Deutschland verändert sich, eigentlich genauso wie Sachsen. Die neuen Arbeitsplätze entstehen vor allem in den Metropolen. Hier wird das Wachstum generiert. Und das Wachstum der Großstädte erzählt davon, wo die Mischung noch einigermaßen stimmt und wo eher nicht. Leipzig hat sich in den letzten Jahren auf Platz 8 der deutschen Großstädte vorgearbeitet.

„Das Bevölkerungswachstum unter den deutschen Großstädten hat in den letzten Jahren nachgelassen. Aber Leipzig befindet sich nach wie vor unter den Städten, die – auf niedrigerem Niveau zwar – relativ am stärksten wachsen. Außerdem bleibt Leipzig eine der Städte, in der relativ die meisten Jobs entstehen, in der aber auch Einkommenszuwächse hinter den Bundesdurchschnitt zurückfallen“, fasst Lars Kreymann den Vergleich der 15 größten deutschen Städte aus dem Jahr 2019 zusammen.Jüngere Daten aus dem Corona-Jahr gibt es auf der Ebene noch nicht. Aber der Vergleich macht schon deutlich, wie und warum sich die Großstädte verändern und warum Leipzig in den letzten Jahren erst Bremen, dann Essen und Dortmund bei der Bevölkerungszahl überholt hat und mit 593.145 nun Städte wie Düsseldorf und Stuttgart in den Blick nehmen kann.

Denn was die heutige Metropole tatsächlich ausmacht, zeigt eher eine Stadt wie Frankfurt, die Pendlerhauptstadt Deutschlands, wie sie Kreymann nennt.

„Frankfurt a. M. war und ist die ,Pendlerhauptstadt‘ Deutschlands. Auch 2019 war hier die Beschäftigtenquote (Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter je Einwohner im erwerbsfähigen Alter) mit 112,9 Prozent am höchsten unter den Vergleichsstädten und lag deutlich über 100 Prozent“, schreibt Kreymann.

„In Frankfurt a. M. arbeiten demnach mehr Arbeitnehmer als Erwerbsfähige wohnen. Das heißt, eine große Zahl von Pendlern kommt tagtäglich zum Arbeiten in die Stadt, lebt aber außerhalb der Stadtgrenze. Die Pendlersalden bestätigen diesen Zusammenhang. Den mit Abstand größten Saldo je 1.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigter hatte 2019 Frankfurt a. M. mit 475,7. Es folgten Düsseldorf und Stuttgart mit ebenso sich deutlich absetzenden Pendlersalden von 407,0 und 377,0. Für beide Städte liegen nach Frankfurt a. M. auch die höchsten Beschäftigtenquoten in Höhe von 103,1 Prozent und 96,3 Prozent vor.

Die geringsten Quoten wiesen Duisburg, Dortmund und Berlin auf, wobei die Beschäftigtenquote Duisburgs mit 53,7 Prozent deutlich unter bundesdeutschem Durchschnitt lag. In diesen Städten stand etwa die Hälfte der erwerbsfähigen Bevölkerung in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Ebenso wie bei der Beschäftigtenquote war in Berlin und Duisburg der Pendlersaldo am geringsten. Lediglich 96 bzw. 3 Arbeitnehmer je 1.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mehr pendelten in die Städte ein als auspendelten. Im Fall von Duisburg war das Verhältnis von Aus- und Einpendlern nahezu ausgeglichen.“

Beschäftigtenquote, Pendlersaldo, Arbeitslosenquote der 15 größten deutschen Städte. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen
Beschäftigtenquote, Pendlersaldo, Arbeitslosenquote der 15 größten deutschen Städte. Grafik: Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen

Leipzig liegt mit einem Pendlersaldo von 117 noch weit hinter den großen westdeutschen Städten. Aber das wird sich ändern, wenn der bezahlbare Wohnungsbau in Leipzig nicht aus dem Knick kommt. Denn wer in Leipzigs diversifizierter Wirtschaftslandschaft zwar einen Job findet, aber keine angemessene und bezahlbare Wohnung, der wird sich ins Umland orientieren.

Was genau jene Prozesse beginnen lässt, die etwa Frankfurt zur Pendlerhauptstadt machen: Die gut bezahlten Jobs gibt es in der Frankfurter City, aber die Stadt ist im Grunde an ihre Wachstumsgrenzen gekommen und schon seit Jahren weichen die Beschäftigten deshalb aufs Umland aus.

Das ist die negative Kehrseite der Konzentration attraktiver Arbeitsplätze in den zentralen Großstädten. Sie erhöht den Zwang auf die dort Beschäftigten, immer weitere Strecken zur Arbeit zurückzulegen, also zu pendeln, egal, ob mit Auto oder S-Bahn.

Und der Zwang ist umso höher, je weniger Arbeitsalternativen es außerhalb dieser Städte gibt. Was dann im Grunde den zweiten Teufelskreis auslöst, denn wenn Unternehmen in ländlichen Räumen nicht (mehr) die Arbeitskräfte bekommen können, die sie brauchen, gehen auch sie lieber in die zentrale Großstadt, wo sie sich auch die hohen Mobilitätskosten sparen, denn die Arbeitskräfte kommen ja von allein hierher.

Auch dann, wenn das Lohnniveau nach wie vor um 18 Prozent unter dem im Westen liegt. Für die Region um Leipzig ist es dennoch vergleichsweise hoch und attraktiv.

18.825 Euro beträgt das verfügbare Einkommen pro Einwohner in Leipzig, immerhin Duisburg liegt mit 17–126 schon dahinter, Dortmund nur knapp darüber. Dresden liegt mit 20.112 übrigens ebenfalls darüber. Es ist eben nicht nur die Höhe des Einkommens, die entscheidet, ob sich hier jemand ansiedelt, sondern oft schlicht das Vorhandensein des ordentlich bezahlten Arbeitsplatzes verbunden mit der Verfügbarkeit an Wohnraum.

Eher erhöht das höhere Lohnniveau noch die Bereitschaft zum Pendeln. Hohe Pendlerquoten korrelieren direkt mit hohen Einkommen.

Ob das freilich eine gute Entwicklung ist, darf man bezweifeln. Zwar hatten zehn der 15 untersuchten Städte einen Geburtenüberschuss, darunter auch wieder Leipzig. Aber der resultiert nicht daraus, dass Stadtbewohner besonders geburtenfreudig sind, sondern weil die wichtigste Zuwanderungsgruppe in diese Städte die jungen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren sind, die nun einmal in diesem Alter auch ihre Familie gründen.

Deswegen darf man nicht nur auf die natürliche Bevölkerungsbewegung sehen, wenn es um die viel beschworene Nachhaltigkeit dieser Entwicklung geht. Denn nicht nur für Leipzig gilt: Die höhere Geburtenzahl in der großen Stadt bedeutet einen dramatischen Geburtenrückgang in den umliegenden ländlichen Regionen.

Die aber liefern ja bekanntlich die bekannten Wanderungsgewinne, eben wieder lauter junge Menschen um die 20 Jahre, die in der großen Stadt eine Chance für ihre Lebensplanung sehen.

Was dann wohl heißt, dass Leipzig zwar irgendwann in den nächsten Jahren Düsseldorf bei der Bevölkerungszahl (621.877) überholt, aber auch deutlich höhere Pendlerzahlen verzeichnen wird – und das wohl eher auf der Straße als in der S-Bahn, die weder das komplette Umland erschließt noch in wirklich attraktiven S-Bahn-Takten fährt.

Lars Kreyman stellt dann – da ja auch die Erhebungen aus den Vorjahren vorliegen – ein sich verlangsamendes Wachstum in den großen Städten fest. Spannend wäre sicher, die genauen Gründe dafür zu thematisieren. Aus der Statistik kann man sie nur vermuten – angefangen damit, dass das Hinterland der Metropolen zusehends ausblutet, über die Tatsache, dass die steigenden Mieten einen Zuzug für junge Leute immer schwerer machen, und bis dahin, dass Städte wie Stuttgart und Frankfurt ihre Wachstumsgrenzen praktisch erreicht haben und nicht so viele (bezahlbare) Wohnungen entstehen, wie man für ein hohes Bevölkerungswachstum braucht.

Und da hat man noch gar nicht all die jungen Leute im Blick, die mit diesen Problemen irgendwie zurechtkommen müssen, die meist mit schlecht bezahlten und befristeten Verträgen ins Berufsleben einsteigen, erst mit 30 Jahren überhaupt an Familiengründungen denken können und dann auf einen Wohnungsmarkt treffen, der für Gutverdiener gedacht ist, aber nicht für normale Menschen, die einfach ein selbst gestaltetes Leben führen möchten.

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