In der letzten Woche legte die Stadt Leipzig ihren nunmehr siebenten Sozialreport vor. Ohne viel Tamtam. Anders als noch 2005. Denn die Zahlen in diesem 150-Seiten-Report geben schon zu Denken. Denn beim Geld zeigt sich, ob gute Zahlen auch wirklich gute Zahlen sind. Eine sinkende Arbeitslosenzahl muss für die eigentlich Betroffenen gar nichts bedeuten. Sie haben dann vielleicht Arbeit, müssen aber trotzdem beim Amt betteln gehen.

Das ist nur in den Köpfen einiger ganz Verquerer wirklich ein sinnvoller Weg, eine Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. Für den Haushalt einer Stadt ist es auch nicht wirklich ein sinnvoller. Auch wenn der Oberbürgermeister in den sinkenden Arbeitslosenzahlen eine frohe Botschaft sieht. Und eine Entlastung für den Sozialetat der Stadt um 10 Millionen Euro.

2011 zumindest war diese “Ersparnis” noch nicht zu sehen. Aber auch Bürgermeister Thomas Fabian sah einen Hoffnungsschimmer in diesem Report: “Der Sozialreport 2011 zeigt, dass die Armutsgefährdungsquote als auch die Arbeitslosenquote und der Anteil der Kinder, die Sozialgeld beziehen, gesunken sind – das ist erfreulich. Gleichzeitig bleiben Sorgen: So stieg die Zahl der Schülerinnen und Schüler, welche im Schuljahr 2010/11 die Schule ohne Abschluss verließen, erneut an, auf derzeit 15,4 Prozent. Insbesondere Förderschülerinnen und -schüler sind betroffen – 86 Prozent verlassen die Schule ohne Abschluss.

Hier sehe ich dringenden Handlungsbedarf. Weitere Aufmerksamkeit verdienen die steigenden Fallzahlen und kommunalen Ausgaben in den Bereichen Grundsicherung im Alter, Hilfe zur Pflege und bei den Sozialbestattungen; hier zeigen sich sowohl die demografischen Auswirkungen – mehr Menschen werden immer älter, als auch ein zunehmendes Problem der Altersarmut. Dazu werden wir im nächsten Sozialreport ausführlicher berichten.”

15,4 Prozent aller Schüler haben die Schule ohne Abschluss verlassen? – Auf den ersten Blick ins Zahlenmaterial ist das natürlich ein statistischer Effekt, resultierend aus den abrupt zusammengeschmolzenen Abschlussjahrgängen insbesondere an den Gymnasien.

Andererseits ist das trotzdem das Ergebnis der sächsischen Schul-Spar-Politik. Irgendwann, so kann man nur hoffen, haben auch die letzten Politiker begriffen, dass Volkswirtschaften nicht so funktionieren wie kleine Werbebuden in Dresden. Die Kosten, die man mit der Sparmentalität eines hessischen Maschinenbauers “einspart”, verschwinden nicht einfach – irgendwer muss sie in der Gesellschaft immer bezahlen. Irgendjemand bleibt auf den unbezahlten Rechnungen sitzen. Und mitten in der Zeit der geburtenschwächsten Jahrgänge einen neuen “Rekord” an nicht geschafften Schulabschlüssen hinzulegen, das zeugt schon von begnadeter Kurzsichtigkeit. Das wird teuer. Für die Kommune, für die Betroffenen und – ziemlich bald schon – für die heimische Wirtschaft.

Und die positiven Entwicklungen, die Fabian benennt, zeigen im Sozialetat der Stadt zumindest im Jahr 2011 noch keine Wirkung. Im Gegenteil: Es ist ein neuer Rekordetat geworden: 644,1 Millionen Euro. Fast 90 Millionen mehr als im “Restetat”, der eigentlich der “richtige” Haushalt der Stadt ist.
Und rund 130 Millionen Euro mehr als 2005, als der erste Sozialreport vorgestellt wurde. Damals hielten sich der Sozialetat und die “sonstigen Ausgaben” der Stadt mit rund 490 Millionen Euro noch in etwa die Waage. Und ein wichtiger Kostentreiber all die Jahre war die Verlagerung der Kosten für die “Grundsicherung nach dem SGB II” vom Bund in die Kommunen. Innerhalb des Sozialetats war das mit knapp 130 Millionen Euro der größte Posten. Wobei das nur der städtische Anteil ist. Insgesamt beträgt der Posten auch mit den Zuschüssen des Bundes über 180 Millionen Euro.

Und das Besorgniserregende ist tatsächlich: Obwohl die Zahl der als arbeitslos Gezählten seit 2008 deutlich gefallen ist und seit einem Jahr auch die Zahl der Bedarfsgemeinschaften sachte zurückgeht, ist der Posten von über 129 Millionen Euro für die städtische Grundsicherung stabil geblieben. Immerhin.

Dafür macht ein anderer Posten deutlich, dass steigende Geburtenzahlen zwar auch eine positive Botschaft sind – im Haushalt der Stadt aber ebenfalls Ausgabensteigerungen nach sich ziehen. Der städtische Etat für Kindertagesstätten und Kindertagespflege stieg von 2010 auf 2011 von 88,7 auf 98,6 Millionen Euro. Das hat seine Gründe nicht nur in den höheren Betreuungszahlen und den vielen Eltern, die ein Recht auf Ermäßigung oder gar Freiplätze für ihre Kinder haben. Immerhin stieg der Gesamtetat der Kinderbetreuung von 161,6 auf 174,9 Millionen Euro. Darin enthalten sind auch die Mehreinnahmen durch die Elternbeiträge von über 3 Millionen Euro. Dafür hat der Freistaat Sachsen seine Zuschüsse seit Jahren gedeckelt. Die steigenden Betriebskosten bleiben also zu größten Teil bei der Stadt hängen.

Und 2011 kommt ebenfalls zum Tragen, dass das beitragsfreie Vorschuljahr, das der Freistaat 2010 zum ersten Mal finanziert hatte, gleich wieder abgeschafft wurde. Das hatte 2010 immerhin eine Ersparnis für die Stadt von 3 Millionen Euro bedeutet. Da 2011 alles wieder abgeschafft wurde, kam die Stadt bei den Übernahmen für Elternbeiträge wieder in die seit 2000 anhaltende Kurve der permanenten Steigerung und übertraf hier mit 16,7 Millionen Euro logischerweise den Wert von 2010 (14,3 Millionen) deutlich.
Der Sozialreport, der durchaus detaillierte Zahlen zu Kindern, Alten, Migranten, Menschen mit Behinderung, Lebensunterhalt, Gesundheit und auch freiwilligem Engagement bietet, ist also ein Bericht irgendwie aus einer Übergangszeit. Die statistischen Zahlen erzählen zwar von einer Verbesserung, die Angaben zum Sozialetat zeigen aber noch keine Entspannung, sondern einen neuen Rekordwert.

Ein Grund dafür, dass es so ist, ist ab Seite 25 nachlesbar, wo es um die Entwicklung der Haushalte und der Einkommen geht. Und unübersehbar ist dort neben der Tatsache, dass die Haushaltseinkommen der Leipziger Anfang des letzten Jahrzehnts einen heftigen Dämpfer erhalten haben und seit dem Jahr 2003 praktisch stagnieren. Das hat nicht nur mit der Einführung von “Hartz IV” zu tun, was auch eine deutliche Zunahme von Single-Haushalten nach sich zog. Es hat auch mit der Art von Arbeitsplätzen zu tun, die seitdem entstanden sind.

Selbst wenn die Haushalte seit 2003 über relativ stabile Durchschnittseinkommen verfügen, bedeutet das in der Realität trotzdem eine anhaltende Verarmung. Denn die Inflation wird ja nicht einfach gestoppt, wenn der Staat die Bemessungsgrenzen für seine Beihilfen festnagelt. Allein ab 2005 stiegen die Verbraucherpreise durchschnittlich um 12 Prozent. Wenn sich das in der Einkommensentwicklung nicht abbildet, bedeutet das zwangsläufig eine Verarmung für die Betroffenen.

Auch deshalb stieg die Armutsgefährdungsquote in Leipzig von 23,9 Prozent im Jahr 2005 auf 27,2 Prozent im Jahr 2009. Erst 2010 sank sie erstmals auf 26,4 Prozent.

Dazu kommt: Auch in Leipzig geht die Schere zwischen Arm und Reich sichtbar auseinander. Im Sozialreport heißt es dazu: “Die Einkommensunterschiede haben sich in den letzten Jahren etwas erhöht. Während die Einkommen der einkommensschwächsten 20 Prozent nahezu unverändert bei etwa 750 Euro liegen, ist das Einkommen der einkommensstärksten 20 Prozent auf ca. 1.680 Euro angestiegen. Nach Untersuchungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ist die Polarisierung der Einkommen in den neuen Bundesländern nach wie vor geringer als in den alten Bundesländern.”

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Und das, obwohl der Anteil der Einkommen aus Erwerbsarbeit die ganze Zeit stieg, der aus Arbeitslosengeld sank. Noch beklemmender wird die Aussage, wenn gleich darauf in einer Grafik sichtbar gemacht wird, wie stark die offiziell gezählte Arbeitslosigkeit seit 2005 gesunken ist: von 46.870 auf 33.127. Wenn das nicht in einer signifikanten Einkommenssteigerung de Bevölkerung sichtbar wird, haben ein paar Leute etwas falsch gemacht. Man entlastet eine Stadt nicht, wenn man Billig-Arbeitsplätze favorisiert.

Im Bericht heißt es dazu: “Im Jahr 2010 erhielten 20.750 erwerbstätige Personen neben ihrem Arbeitseinkommen ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Das waren insgesamt 35,0 Prozent aller erwerbsfähigen SGB-II-Empfänger/-innen bzw. 8,5 Prozent aller Erwerbstätigen mit Wohnort in der Stadt Leipzig.”

Was dann auch Folgen für die Kinder hat. “Im Jahr 2010 waren insgesamt 17.973 der Leipziger Kinder unter 15 Jahren auf Sozialgeldzahlungen angewiesen, das waren 464 weniger als ein Jahr zuvor, bzw. der niedrigste Jahreswert seit 2005”, heißt es im Report. “Anteilig beziehen damit 30,1 Prozent aller Leipziger Kinder Sozialgeld.”

Was natürlich die kleine Hoffnung erweckt, dass dieser Wert in den nächsten Jahren wirklich signifikant sinkt. Was sich ja in der “Bürgerumfrage 2011” schon andeutet: Der zunehmende Fachkräftemangel in der Leipziger Wirtschaft führt dazu, dass gerade die jungen Familiengründer schneller in eine ordentlich bezahlte Anstellung kommen und nicht mehr dauerhaft in “Hartz IV” landen. Noch haben einige Unternehmen so ihre Probleme mit familienfreundlichen Arbeitsbedingungen.

Aber die Umfragen der Kammern zeigen, dass das Umdenken in Gang ist. Denn wer in nächster Zeit nicht bereit ist, junge Mütter und Väter in Lohn und Brot zu nehmen – egal, welche Angst der Personalchef dann vor Mehr-Arbeit hat – die haben ganz schlechte Karten. Eine Zukunft haben tatsächlich nur noch familienfreundliche Unternehmen.

Und mit einiger Wahrscheinlichkeit sehen die nächsten Sozialreports schon etwas anders aus.

Den Sozialreport 2011 findet man hier:

www.leipzig.de/sozialreport

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