Bei all den Corona-Debatten sollte man wohl besser nicht vergessen, dass es noch viel drängendere Probleme gibt. Auch in Leipzig. Auch wenn man sie kaum noch irgendwo summen hört – die Insekten. Denn bei allen Lippenbekenntnissen der Stadt zum Erhalt der Artenvielfalt hat Leipzig bis heute keinen Plan, wie es wenigstens im Stadtgebiet ein Überlebensangebot für die Insekten schafft. Der Ökolöwe nutzt den Moment zu einer deutlichen Mahnung.

„Es wird bald keine Schmetterlinge mehr geben, wenn wir nicht endlich gegensteuern!“, mahnt der Ökolöwe und verweist auf eine Studie, die das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Ende April veröffentlicht hat. Zum ersten Mal zeigen weltweit zusammengefügte Daten, wie gravierend das globale Insektensterben ist: Im April 2020 haben das Deutsche Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), die Universität Leipzig sowie die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg die bisher umfassendste Studie über den Rückgang der Insekten veröffentlicht.

Ein internationales Forscherteam wertete in dieser Meta-Studie 166 Langzeitbeobachtungen von 1.676 Standorten in 41 Ländern aus. Die Studie umfasst Untersuchungen zwischen den Jahren 1925 und 2018, die eine Dauer von neun bis 80 Jahren aufwiesen (mittlere Dauer 19 Jahre).

„Diese Datensätze zeigen alarmierende Veränderungen der Individuenzahlen und bestätigen ältere Untersuchungen zum Insektensterben!“, stellt der Ökolöwe fest und betont dabei den traurigen Rekord, der zeigt, dass gerade in Deutschland die Lage besonders dramatisch ist: „Deutschland gehört zu den Ländern, in denen das Insektensterben mit besonders hoher Geschwindigkeit voranschreitet. Während die Studie einen weltweiten Rückgang der Insekten von circa neun Prozent innerhalb von zehn Jahren ermittelte, sind es in Deutschland 19 Prozent.

Im globalen Durchschnitt gehen jährlich 0,92 Prozent der Individuenzahl von landlebenden Insekten wie Schmetterlingen, Heuschrecken oder Ameisen verloren. Das entspricht einem Rückgang von circa 24 Prozent in den nächsten 30 Jahren. In 75 Jahren wird sich die Anzahl an landlebenden Insekten halbiert haben. Für Mitteldeutschland zeigt die Studie, dass es in den nächsten 30 Jahren 38 Prozent weniger Insekten geben wird. Das heißt, dass jedes Jahr circa zwei Prozent an landlebenden Insekten vor unserer Tür verschwinden. Wir müssen endlich umsteuern!“

Und der Ökolöwe hat die Studie sehr genau gelesen. Und ein zentraler Fakt ist: Die Studie untermauert die große Bedeutung von Schutzgebieten. Die Insektenpopulation in Gebieten, die exklusiv der Natur vorbehalten sind, verringert sich langsamer als anderenorts. Trotzdem zeigt der Rückgang in besonders geschützten Räumen, dass die aktuellen Managementstrategien nicht ausreichen, um dem Insektensterben und der Artenvielfalt wirksam entgegenzusteuern.

Feuchtwiese im südlichen Auenwald. Foto: Ralf Julke
Feuchtwiese im südlichen Auenwald. Foto: Ralf Julke

Das zielt direkt auf den Umgang Leipzigs mit dem ihm anvertrauten FFH-Gebiet „Leipziger Auensystem“. Bei Kritik an diversen Eingriffen in den streng geschützten Auenwald wird immer wieder auf die von der Landesregierung abgesegneten Managementpläne verwiesen. Aber die sind so windelweich formuliert, dass sie nicht einmal Verschlechterungen im geschützten Gebiet verhindern. Und damit verliert auch das Auensystem in Teilen seine Schutzfunktion für viele Insektenarten.

„Um das Insektensterben zu stoppen, müssen ihre Lebensräume geschützt und weiterentwickelt werden. Das zeigt beispielsweise die positive Entwicklung bei Libellen und andere Süßwasserinsekten infolge von Gewässerschutzmaßnahmen“, stellt der Ökolöwe fest.

„Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass sich der traurige Trend noch umkehren kann, wenn die Lebensbedingungen von Insekten verbessert werden. Wir Ökolöwen wissen, dass die einzelnen Lebensräume aber unbedingt durch ein Biotopverbundsystem verbunden werden müssen. Erst dann können sich einzelne Populationen genetisch austauschen und überleben.“

Und zwar funktioniert das auch durch grüne Verbundsysteme innerhalb der Stadt, wo nach wie vor Brachen einfach zugebaut werden, Parks pflegeleicht und artenarm getrimmt werden und verbindende Grünstreifen oft einfach fehlen, selbst dort, wo Platz dafür wäre.

Weshalb der Ökolöwe auch betont: „Die Studie sieht die Gründe für das rasante Insektensterben vor allem beim Menschen. Tagtäglich erleben wir das auch in Leipzig: Brachen, Orte der Artenvielfalt in der Stadt, verschwinden eine nach der anderen. Betonierte Neubauten ohne ökologisch wertvolles Grün entstehen an ihrer Stelle. Grünanlagen werden klinisch rein gehalten. Dabei schließen sich eine lebenswerte Stadt und Artenschutz nicht aus! Mit unserem Appell Mehr Grün für Leipzig fordern wir, dass mehr Grün gepflanzt wird. Mehr Grün muss ökologisch wertvoll und vielfältig sein. Darüber hinaus muss Mehr Grün exklusiv geschützt werden, um das Artensterben zu stoppen.“

Leipzig brauche endlich einen wirklich funktionierenden Masterplan Grün, fordert der Umweltverbund, die Aue braucht Wasser und der Auenwald einen ganz anderen Schutz als bisher. Und natürlich eine/-n Auen-Entwicklungs-Beauftragte/-n, also im Grunde einen Auenschutzmanager/eine Auenschutzmanagerin auf höchster Ebene, die oder der dann wirklich dafür sorgen, dass das wertvolle Auensystem wieder seine Schutzfunktion erfüllen kann.

Die Forderungen hat der Ökolöwe in seinem Appell „Mehr Grün für Leipzig“ zusammengefasst.

Man findet sie im Detail auch auf dieser Informationsseite.

iDiV meldet: Bislang umfassendste Studie bestätigt den massiven Rückgang landlebender Insekten

iDiV meldet: Bislang umfassendste Studie bestätigt den massiven Rückgang landlebender Insekten

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