Seit Jahren findet sich in den Leipziger Umfragen ein Posten überschrieben mit "Die größten Probleme der Stadt". Aus 22 vorgegebenen Problemfeldern, die sich irgendwie die Bürgermeister und Amtsleiter ausgedacht haben, konnten die Teilnehmer der "Bürgerumfrage 2014" wieder auswählen. Erstmals ohne Begrenzung. Verbessert hat es den Klumpatsch aber nicht. In den Vorjahren konnten sie immer nur drei "Probleme" ankreuzen.

Aber das verbessert ja die Auswahl nicht. Viele Probleme, die selbst Stadtgespräch sind, kommen überhaupt nicht vor – wenn man die Kosten des ÖPNV nur als Beispiel nennt, andere sind extrem von der Medienberichterstattung abhängig – so wie der komische Klumpen “Kriminalität, Sicherheit”. Denn: Ist nun die Sicherheit ein Problem in Leipzig oder die Kriminalität? Steigt die eine, nimmt die andere ab? Das ist bei dieser Frage überhaupt nicht differenzierbar. Es fällt nur auf, wie sehr dieses Doppel-Thema besonders die Senioren in Leipzig aufregt, die hier zu 77 Prozent angekreuzt haben: Ist ein Problem. Studenten und Schüler taten das nur zu 30 Prozent.

Aber warum nur? Weil sie ein ähnliches Gefährdungspotenzial sehen? Oder weil ihnen einige Sicherheitsvorkehrungen und Überwachungsmaßnahmen zu weit gehen? Oder gar die aktuelle Politik der alten Leute, die sich noch mehr Vorratsdatenspeicherung, Überwachung und “Sicherheit” wünschen?

Dieselben Verhältnisse gibt’s beim Thema “Sauberkeit auf Straßen und Plätzen”, während die Leipziger Rentner bei einem Thema regelrecht kneifen: Schulen. Nur 13 Prozent haben irgendwie mitbekommen, dass Leipzig ein echtes Schulmangelthema hat – bei den Schülern und Studenten sehen das immerhin 35 Prozent.

Was aber bedeutet das? Sind den Älteren die Probleme der Jüngeren völlig egal? Denken sie nur an sich, an ihre desolaten Straßen vorm Haus, ihre Parkplätze?

Haben wir eine Generation der egoistischen Alten?

Keiner kann das sagen bei dieser Ankreuzerei. Immerhin sorgen sich die Älteren zu 31 Prozent um die Finanzsituation der Stadt, problematisieren aber gleich auch zu 27 Prozent das “Zusammenleben mit Ausländern”. Das haben wir gestern an dieser Stelle schon analysiert.

Und der Eindruck trügt nicht: Die von der Verwaltung vorgelegte Problemliste ist nicht aussagekräftig. Sie enthält wichtige Probleme eben nicht – von der politischen Teilhabe über die wohnortnahe Versorgung bis hin zu Grünflächen und klimatischen Bedingungen, um nur einige zu nennen. Die Problemliste ist ein Gemisch aus Medienplattitüden und ein paar Orientierungswünschen der Verwaltung.

Was nutzt es den Arbeitslosen, wenn sie zu 49 Prozent ihr Kreuzchen bei “Armut” machen, sich über fehlende Arbeits- und Ausbildungsplätze ärgern (43 Prozent) oder über zu hohe Wohnkosten (35 Prozent), wenn es einfach keine sinnvollen Integrationsangebote für sie gibt?

Was den Blick auf die Tatsache lenkt, dass einige Bevölkerungsgruppen besonders unter den Verwerfungen der aktuellen Gesellschaft leiden. “Schulen” steht da als Problem, Bildungschancen aber nicht. Über den Straßenzustand darf geschimpft werden, über den Zustand von Geh- und Radwegen aber nicht. Die Worte Lärm und Luftverschmutzung kommen überhaupt nicht vor, die Servicequalität des Rathauses übrigens auch nicht, genauso wenig wie die Präsenz von der Polizei.

Es ist eine altbackene, biedere und sehr verkniffene Stadt, die sich in den von der Verwaltung vorgegebenen “Problemen” widerspiegelt. Die moderne und nachhaltige Stadt kommt darin überhaupt nicht vor. Die Liste ist also dringend überarbeitungsbedürftig und an den Entwicklungsstand der Großstadt Leipzig anzupassen. So wie sie ist, spiegelt sie nur sehr wenige, sehr biedere Interessenlagen und kann eigentlich auch keine Arbeitsliste für die Verwaltung sein. Man kann nicht die Probleme aus der Boulevardberichterstattung ernst nehmen und die anderen einfach ignorieren.

Kann man schon. Wird ja auch gern praktiziert.

Aber dieselbe Selbstgefälligkeit einer abgehobenen Verwaltung spiegelt sich ja auch in den Fragen zum “Sparen” und “Nicht Sparen”. Aber damit beschäftigen wir uns morgen.

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