Für Freikäufer„11 % der 65- bis 74-Jährigen sind erwerbstätig“, berichtete das statistische Bundesamt am Mittwoch, 12. Juli. Eine Meldung, die durchaus nachdenklich machte. Denn am Arbeitsmarkt sind Veränderungen unübersehbar. Vor zehn Jahren lag dieser Anteil nur bei fünf Prozent. Das hat mehrere Gründe. Aber einen findet Susanne Schaper, Sprecherin der Linksfraktion für Sozialpolitik, besonders erklärungsbedürftig.

„Bundesweit hat mehr als ein Drittel der berufstätigen Ruheständlerinnen und Ruheständler keine Wahl und muss weiter schuften, weil die Rente nicht reicht. Das betraf 2016 schon fast 350.000 Menschen, und es dürften rasch mehr werden – vor allem im Osten, wo viele Erwerbsbiografien nach 1990 gebrochen, die Löhne noch immer systematisch niedriger und weitere Einkommenssäulen wie Pensionen oder Betriebsrenten schwächer vertreten sind als im Westen. Auch die Angleichung der Rentenwerte steht aus“, betont Susanne Schaper.

„In Sachsen liegt der Anteil der erwerbstätigen Rentnerinnen und Rentner mit 9,3 Prozent noch unter dem Bundeswert, allerdings wächst der Anteil auch schneller: Vor zehn Jahren lag er noch bei 2,8 Prozent, er hat sich also inzwischen mehr als verdreifacht. Zudem sinken laut deutscher Rentenversicherung jährlich die Rentenzahlbeträge bei den Neurentnerinnen und Neurentnern.“

Wobei das Bundesamt für Statistik besonders auf einen Aspekt aufmerksam macht: Die hochweise deutsche Politik hat ja vor ein paar Jahren den systematischen Anstieg des Renteneintrittsalters beschlossen. „Seit 2012 wird die Grenze für die Regelaltersrente schrittweise auf 67 Jahre angehoben. Am Ende des Berichtszeitraums 2016 galt eine Altersgrenze von 65 Jahren und 5 Monaten“, kann man da lesen. Etliche tausend über 65 Jahre alte Männer waren also noch ganz regulär in Arbeit. Was sich dann auch im Vergleich der Geschlechter niederschlägt: „Unterschiedlich hoch waren die Anteile bei Männern und Frauen: 15 % der Männer zwischen 65 und 74 Jahren und 8 % der Frauen der gleichen Altersgruppe waren 2016 erwerbstätig. 2006 hatten diese Werte noch bei 7 % beziehungsweise 4 % gelegen.“

Andererseits zeigen diese Zahlen natürlich, dass Susanne Schaper trotzdem Recht hat. Viele Menschen müssen weit über das offizielle Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, weil die Rente viel zu niedrig ausfallen würde. Immer mehr tun es freilich auch freiwillig. Das darf man auch nicht vergessen. In den vergangenen Jahren ist der Arbeitsmarkt regelrecht gekippt – war es noch bis zu Gerhard Schröders markiger „Agenda 2010“ üblich, selbst hochqualifizierte Arbeitnehmer mit 50 oder 55 Jahren aus dem Arbeitsleben zu kicken, so halten heute viele Unternehmen mit allen verfügbaren Mitteln an ihrem qualifizierten Personal fest – auch und gerade an den erfahrenen Älteren. Was mittlerweile selbst Menschen im Rentenalter eine Jobchance gibt – zumindest, wenn sie hochqualifiziert sind.

Aber der Trend, immer länger zu arbeiten, hängt eben immer öfter mit den mageren Rentenerwartungen zusammen. Viel zu sehr ist das deutsche Rentensystem auf eine Art Arbeitnehmer ausgelegt, der 40 Jahre lang ohne Unterbrechung in einer gut bezahlten Stellung ist und entsprechend fleißig Beiträge in die Rentenkasse zahlt. Gerade aber im Osten ist diese Art Berufskarriere längst zur Ausnahme geworden. Immer mehr „junge“ Rentner gehen in den Ruhestand, die dringend auf soziale Unterstützung angewiesen sind. Da passt Vieles nicht mehr zueinander.

„Das alles führt dazu, dass immer mehr Menschen auch an ihrem Lebensabend einer Erwerbsarbeit nachgehen und hoffen müssen, körperlich und geistig noch möglichst lange dazu in der Lage zu sein“, beschreibt Susanne Schaper das Bild, das sich ihr da bietet. „Dieser Druck ist nicht menschenwürdig. Verschärfend hinzu kommt die Erhöhung des Renteneintrittsalters, wodurch die in vielen Fällen ohnehin schon zu geringen Rentenzahlungen unterm Strich noch mal sinken.“

Eine Zahl, die Schapers Vermutung bestätigt, steckt in dieser Aussage: „Für rund 37 % der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 Jahren war die ausgeübte Tätigkeit die vorwiegende Quelle des Lebensunterhalts. Damit gab es 2016 in Deutschland 346.000 Personen, die im Rentenalter überwiegend vom eigenen Arbeitseinkommen lebten. Für die Mehrheit der Erwerbstätigen zwischen 65 und 74 Jahren war dieses Einkommen aber ein Zuverdienst, sie lebten in erster Linie von ihrer Rente (58 %).“

2006 war für 41 Prozent der erwerbstätigen „Rentner“ der Job die Hauptquelle des Lebensunterhalts, 52 Prozent brauchten die Arbeit als Zusatzeinkommen. Was bedeutet: Die Zahl der Rentner, die zusätzlich zur Rente etwas dazu verdienen (müssen), ist deutlich stärker gestiegen.

Die mögliche Lösung aus Sicht der Linkspartei: „Wir streiten weiter für eine gesetzliche Rente, die den Lebensstandard sichert, auch für Selbstständige wie Handwerker. Wir stehen für die Rückkehr zur Rente mit 65, für eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro und eine gesetzliche Rentenversicherung, in die alle für ihr gesamtes Einkommen einzahlen.“

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Darüber hinaus sparen Arbeitgeber erheblich.
Das Arbeitsentgelt ist niedriger. Sozialversicherungsbeiträge fallen kaum an. Kündigungsfristen bestehen quasi nicht.
Der angebliche Fachkräftemangel ist für Arbeitgeber kaum ein Beschäftigungsgrund. Dagegen spricht auch die höhere Zahl Erwerbsloser zwischen 50 und 65.

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