v. a. um Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Dem Gesetz nach handelt es sich hierbei zwar um Hausfriedensbruch. Strafverfahren werden bisher jedoch in den seltensten Fällen eingeleitet. Allerdings haben verschiedene Supermärkte im Laufe der Zeit reagiert und ihre Mülltonnen gesichert. So sind bspw. die Abfallbehälter der REWE-Märkte in Leipzig in abschließbaren Gitterboxen gesichert, teilte die REWE Group auf Nachfrage mit. Bei Kaufland in Leipzig spiele das Containern bisher keine Rolle, heißt es aus der Konzernzentrale in Neckarsulm. Aufgrund der in den Märkten üblichen Preisreduzierungspolitik bei „ablaufenden Waren“ und der Zusammenarbeit mit der Tafel würden definitiv nur ungenießbare Lebensmittel in den Mülltonen landen. Man übernehme daher keine Haftung bei gesundheitlichen Beschwerden nach dem Verzehr des entwendeten Abfalls.

Dieser Artikel erschien am 08.04.16 in der aktuellen Ausgabe 30 der LEIPZIGER ZEITUNG. Hier zum Nachlesen für die Mitglieder in unserem Leserclub.

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