In der vergangenen Woche veröffentlichte die Dokumentationsplattform chronik.LE die neunte Ausgabe der Broschüre „Leipziger Zustände“. Diese alle zwei Jahre erscheinende Broschüre bietet auf 112 Seiten einen umfassenden Überblick über rechte Strukturen und Diskriminierung im Raum Leipzig. Sie bringt Interviews und Hintergrundberichte, zeigt blitzlichtartig Vorfälle in der jüngsten Vergangenheit.

Und sie zeigt auf, wie Rechtsextremismus sich in immer mehr Stadträte und Gemeinderäte ausbreitet und Politiker anderer Parteien die „Brandmauer“ schon eingerissen haben, bevor Friedrich Merz das sogar im Bundestag groß inszenierte. Die aktuelle Ausgabe beleuchtet Themenkomplexe wie Wahlen & Parteien, Rechte Strukturen & Alltagskultur, Queerfeindlichkeit & Antifeminismus, Rassismus und Antisemitismus seit dem 7. Oktober.

„Zahlreiche Autor/-innen haben zu diesen Kapiteln Analysen und Berichte beigetragen, um ein tiefgehendes Verständnis der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen in Leipzig und Umgebung zu ermöglichen“, erklärt Steven Hummel, Pressesprecher von chronik.LE.

Besonders aktuell ist natürlich das große Kapitel zu den Wahlen des Jahres 2024, bei denen Bewerber nicht nur der AfD, sondern auch zahlreicher rechtsextremistischer Kleinparteien die Zahl ihrer Mandate in Kommunalparlamenten deutlich vergrößern konnten. Fast überall wurde die AfD zur stärksten Fraktion in den Gemeinderäten.

Rechtsextreme profitieren von geringer Wahlbeteiligung

In Leipzig ist das in dem Ausmaß zwar nicht passiert. Aber auch hier wurde deutlich, wie eng der Wahlerfolg der AfD mit einer niedrigen Wahlbeteiligung zusammenhängt.

„In der Stadt Leipzig kann die AfD bei der Stadtratswahl gegenüber 2019 nur leicht um 2,1 Prozentpunkte auf 17,0 Prozent zulegen“, liest man in den „Leipziger Zuständen“. „Dies entspricht 12 Mandaten im Stadtrat (plus 1). Damit liegt die Partei in Leipzig knapp hinter CDU (18,9 Prozent, 13 Mandate) und Linke (17,5 Prozent, 12 Mandate) auf dem dritten Platz. Die Freien Sachsen kommen nur auf 1,0 Prozent und damit einen Sitz im Stadtrat. Die Basis erreicht nur 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Am besten schneiden AfD und Freie Sachsen mit Werten zwischen 17 und 28 Prozent beziehungsweise zwischen 1,1 und 1,6 Prozent in den äußeren und nördlichen Wahlkreisen 1 (Nordost), 2 (Ost), 6 (West), 8 (Nordwest) und 9 (Nord) ab. Dies sind auch die Gebiete mit einer niedrigeren Wahlbeteiligung mit nur 56 bis 66 Prozent.

In den Wahlkreisen, in denen der Zuspruch für die Rechtsaußen-Parteien geringer ausfällt (in den Wahlkreisen Mitte und Süd sogar knapp unter zehn Prozent), ist die Wahlbeteiligung mit 68 bis 75 Prozent deutlich höher. Insgesamt haben 78 Personen für die AfD kandidiert, genau so viele wie 2019. Die Freien Sachsen schickten 19 Personen ins Rennen, Die Basis lediglich 3.“

Aber der Wählerzuspruch für die rechtsextremistische AfD hängt eben auch direkt damit zusammen, wie die anderen Parteien mit dieser Partei, ihren Mandatsträgern und Anträgen umgehen.

Keine Brandmauer für Michael Weickert

Und während derzeit alle auf Friedrichs Merz’ „Sündenfall“ mit den Migrations-Anträgen der CDU im Bundestag schauen, machte der aktuelle Vorsitzende der CDU-Fraktion im Leipziger Stadtrat schon im Sommer des vergangenen Jahres deutlich, dass ihm die „Brandmauer“ zur Rechtsaußenfraktion völlig egal ist.

In „Leipziger Zustände“ liest man dazu: „Einen Tag nach der Stadtratswahl im Juni 2024, bei der die CDU in Leipzig mit 18,9 Prozent (+ 1,4) den ersten Platz belegte, gibt deren alter und neuer Fraktionsvorsitzender Michael Weickert (Stadtrat seit 2014) der Leipziger Volkszeitung ein kurzes Interview. Er wird unter anderem gefragt, ob er sich auch vorstellen könne, mit der AfD Mehrheiten zu finden, und antwortet darauf deutlich: ‚Natürlich. Wir haben gerade als stärkste Fraktion die Verantwortung, Angebote zu machen und Mehrheiten zu finden. Diese ganzen Brandmauer-Diskussionen haben die AfD nur stärker gemacht.‘

Obwohl diese Äußerungen im klaren Gegensatz zur CDU-Beschlusslage stehen, überraschen sie nicht, wenn man einen Blick auf bereits erfolgte Kooperationen im Leipziger Stadtrat beziehungsweise der Region wirft.“

Wie man rechte Politik gesellschaftsfähig macht

Eine Tabelle listet dann die jüngsten Kooperationen insbesondere von CDU- und AfD-Fraktion im Leipziger Stadtrat auf. Kooperationen, die auch zeigen, dass Weickert Nonsense erzählt hat, als er behauptete: „Diese ganzen Brandmauer-Diskussionen haben die AfD nur stärker gemacht.“

Das Gegenteil ist der Fall. Immer stärker hat gerade die CDU in den vergangenen Jahren die (falschen) Narrative der AfD übernommen und damit versucht, dem rechtsextremen Original Boden abzujagen. Was aber nie geklappt hat. Stattdessen schoss man immer schärfer gegen die möglichen Partner aus dem demokratischen Lager. Das Ergebnis ist natürlich, dass damit der Eindruck entsteht, ausgerechnet die Scharfmacher von ganz rechts hätten tatsächlich die richtigen Medikamente für die Gegenwart.

Christian Stöcker attestierte ja gerade im „Spiegel“ Friedrich Merz, dass er auf die Narrative der AfD hereingefallen ist. Diese Narrative begegnen einem längst auch in Reden, Anfragen und Anträgen der Leipziger CDU, die damit regelrecht darauf zu spekulieren scheint, gemeinsam mit der AfD Mehrheiten in Stadtrat zu generieren.

Ab sofort erhältlich

Die „Leipziger Zustände“ beschränken sich nicht auf Leipzig, sondern analysieren auch die oft genug problematische politische Lage auch in den Landkreisen und in stadtnahen Kommunen wie Taucha und Markranstädt, die längst massiv unter der Präsenz der Rechtsextremen leiden. Es sind Menschen, die eine konstruktive Arbeit in den Gemeindeparlamenten gezielt erschweren und manchmal fast unmöglich machen. Ein Lesestoff für alle, die so gern vergessen, dass das Rangeln der Rechtsextremen um Mehrheiten und Macht ernst gemeint ist und ihre destruktiven Ideen das Land verändern. Und zwar nicht zum Besseren.

Die Broschüre „Leipziger Zustände 2025“ ist ab sofort an über 50 Stellen kostenlos erhältlich und kann auf der Webseite von chronik.LE heruntergeladen werden.

chronik.LE ist eine Plattform zur Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Vorfälle in Leipzig sowie den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen. Die Online-Chronik bildet die Grundlage für Analysen und Broschüren wie die „Leipziger Zustände”. Ziel ist es, auf antidemokratische Bestrebungen aufmerksam zu machen und zur Aufklärung beizutragen.

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