Im Nachgang der Versammlung am Flughafen Leipzig/Halle vom 9. Juli 2021 vermeldete die Polizei Sachsen in einer Medieninformation, dass DHL ein Schaden in Millionenhöhe entstanden sei und zudem Impfstoff nicht ausgeliefert werden konnte. Außerdem behauptete Ministerpräsident Michael Kretschmer in einem LVZ-Interview, dass die Demonstrationsteilnehmer gewalttätig gewesen wären.

Nach überstimmenden Medienberichten, u. a. im MDR, in der LZ und im Spiegel, wurden diese Aussagen vom Logistikkonzern DHL selbst widerlegt. Es hat zu keinem Zeitpunkt Gewalt gegen Personen oder Sachen bei der Versammlung gegeben. Stattdessen erschüttern Zeugenberichte von menschenunwürdigen Zuständen in der Gefangenensammelstelle und der Zwangsentnahme von DNA-Proben die Öffentlichkeit.Marco Böhme, Sprecher für Klimaschutz und Mobilität der Linksfraktion Sachsen, hat dazu jetzt eine Kleine Anfrage an die Sächsische Staatsregierung gestellt. Er erklärt dazu: „Ich halte das Vorgehen der Polizei für ungeheuerlich. Diese hat bewusst Stimmung gemacht – sowohl beim Thema Impfstoff, dem Millionenschaden und auch bei der vor Ort genehmigten Demonstration. Leider ist das nicht das erste Mal, dass die Polizei lügt. Die Polizei Sachsen muss endlich demokratisiert werden. Es verbietet sich, dass eine neutrale Behörde zum politischen Akteur wird.“

Und dann gerieten die jungen Demonstrant/-innen auch noch an eine Nachtbereitschaft der Polizei, in der augenscheinlich die simpelsten Regeln der Menschenwürde nicht mehr galten.

„Die Zeugenaussagen aus der Gefangenensammelstelle erschrecken mich zutiefst“, sagt Marco Böhme. „Diese Art der Gefangenenbehandlung – zumal die Tatvorwürfe sich in Luft auflösten – ist eines Rechtsstaates nicht würdig und muss dringend aufgeklärt werden. Ich frage mich, wann jemals mit Reichsbürgern, Corona-Leugnern und anderen rechten Gruppierungen, die in den letzten Monaten in Sachsen illegale Versammlungen durchgeführt und die Corona-Schutzverordnungen bewusst missachtet haben, so umgegangen wurde. Hier wird eindeutig eine linke Klimaschutzbewegung kriminalisiert und mit massiven Repressionen überzogen. Das muss aufhören!“

Das Ganze wird nun ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die Staatsregierung muss sich zu den Sachverhalten der Kleinen Anfrage (Drucksachennummer 7/7135) äußern.

„Vom Ministerpräsidenten erwarte ich eine Entschuldigung wegen der Verunglimpfung friedlicher Proteste“, sagt Böhme. Denn Kretschmer hatte sich im LVZ-Interview einmal mehr ohne wirkliche Kenntnis der Vorgänge geäußert. Das hat in diesem Fall nichts damit zu tun, dass er als Ministerpräsident eine Beurteilung der Ereignisse abgeben muss.

Das kann er durchaus machen, wenn er sich vorher kundig gemacht hat. Aber das hat er ganz unübersehbar nicht getan. Auch so etwas beschädigt ein Amt.

Wobei es völlig egal ist, ob er die ungeprüfte Wortmeldung eines DHL-Sprechers nachplappert oder die Verdächtigungen einer Polizeimeldung unhinterfragt übernimmt, die sich in den Folgetagen als großenteils falsch erwiesen hat.

Politische Ämter bringen auch Verantwortung für das mit sich, was man in dieser herausgehobenen Position sagt. Denn zu Recht gehen die Bürger davon aus, dass ein Ministerpräsident sich kundig macht und beraten lässt, bevor er einer Provinzzeitung ein Interview gibt zu so einem Thema, das naturgemäß die Gemüter erregt. Gerade in einem Bundesland, das sich bislang mehr als schwertut, klimapolitisch die Kurve zu kriegen.

Und der Frachtflughafen Leipzig/Halle ist längst auch ein klimapolitischer Streitfall, vom Land Sachsen massiv unterstützt, aber auf einer hochsubventionierten Logistik aufgebaut, die Jahr für Jahr Millionen Tonnen CO2 verursacht.

Für Freitag, 16. Juli 2021, wurde 16 Uhr eine Demonstration in der Leipziger Innenstadt angemeldet, die auf die Missstände des Polizeiverhaltens und die Ausbaupläne des Flughafens aufmerksam machen soll. Böhme: „Dort werden Betroffene des Flughafenausbaus, Klimaaktivisten sowie Antirassismus- und Friedensbündnisse sprechen.“

Und emotional ist das Thema auch deshalb, weil der Flughafen gegen die Proteste in der Region einen weiteren Ausbau zugunsten des nächtlichen Frachtflugbetriebs plant.

Der geplante Ausbau wird das Frachtaufkommen von derzeit 80.000 Starts und Landungen auf knapp 130.000 erhöhen. Dann wären weitaus mehr Menschen von Lärm- und Schadstoffemissionen betroffen, als bisher. Vom Flughafen Leipzig/Halle aus wurden im vergangenen Jahr außerdem über 400 Abschiebungen durchgeführt und er dient weiterhin als Militärdrehkreuz der Nato und der Bundeswehr. Die Petition gegen den Flughafenausbau, welche von mehr als 11.000 Menschen unterschrieben wurde, wird auf der Plenarsitzung am 21. Juli 2021 auf Antrag der Linksfraktion zur Abstimmung gestellt.

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