Tun sie es oder tun sie es nicht? Das ist die große Frage, nachdem das Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) am Donnerstag, 26. November, ihre Meldung veröffentlicht hat: "Sparkassen vergeben in Wahljahren mehr Kredite". Und die Vermutung der Rechenexperten aus Halle ist dabei: "Offenbar nutzen Kommunalpolitiker in Wahljahren ihren Einfluss auf die Kreditvergabe der Sparkassen aus." Ein heftiger Verdacht.

Denn normalerweise dürfen Kommunalpolitiker nur die Aufsicht ausüben über die Kreditinstitute in ihrem Revier, nicht aber Einfluss nehmen auf die Kreditvergaben.

Oder liegen die Rechenkünstler aus Halle daneben?

“In Jahren, in denen Kommunalwahlen stattfanden, erhöhten die Sparkassen ihre Unternehmenskredite im Durchschnitt um 7,6 Millionen Euro“, erklärt IWH-Präsident Reint E. Gropp. Kredite, die in Wahljahren gewährt wurden, waren außerdem  von geringerer Qualität und verringerten die Einnahmen der Sparkassen, stellte das IWH auch noch fest.

Zu den Aufgaben der Sparkassen gehört es, die Finanzierung kleiner und mittelständischer Unternehmen bereitzustellen, um Wirtschaft und Beschäftigung in ihrer Region zu fördern. Dabei sind sie gesetzlich auf die Kreditvergabe in ihrer Kommune (Stadtsparkasse) oder ihrem Kreis (Kreissparkasse) beschränkt.

Den IWH-Forschern zufolge begünstigt dieses sogenannte Regionalprinzip bei der Kreditvergabe kombiniert mit dem Einfluss lokaler Politiker auf Kreditentscheidungen die Indienstnahme der Sparkassen für politische Zwecke. Eine These, die zu beweisen wäre.

Kommunalpolitiker haben im Sparkassenverwaltungsrat und im Kreditausschuss prominente Positionen inne, die es ihnen ermöglichen, Einfluss auf wichtige Kreditvergabeentscheidungen zu nehmen, versucht das IWH den Effekt zu erklären. Denn bislang handelt es sich um einen rechnerisch ermittelten Effekt, nicht um eine marktumfassende Studie.

Vorsitzende dieser Gremien sind beispielsweise meist die Bürgermeister oder Landräte.

Theorien politischer Konjunkturzyklen gehen davon aus, dass Politiker sich in Wahljahren einer expansiven Steuerpolitik zuneigen, weil sie ein Interesse daran haben, ihre Popularität zu steigern, indem sie die wirtschaftlichen Bedingungen günstig erscheinen  lassen. So die These der Wirtschaftforscher aus Halle.

Eine These, von der sie jetzt überzeugt scheinen, dass sie zutrifft: “Die empirischen Ergebnisse der IWH-Berechnungen zeigen, dass dies auch auf deutsche Kommunalpolitiker zutrifft, wenn sie Sparkassen als Instrument expansiver Geldpolitik einsetzen: Sie gewähren mehr Kredite an Unternehmen, und das häufig  zu günstigeren Konditionen. ”

Die Zahlen, auf denen die Feststellung beruht: In dem Jahr, in dem eine Kommunalwahl stattfand, wurden von den  Sparkassen im  Durchschnitt 7,6 Millionen Euro mehr an Unternehmenskrediten vergeben als in anderen Jahren. Für alle Sparkassen zusammengenommen beläuft sich dies auf eine Summe von 3,4 Milliarden Euro.

An wen die Kredite ausgereicht wurden, haben die Forscher nicht explizit erhoben. Das Datenmaterial haben sie gar nicht zur Verfügung gehabt. Sie haben rein mit statistischen Zahlen operiert – vor allem vom Bundesamt für Statistik und aus den öffentlichen Sparkassenstatistiken selbst. Dabei mussten sie säuberlich für jedes Bundesland die Jahre mit Kommunalwahlen herausfiltern und von den Jahren ohne solche Wahlen trennen. Was nicht ganz einfach ist, denn die Wahlzyklen sind in den Bundesländern sehr unterschiedlich. Und sie überlappen sich mit anderen Wahlen.

Das Ergebnis lässt zumindest vermuten, dass da etwas sein könnte.

Das Problem ist aber auch: Man hat es mit 452 deutschen Sparkassen zu tun und erfasst wurden tatsächlich nur die Jahre 1995 bis 2006. Es wurde keine regionale Unterscheidung vorgenommen, etwa um herauszubekommen, ob der Effekt in einigen Regionen anders ist. Denn es gibt ja mittlerweile genug Geschichten, die auch medial für Aufsehen sorgten, in denen die Sparkassenvorsitzenden selbst eine unrühmliche Rolle spielten und ihre Parteinähe in sehr spendable Kundennähe ummünzten. Und – was ja dann in der Regel zum Skandal führte – das Geldinstitut an den Rand der Pleite führten.

Eine weitere Frage ist natürlich: Kommunalwahlen sind das eine – die Oberbürgermeisterwahlen etwa in Leipzig sind davon völlig losgekoppelt. In normalen Kommunalwahljahren würde das Ausschütten von großen Krediten nicht allzu viel bringen, bei OBM-Wahlen wahrscheinlich sogar mehr. Aber wenn man sich die Entwicklung bei der Sparkasse Leipzig betrachtet, so fallen die OB-Wahljahre 2006 und 2013 keineswegs aus dem Raster – im Gegenteil – die neu ausgereichten Kredite waren jedes Mal deutlich niedriger als im Vorjahr (28,7 und 46,2 Millionen Euro).

Dafür waren die Neukreditierungen in den Jahren, in denen die Kommunalparlamente neu gewählt wurden (2005 und 2009) tatsächlich deutlich höher: 335,2 und 277,7 Millionen Euro. Aber wie gesagt: Wem nützt das? In Stadtrat und Kreistagen sitzen ja mehrere Parteien. Veranstalten die zum Ende der Legislatur immer noch mal einen Überbietungswettbewerb bei der Ausschreibung neuer Bauprojekte?

Das hätte in der medialen Berichterstattung auffallen müssen, ist es aber nicht.

Die IWH-Forscher konnten auch zeigen, dass die in Wahljahren gewährten Kredite im Vergleich mit anderen Jahren von geringerer Qualität waren. So waren in den Folgejahren  die Kreditausfallrückstellungen der  Sparkassen  höher und  die  Zinseinnahmen niedriger als in dem Jahr vor einer Wahl.

„Das wahlzyklische Kreditvergabeverhalten der Sparkassen deutet darauf hin, dass politische Erwägungen bei der Kreditvergabe in Wahljahren eine bedeutende Rolle spielen“, meint Gropp, „das verzerrt die Kapitalallokation und möglicherweise auch die lokalen Wahlergebnisse.”

Aber die lokalen Wahlergebnisse kann es eigentlich nur verzerren, wenn im Wahljahr auch für die Wähler sichtbar wird, dass etwas geschieht. Das macht sich mit Krediten im Wahljahr eigentlich schlecht, die müssten eher im Vorwahljahr fließen, damit zur Wahl schon mal ein paar große prächtige Baustellen zu sehen sind oder die Großanzeigen von neu angesiedelten Firmen, die jetzt Arbeitskräfte suchen.

Oder steckt gar ein ganz anderer Effekt dahinter?

Eine indirekte Wahlkampffinanzierung, indem einige Parteigrößen ihre edelsten Spender durch ihren Einfluss auf die Sparkasse begünstigen? Das klingt zumindest logisch und wirkt sich dann eben nicht mit neuen Großprojekten aus, sondern mit mehr Geld in der Wahlkampfkasse. Und dann muss es auch nicht der amtierende Landrat oder Oberbürgermeister sein, der hier die Früchte einheimst.

Denn die genannten 7,6 Millionen sind ja im Grunde ein Witz. Davon kann man nicht wirklich ein großes, Aufmerksamkeit erzeugendes Projekt bauen.

Auf die Summen kam das IWH lediglich durch die errechneten prozentualen Wachstumszahlen. Denn während die Kreditsummen der erfassten Sparkassen im Schnitt um 1,65 % im Jahr wuchsen, gab es in Kommunalwahljahren eine Steigerung um 0,7 Prozentpunkte auf dann rechnerisch 2,35 %. Und dieser Zuwachs geschah vor allem durch Kredite mit schlechteren Konditionen für das Kreditinstitut mit entsprechend höherem Ausfallrisiko.

Das könnte eher darauf hinweisen, dass hier keine öffentlichen Aufträge ausgereicht wurden, sondern ein paar Politiker ihre quengelnden Freunde vom Wirtschaftsstammtisch versorgt und ihnen ein paar günstigere Kredite bersorgt haben. Eine Hand wäscht die andere.

Aber Fakt bleibt auch: Die Zahlen sind nur ein Indiz.

Sie zeigen nicht, ob das überall so ist oder gar ganz andere Ursachen dahinter stecken, zum Beispiel die Genehmigungspraxis übergeordneter Instanzen. Und da sind wir jetzt mitten im politischen Geschäft, denn diese Geldausschüttungen sind besonders beliebt bei Landtagswahlen: Nach drei Jahren Schmalhans öffnen Landesregierungen im Wahljahr gern die Schleusen für die Genehmigung von Förderanträgen und überschütten das Land mit Wohltaten. Und in vielen Bundesländern korrespondieren die Kommunalwahlen mit den Landtagswahlen, ein Effekt, den die Hallenser Rechner überhaupt nicht untersucht haben.

Und jede Kommune wäre mit dem Klammersack gepudert, den Geldregen abzulehnen, denn alle wissen ja, dass die nächsten drei Jahre wieder geknausert wird. Und damit das Geld auch verbaut werden kann, braucht es in der Regel oft auch ergänzende Kreditierungen. Und da fallen natürlich die Jahre 2004 und 2009 in Leipzig auf: Beides waren in Sachsen Jahre mit Landtagswahlen. Auch 2004 gab es bei der Leipziger Sparkasse (die 2004 und 2005 auch noch zwei große Fusionsjahre hatte) ein Jahr mit besonders vielen Neukreditierungen: 362,7 Millionen Euro. Es deutet also Vieles darauf hin, dass nicht die Kommunalwahlen den Ausschlag geben für den Kredit-Boom, sondern die Landtagswahlen.

Aber das lassen wir einfach ebenfalls als offene Frage hier stehen.

Auch die Welt der Politik ist wesentlich komplexer, als es sich Wirtschaftsforscher gern ausmalen wollen.

Die Pressemeldung des IWH.

Die kurze Zahlenaufarbeitung im üblichen Wirtschaftsenglisch.

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