Für sich selbst würden sie wahrscheinlich nicht einmal sagen, dass sie arm sind. Denn in der Regel gehören sie nicht zu den wirklich als „armutsgefährdet“ geltenden Leipzigern, die mit Hartz IV oder prekären Mini-Jobs auskommen müssen. Sie arbeiten Vollzeit, bekommen gerade so genug, um einigermaßen auskömmlich zu leben. Aber tatsächlich verdienen 54.500 Leipziger nicht genug, um später eine auskömmliche Rente zu bekommen. Davor warnt die IG BAU.

54.500 Vollzeit-Beschäftigte in Leipzig verdienen weniger als 2.200 Euro brutto im Monat. Das sind 32 Prozent aller Menschen, die in Leipzig sozialversicherungspflichtig die volle Stundenzahl arbeiten. Darauf hat die IG Bauen-Agrar-Umwelt hingewiesen. Die IG BAU Nord-West-Sachsen beruft sich dabei auf eine aktuelle Statistik der Arbeitsagentur.

Gewerkschafter Bernd Günther warnt deshalb: „Wer heute in Vollzeit weniger als 2.200 Euro verdient, der ist mit hoher Wahrscheinlichkeit im Alter auf staatliche Stütze angewiesen.“

Das ergebe sich aus Berechnungen der Bundesregierung. Danach muss ein Vollzeit-Arbeitnehmer im Schnitt mindestens 12,63 Euro pro Stunde verdienen, um nach 45 Beitragsjahren bei der Rente oberhalb der staatlichen Grundsicherung zu landen.

„Einige werden zwar das Glück haben, dass der Ehepartner besser verdient und so die Renten-Haushaltskasse später aufbessert. Doch für viele ist die Rente selbst dann extrem knapp“, sagt Günther.

Für den IG BAU-Bezirksvorsitzenden ist das ein unhaltbarer Zustand: „Altersarmut trotz Vollzeit – das kann nicht sein. Wer jeden Tag acht Stunden malocht, der muss von seiner Arbeit auch leben können.“

Günther spricht von einem Ausufern des Niedriglohnsektors, dem die Politik zu lange zugeschaut habe: „Bei vielen Beschäftigten ist die Angst groß, in Hartz IV abzurutschen. Deshalb akzeptieren sie auch Niedriglöhne. Etliche Unternehmen nutzen das schamlos aus. Sie zahlen kaum mehr als den gesetzlichen Mindestlohn.“

Dabei hätten die meisten Betriebe durchaus Spielräume, mehr zu bezahlen. „Wer sich als Dumping-Unternehmer nur mit dem gesetzlichen Mindestlohn am Markt behauptet, der sollte sein Geschäftsmodell ohnehin überdenken“, so Günther.

Eine wichtige Absicherung gegen Armutsrenten sind Tarifverträge, betont die IG BAU. So lag der durchschnittliche Tariflohn nach der letzten bundesweiten Berechnung bei 17,90 Euro pro Stunde – und damit deutlich über dem Armutsrisiko. Ein gelernter Bauarbeiter verdient nach Tarif sogar 19,35 Euro in der Stunde.

Günther dazu: „Wer jedoch für die gleiche Arbeit nur den speziellen Bau-Mindestlohn bekommt, der hat Monat für Monat 1.300 Euro weniger auf dem Lohnzettel. Ihm gehen damit wichtige Rentenpunkte verloren.“

Anspruch auf eine tarifliche Bezahlung haben Beschäftigte, die Gewerkschaftsmitglied sind und deren Betrieb einem Arbeitgeberverband angehört. In Zeiten eines massiven Fachkräftemangels im Handwerk sollten Arbeitnehmer auf dem Tariflohn bestehen, rät die IG BAU. „Von der Gebäudereinigung über das Dachdeckerhandwerk bis hin zur Landwirtschaft – für Beschäftigte geht es hier um viel Geld“, so Günther.

Zudem seien in Tarifverträgen oft auch Betriebsrenten vereinbart – eine zusätzliche Absicherung gegen Altersarmut. Günther verweist auf das Modell vom Bau. Dort werden Beiträge von der Sozialkasse der Bauwirtschaft (Soka-Bau) eingezogen und später als monatliche Tarifrente ausgezahlt. Je nach Höhe und Dauer der Beiträge könne die monatliche Extra-Rente mehr als 200 Euro ausmachen.

Pech eher für all jene, die in Betrieben ohne Tarifbindung beschäftigt sind und auch noch mehrfache Brüche in ihrem Berufsleben haben. Sie bezahlen für ihre flexible Einsatzbereitschaft dann gleich mehrfach und werden auch als Ruheständler nur Rentner 2. Klasse.

Jede zweite Rente unter 800 Euro und die neueste Ihr-seid-ja-alle-doof-Aktion der INSM

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