Überall in der Stadt kocht die Wut. Denn das hat die Szene der freien Kultur, der engagierten Verreine und Initiativen so noch nie erlebt. In keinem Jahr, in dem der Doppelhaushalt der Stadt Leipzig monatelang auf dem Tisch der Landesdirektion Sachsen lag und diese schon vorher signalisierte, dass die Sparanstrengungen nicht reichen. Solange der Haushalt nicht genehmigt ist, liegt praktisch eine Haushaltssperre auf allen Budgets. Weshalb auch die Stadtbezirksbeiräte ihre Gelder nicht abrufen könen. Der Neustädter Markt e. V. ist ebenfalls betroffen und schreibt jetzt einen richtig wütenden Brief an die Stadt.

Es gibt sogar drei Versionen, eine deftiger als die andere. Man merkt schon beim Lesen, wie groß die Wut ist, die sich mit den Mitarbeiterinnen der Stadtverwaltung wahrscheinlich sogar an die Falschen richtet. Denn dass die Kommunen in Deutschland immer tiefer in die Schulden rutschen, hat zuallererst mit einer falschen Steuerpolitik im Bund zu tun, Parteien, die immer noch glauben, die Wirtschat würde florieren, wenn man nur immer mehr Geld zu den Reichen, Vermögenden und vielleich mal Investitionswilligen pumpt.

Dumm nur, dass damit der wichtigste aller Investoren ausgeblutet wird: der Staat. Aber auf sächsischer Landesebene herrscht im Grunde dasselbe Denken. Man verspricht zwar vollmundig, die Sorgen der Kommunen ernst zu nehmen. Aber wenn es an die simple Genehmigung von Haushalten geht, wird der Rotstift angesetzt und geprüft und gekürzt, bis vor Ort gar nichts mehr geht.

Und das wird so weitergehen. Das Jahr 2025 ist nur das erste, in dem diese gnadenlose „Sparpolitik“ rücksichtslos zuschlägt und erstmals auch die ehrenamtlichen Vereine in Leipzig mit voller Wucht zu spüren bekommen, wenn eine Stadt neun Monate lang selbst die bewilligten Kleinstbeträge für die beantragten Projekte nicht auszahlen darf.

Manche Vereine, wie der Bülowviertel e.V., haben ihre Feste einfach wieder abgesagt. Stillschweigend. Aber am Neustädter Markt ist man richtig sauer. Auch weil man dort weiß, dass man mitten in einem sozialen Brennpunkt der Stadt tätig ist, wo ehrenamtliches Engagement Gold wert ist.

Der Brief des Neustädter Markt e.V.

Beliebtes Volksfest in Gefahr – verdienter gemeinnütziger Verein sucht Hilfe

Das „Neustädter Markt Frühstück“ ist eine Institution im Leipziger Osten. Der 1991 gegründete gemeinnützige Verein „Neustädter Markt e. V.“ als Veranstalter dahinter mag nur Insidern bekannt sein. Er ist im besten Sinne des Wortes eine Bürgerinitiative im und aus dem Kiez. Am geschichtsträchtigen Neustädter Markt rund um die Heilig Kreuz Kirche verortet, haben Anwohner und Kiezaktive in 30 Jahren verschiedene Formate aufgebaut, wie der beliebte und immer gut besuchte große Flohmarkt jeden Monat auf der Eisenbahnstraße, oder das nicht weniger bekannte „Neustädter Markt Frühstück“ direkt auf dem gemütlichen kleinen Marktplatz um die Kirche, das einmal im Jahr stattfindet. Jubiläum – diesen Sonntag ab 10 Uhr zum zwanzigsten Mal.

Hier kommen Jung und Alt zusammen, Männlein und Weiblein, Familien mit Kindern, Leipzig geborene mit dem Kiez-typischen babylonischen Sprachgewirr der aus aller Welt zugezogenen Nachbarn. Senioren, nicht mehr gut zu Fuß oder vereinsamt ebenso, wie Menschen mit Behinderungen. Die ehrenamtlichen Vereinsmitglieder haben in wochenlanger Arbeit alles vorbereitet: die durch die Spenden der vielen kleinen Lädchen im Viertel finanzierten Frühstücksleckereien – Kaffee und Tee, frische Brötchen, Kuchen und Muffins werden auf den Tischen arrangiert.

Aber hier geht es nicht nur um das „leibliche Wohl“, sondern um gelebte Nachbarschaft, Austausch, ein gemütliches Zusammenkommen mit bekannten und auch immer neuen Gesichtern. Sprachbarrieren werden zur Not mit Händen und Füssen überwunden, die Kinder sind aufgeregt, ob der Clown wohl wieder da ist, welche Leckereien es gibt und wann sie mit ihren Freunden auf die Hüpfburg oder den großen, verkehrsgeschützten Spielplatz dürfen, den der Verein gemeinsam mit dem Pöge-Haus, einem verbundenen Künstlerprojekt, betreibt.

Die Erwachsenen sind gespannt welche Musik wohl von der kleinen Bühne kommen wird und was an Entertainment wohl diesmal sonst noch so geboten wird.

Zeitig am Morgen schon haben die Helfer vom Verein Tische und Stühle in den Schatten der großen Bäume platziert und Dutzende Stände für die vielen sich präsentierenden bunten Projekte, Vereine und Initiativen aufgebaut. Das ist jedes Mal eine Menge schweißtreibende Arbeit. Manchmal wären mehr Hände, die anpacken besser. Diesmal neu: leckere asiatische Suppen! Das ist eine gute Belohnung für die viele Arbeit – von den zufriedenen Gästen und glücklichen Kinderaugen ganz abgesehen.

Der Leipziger Osten um die Eisenbahnstraße hat in den letzten Jahrzehnten viele Schlagzeilen gemacht.
Ein Stadtbezirk voller Geschichte und Geschichten, jahrelang auf der Kippe zwischen Problem- und Kult-Image.

Das Verhältnis zwischen Kriminalitäts-Brennpunkt, Integrationsproblemen mit Immigranten und Flüchtlingen einerseits und einem Boom-Viertel multikultureller Buntheit, Studenten-WGs, Weltkultur, leckerer arabischer Restaurants und internationaler guter Nachbarschaft hat sich über die Jahre zum Guten gebessert, aber nie endgültig entschieden.

Dabei ist das Potential im Kiez groß. Studenten mögen die kulturelle Buntheit, viele sind hergezogen. Junge Familien haben sich angesiedelt, weil sie die Ruhe, die Nachbarschaftlichkeit und die persönliche Note z.B. im Gebiet der Mariannen- und Ludwigstrasse oder im Bülowviertel mögen. Selbständige, Kleinunternehmen und Gründer mögen den Kiez.

Adressen wie Japanisches Haus, Pöge Haus, das Jugendzentrum „OFT Rabet“, Theater Ost-Passage, die Kultur-Apotheke, Ostwache, Garage Ost, Seniorenbüro Inge & Walter, das Freie Sphere Radio, IG Fortuna/Kino der Jugend, viele soziale Projekte wie die Tafel Ost etc. repräsentieren die ganze Bandbreite des Leipziger Ostens: Jung und Alt, von Bürgerengagement und gegenseitiger Unterstützung, von Hilfe bis Kultur und Kunst – der Kiez ist breit aufgestellt.

Aber leider mangelt es seitens der Stadt an Respekt und Würdigung der jahrein, jahraus geleisteten Arbeit. Ehrenamtler sind Selbstausbeuter. Menschen, die es sich in ihrem Viertel gemütlich machen wollen, die mit guter Nachbarschaft, Integration und Inklusion Kriminalität, Gewalt und politischen Extremismus zurückdrängen bzw. gar nicht erst aufkommen lassen wollen. Eine wichtige Arbeit, die die Stadt nicht zu leisten in der Lage ist. Zum Beispiel, weil man dazu die Menschen im Kiez und ihre Probleme kennen muss, sich unter die Leute mischen, zuhören.

Ist schlecht möglich, wenn man nie hinter seinem Rathausschreibtisch hervorkommt und immer mal, wenn – in der Regel zu wenig – etwas Geld da ist, einmal mit der Gießkanne über den Kiez geht. Und dass das passiert ist, ist auch schon Jahre her.

Ehrenamtler würden sich gewiss für jahre- oder gar jahrzehntelange unbezahlte Arbeit in Größenordnungen mal über eine Prämie freuen, aber da geht’s eher um die Anerkennung, als ums Geld. Aber die meisten von ihnen haben selbst wenig. Die einen machen es stressig neben dem Job, die anderen, z.B. einige Senioren, würden allein zu Hause sitzen ohne die Vereinsprojekte.

Die aber verursachen Nebenkosten: Sitzgarnituren und Sonnenschirme müssen repariert und neu angeschafft werden, Ämter und Versicherungen bezahlt werden, Material eingekauft. Viele Transportkilometer verbrauchen Sprit, die Lager und das Büro kosten Miete usw. Da kommt einiges an Selbstkosten zusammen. Trotzdem stellen unsere Mitglieder mit kleinen vierstelligen Beträgen Großveranstaltungen auf die Beine. Dafür würde im Rathaus niemand auch nur seinen Drehstuhl umdrehen.

Klar, die Krise: Seit letztem Jahr gibt es kaum noch feste Mittel für den Verein. Der städtische Etat ist eingefroren worden: noch mehr Selbstausbeutung. Und nun wurde kurzfristig auch noch das komplette Stadtbezirksbudget gesperrt. Das heißt: Niemand im Viertel kann noch was tun, es sei denn aus der ohnehin schmalen eigenen Tasche. Ohne Ankündigung, völlig kurzfristig: Die Arbeit ist getan, das Geld ausgegeben – Refinanzierung? Denkste!

Z.B. das über die Stadt hinaus bekannte BülowSTRASSENMUSIKfestival: kurzfristig abgesagt. Die Künstler gebucht und kurz vor der Anreise, die Deko schon eingekauft, die Technik unter Vertrag. Die Ignoranten im Rathaus und im Stadtbezirk juckts nicht.

Aus dem offenen Brief des Bülowviertel e.V.: „An die Politik: Wenn ihr das nächste Mal über ‘gesellschaftlichen Zusammenhalt”‘ redet, dann denkt kurz an dieses abgesagte Fest. Und an all die Kinder, Familien, Künstler*Innen und Ehrenamtlichen, denen ihr gerade ins Gesicht spart.

Weil irgendwo in einem Büro Menschen mit Excel-Tabellen sitzen, die Kultur offenbar für verzichtbaren Luxus halten, können wir das Fest, das sonst Kinderlachen, Musik, Tanz und Miteinander bringt, nicht durchführen. Der Etat ist zu. Der Wille fehlt. Und das Herz offenbar gleich mit. Statt buntem Treiben gibt’s dieses Jahr: → Leere Bühnen → Stille Boxen → Abgesagte Träume.

Aber hey – der Haushalt ist ausgeglichen. Gratulation. Ihr habt das Licht ausgemacht, und jetzt steht ihr stolz im Dunkeln.“

Genau, so ist es – da ist von uns nichts hinzuzufügen. Man muss sich mal vorstellen: Nicht reiche, engagierte Bürger haben Geld von ihren schmalen Vereinskonten ausgegeben und können im September mit Dutzenden „Härtefall-Anträgen“, wenn überhaupt, auf einen „Lostopf“ hoffen!!! So kann man nicht planen, so kann man nicht arbeiten.

Uns ist es Dank des blitzartigen Notsponsorings des Nazar Supermarktes auf der Eisenbahnstraße, der Eyseway Fahrschule am Neustädter Markt und der Gaststädte Paradise am Gontardweg gelungen, die Absage unseres Jubiläums-Frühstücks zu vermeiden.

Aber die Kleinbeträge decken bei weitem nicht die ausgefallene vierstellige Förderung. Unser Vorschlag wäre ja: Die Bürokraten der Stadt und der Stadtbezirke arbeiten alle mal ein Jahr ehrenamtlich und stellen den Ehrenamtlern und Projekten dieser Stadt ihre opulenten Gehälter zur Verfügung.

Dann wären alle Probleme über Jahre hinaus vom Tisch.

Also: Wir sehen uns am Sonntag, 17. August, um 10 Uhr auf dem Neustädter Markt! Und schreibt den Stadträten und Stadtbezirksräten doch gern ein paar liebe Mails, was Ihr von dieser kriminellen Energie im Amt so haltet!

Liebe Mitstreiter von den anderen gebeutelten Kiezvereinen – kommt gern vorbei zum gemeinsamen Wundenlecken und Mut machen!

Und liebe Kleinunternehmer und Mittelständler im Viertel: Wir könnten bisschen Hilfe grad wirklich gut gebrauchen. Spendenkonto siehe unten, gern stellen wir Spendenbelege aus.

Danke und viel Spaß am Sonntag!

Die Aktiven vom Neustädter Markt e. V.

Spenden an Neustädter Markt e. V., Bankverbindung: Sparkasse Leipzig, BLZ: 860 555 92, IBAN DE20 8605 5592 1170 8043 02

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Es gibt 4 Kommentare

“hat zuallererst mit einer falschen Steuerpolitik im Bund zu tun”
dann nichts wie ran an die Abgeordneten und ändern.

Kiez
Substantiv, maskulin [der]
nordostdeutsch•besonders berlinisch
Stadtteil, [abgelegener] Ort
“sie kennt ihren Kiez genau”
also die Sprache der Ur-Leipziger

@Maline
1. Ich (der Verfasser) bin hier in Leipzig geboren, und habe 55 Jahre hier gelebt und bei verschiedenen Gelegenheiten in der Stadt Geschichte geschrieben (u.a. in der Revolution 1989). Ich bin ein Ur-Leipziger und ganz sicher nicht “draussen”.
2. Wenn Dir zu solch einem brennenden Thema nichts anderes als solch provinzieller Unfug einfällt, dann Gute Nacht.

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