Regelmäßig veröffentlichen deutsche Wirtschaftsinstitute ihre Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung. So auch das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle für die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose. Doch so deutlich wie nie zuvor zeigt die jüngste Prognose, dass man mit viel zu engem Raster arbeitet. Die Fixierung auf die Industrie ist überdeutlich. Aber andere Branchen – wie das Gastgewerbe – funktionieren eben nicht wie die Industrie. Darüber stolperten auch schon die Bundesstatistiker.

Und schrieben das, was da gerade passiert, dann wieder der Corona-Pandemie zu. Eine Interpretation, die geradezu die Leerstellen der deutschen Konjunkturstatistiken sichtbar macht.

Die Prognose für Ostdeutschland

„Die derzeitigen Lieferengpässe beeinträchtigen die Produktion im verarbeitenden Gewerbe in Ostdeutschland etwas weniger als in Deutschland insgesamt. Der Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2021 dürfte in Ostdeutschland mit 1,8 % zwar geringer ausfallen als in Deutschland insgesamt (2,4 %), doch 2022, wenn die Lieferengpässe weniger hemmen, dürfte sich dieser Abstand wohl noch vergrößern (Ostdeutschland: 3,6 %, Deutschland: 4,8 %)“, schätzt das IWH ein.

Die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose konstatiert in ihrem vom IWH veröffentlichten Herbstgutachten, dass die wirtschaftliche Lage in Deutschland nach wie vor von der Corona-Pandemie gekennzeichnet wird. Zudem behindern zurzeit Lieferengpässe bei Vorprodukten die Produktion im verarbeitenden Gewerbe. Das trifft auch für die ostdeutsche Wirtschaft zu.

Lieferengpässe treffen Ostdeutschland etwas weniger

„Die Engpässe schlagen aber nicht ganz so deutlich auf die ostdeutsche Produktion durch, weil das verarbeitende Gewerbe und insbesondere die von den Engpässen stark betroffene Automobilindustrie im Osten ein etwas geringeres Gewicht haben“, sagt Oliver Holtemöller, Leiter der Abteilung Makroökonomik und Vizepräsident am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Die Lieferengpässe dürften sich in den vom Statistischen Bundesamt für das erste Halbjahr 2021 berichteten Daten für das Bruttoinlandsprodukt in den Ländern noch nicht voll niedergeschlagen haben. Demnach lag die Veränderungsrate des preisbereinigten Bruttoinlandsprodukts in Ostdeutschland mit reichlich 2 Prozent um 0,7 Prozentpunkte unter der Gesamtdeutschlands. Ausschlaggebend für den Unterschied seien die hohen Zuwächse in Baden-Württemberg und Bayern, wo das verarbeitende Gewerbe ein besonders großes Gewicht hat.

Die Sache mit dem Gastgewerbe

Vom Pandemiegeschehen gehen im kommenden Winter insbesondere für die kontaktintensiven Dienstleistungen nochmals Risiken aus, vermutet die Projektgruppe. Hier seien die Bedingungen im Osten ungünstiger als in Deutschland insgesamt: Auf Grundlage von Angaben des Robert-Koch-Instituts für die Bundesländer ergibt sich gegenwärtig (10. Oktober) eine Quote der vollständig geimpften Personen in Ostdeutschland von etwa 60 %, für Deutschland liegt die Quote bei 65 %.

Aber genau an dieser Stelle wird es kompliziert. Denn dass die unterschiedliche Impfquote die Wirtschaftsleistung beeinträchtigt, ist nur eine Vermutung.

Die das IWH so versucht zu erklären: „Die Pandemie scheint den Umsatz im Gastgewerbe schon den Sommer über im Osten mehr gedämpft zu haben als im Westen. Denn eine Auswertung von Umsatzzahlen in Ost und West durch das Statistische Bundesamt hat ergeben, dass die westdeutschen Umsätze des Gastgewerbes von März bis Juli 2021 im Vorjahresvergleich wieder etwas zugelegt haben, während die ostdeutschen weiter gesunken sind.“

Corona: Umsätze brachen ein

Das Bundesamt für Statistik geht mit seinen Vermutungen nicht so weit, sondern konstatiert nur: „Die stärksten Umsatzeinbußen hatte in Ost wie West das von den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie besonders betroffene Gastgewerbe zu verzeichnen: Hier gingen die nominalen Umsätze in den ersten 12 Monaten nach Ausbruch der Pandemie – also von März 2020 bis Februar 2021 – gegenüber dem Vorjahreszeitraum um fast die Hälfte zurück.

Auch in den darauffolgenden Monaten verbesserte sich die Lage im Gastgewerbe kaum, allerdings zeigte sich bei den Umsätzen in Westdeutschland von März bis Juli 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum eine leichte Erholung (+1,7 %), während sie im Osten noch stärker einbrachen (-7,5 %).“

Starke Einbußen und Personalverlust

Aber da fehlt etwas. Etwas, worüber wir am 1. Oktober zuletzt in der Auswertung zum Leipziger Arbeitsmarkt geschrieben haben. Das Gastgewerbe allein in Leipzig hat übers Jahr über 1.200 Arbeitskräfte verloren. Service- und Küchenpersonal ist in Scharen abgewandert, als die Gaststätten ihr Personal in Kurzarbeit schicken mussten.

Sofort zeigte sich die negative Seite der sächsischen Niedriglöhne. Köche und Kellnerinnen, Köchinnen und Kellner suchten sich lieber schnellstmöglich einen anderen, leidlich bezahlten Job. Und sie kehrten auch im Sommer 2021 nicht wieder zurück. An praktisch jedem Restaurant hängen Jobangebote. Es wird Personal gesucht. Dafür bleiben viele Gasträume gesperrt, weil dort niemand bedienen kann.

Das wird der tatsächliche Grund dafür sein, dass sächsische Gastronomen nicht die Umsätze machen, die sie machen könnten. Gäste wären genug da. Aber solche massiven Veränderungen in der Beschäftigtenstruktur nehmen die üblichen Berechnungen der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose nicht auf.

Was passiert, wenn das Personal knapp wird?

„Alles in allem dürfte der Zuwachs in Ostdeutschland im Jahr 2021 mit 1,8 % etwas geringer ausfallen als in Deutschland insgesamt (2,4 %)“, meint das IWH. „Für das Jahr 2022, wenn Lieferengpässe das verarbeitende Gewerbe weniger hemmen, wird der Abstand zwischen dem deutschen Zuwachs (4,8 %) und dem ostdeutschen (3,6 %) wohl größer ausfallen. Für das Jahr 2023 wird für Ostdeutschland ein Zuwachs von 1,5 % veranschlagt (Deutschland: 1,9 %). Die Arbeitslosenquote nach der Definition der Bundesagentur für Arbeit fällt von 7,1 % im Jahr 2021 auf 6,7 % im nächsten Jahr und 6,5 % im Jahr 2023.“

Aber die Arbeitslosenquote verrät eben nicht, in welchen Branchen mittlerweile immer stärker der Fachkräftenachwuchs fehlt. Und damit fehlt auch das Instrumentarium, den Einfluss fehlender Fachkräfte auf die Wirtschaftsentwicklung zu berechnen. Soweit sich derartiges überhaupt berechnen lässt.

Denn alles deutet darauf hin, dass unter ähnlichen Effekten wie die Gastronomie längst auch das Gesundheitswesen, die Baubranche und das Transportwesen leiden. Wie ein Bumerang bekommt der Osten jetzt zu spüren, was fast 30 Jahre Niedriglohnpolitik in der Beschäftigtenstruktur angerichtet haben.

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