Es war nicht erst die Corona-Pandemie, die das Wahlverhalten der Deutschen deutlich verändert hat. Aber sie hat eine vorher schon bekannte Entwicklung deutlich verstärkt. Denn seit 2013 brauchen Wähler/-innen nicht mehr zu begründen, warum sie lieber per Brief wählen, statt ins Wahllokal zu gehen. Und das nutzen auch immer mehr Leipziger/-innen. Aber die Landtagswahlen in der Pandemie lassen Dr. Christian Schmitt, Leiter Amt für Statistik und Wahlen, noch heftigeres befürchten.

Denn einigen Ärger in der Verwaltung hat ja schon die OBM-Wahl Anfang 2020 gemacht. Da war die Corona-Pandemie noch weit weg, irgendwo in China. Aber von der hohen Briefwahlbeteiligung schon im ersten Wahlgang wurde Leipzigs Amt für Statistik und Wahlen ziemlich kalt erwischt.Bei der letzten Bundestagswahl 2017 war die Zahl der Briefwähler/-innen schon von weniger als 40.000 auf 50.000 gestiegen. Aber dafür ist die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen stets höher als bei OBM-Wahlen. Deswegen hatte man nicht wirklich mit 56.000 Briefwählern schon im ersten Durchgang gerechnet. Im zweiten Durchgang der OBM-Wahl schnellte die Zahl dann schon auf 65.000 hoch.

Darauf war das die Wahl organisierende Amt nicht wirklich vorbereitet, auch wenn man schon in einen deutlich größeren Saal umgezogen war mit den extra zur Briefwahl versammelten Wahlhelfern. Anfangs hatte dafür noch die Mensa der Uni Leipzig genügt, aber nachdem die Zahlen seit 2013 langsam zu steigen begannen, war man mit allen Briefwahlbezirken in die Dreifeld-Sporthalle der Gerda-Taro-Schule umgezogen.

Und die kam da schon gewaltig an ihre Grenzen, von den verpflichteten Wahlhelfer/-innen ganz zu schweigen, die an diesem Märztag länger und mit größerem Druck zählen mussten als in den Vorjahren. Denn auch die Briefwahlumschläge dürfen am Wahltag erst um 18 Uhr geöffnet werden, zum selben Zeitpunkt, wenn die Wahllokale schließen und dort die Urnen geleert und ausgezählt werden. Aber es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man nur 40.000 Briefwahlzettel auszählen muss, oder 115.000. Und das ist die niedrigste Prognose, mit der Christian Schmidt in die Bundestagswahl geht.

„Deshalb suchen wir auch weiter Wahlhelfer/-innen“, sagt er. Obwohl man mit 5.600 freiwillig Gemeldeten schon viel mehr hat als in den Vorjahren.

Denn natürlich müssen auch alle 406 Urnenwahlbezirke besetzt werden mit Wahlhelfern. Da kann nicht einfach gespart werden, weil nach wie vor gilt, dass jeder Wähler und jede Wählerin im eigenen Wahlkreis wählen darf. Mittlerweile auch zunehmend barrierefrei, wie Schmidt betont: 63 Prozent der Wahllokale gelten als barrierefrei.

Die wachsende Zahl der benötigten Wahlhelfer/-innen für die Briefwahl kommt also obendrauf. Auch dort: sieben Wahlvorstände pro Briefwahlbezirk. Und von letzterem gibt es 176 Stück.

Und nun diese Prognose für die Bundestagswahl, bei der sich Leipzigs Statistiker/-innen auf die zurückliegenden Landtagswahlen während der Corona-Pandemie in Dortmund, Stuttgart und Koblenz beziehen, wo es zwei Effekte gab: eine leicht zurückgehende Wahlbeteiligung, weil einige Wähler/-innen sich einem Infektionsrisiko wohl nicht aussetzen wollten. Und gleichzeitig einem starken Anstieg der Briefwähler/-innen, denn auch so erspart man sich ja ein Infektionsrisiko beim Gang ins Wahllokal, egal, wie klein es ist.

Und das würde – wenn das auch in Leipzig so eintritt – die bisherigen Kalkulationen endgültig sprengen. Und niemand weiß ja, wie im September die Inzidenzlage ist, ob Deutschland da nicht gerade wieder sehenden Auges in die vierte Welle hineinmarschiert.

Weshalb eine der Unwägbarkeiten im Vorfeld des Wahltages am 26. September eben der Anteil der Briefwähler sein wird. So geht etwa der Bundeswahlleiter von einer Verdopplung der Zahl der Briefwähler aus. Auch die Leipziger Wahlorganisatoren rechnen lieber jetzt schon mit einem Aufkommen von bis zu 200.000 Briefwählerinnen und Briefwählern – etwa bei stockendem Impfgeschehen oder der Verbreitung einer neuen Virusvariante. Eckdaten hierfür wären eine Wahlbeteiligung von 70 Prozent und eine Briefwahlquote von 60 Prozent.

Aber selbst im zurückhaltendsten Verlauf rechnen Leipzigs Statistiker mit 115.000 Briefwählern, also fast einer Verdoppelung im Vergleich zur OBM-Wahl.

Schon das werde man nicht in der Sporthalle der Gerda-Taro-Schule bewältigen können, so Schmidt.

Deshalb ist die Briefwahlauszählung in diesem Jahr in den agra-Messehallen 1 und 2 geplant, um mögliche Platzbedarfe unter Hygieneauflagen zu decken. Dr. Christian Schmitt, der ja auch Wahlleiter in Leipzig ist, sagt dazu: „Die Bundestagswahl 2021 in Leipzig übersteigt die Planungserfordernisse aller bisheriger Wahlen in erheblichem Maße, weil das Pandemiegeschehen nicht absehbar ist. Gleichwohl sind wir gut vorbereitet, um die Wahl sicher und die Auszählung so zügig wie möglich umzusetzen.“

Und zügig heißt eben auch: Mit einem sicher ausgezählten Wahlergebnis vor Mitternacht. Denn ab 18 Uhr werden sie alle mitfiebern – die Direktkandidat/-innen, die Parteien, die Medien und natürlich die Wähler/-innen, die natürlich auch möglichst früh wissen wollen, wer nun Angela Merkel im Bundeskanzleramt nachfolgen wird.

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