Vielleicht haben wir irgendetwas verpasst, irgendeine der vielen Umwertungen von Worten, mit denen Dinge, die einmal klar bezeichnet waren, sich in Mulch verwandeln. Strategie ist so ein Wort. Wie will Leipzig eine „Strategie für die Anpassung an den Klimawandel“ umsetzen, wenn es keinen Feldherren hat? Griechisch: Strategos. Vom Heer („stratos“) müssen wir ja an dieser Stelle gar nicht reden.

Am Montag, 29. August, stellte die Leiterin des Umweltamtes, Angelika Freifrau von Fritsch, die 36 Seiten dünne Broschüre mit den „Leipziger Strategien für die Anpassung an den Klimawandel und Empfehlungen für Maßnahmen“ vor. Strategien tatsächlich in der Mehrzahl, weil man ein paar Handlungsfelder ausgemacht hat, wo man etwas tun könnte. Aber wer nur? Und wann? Und mit welchen Mitteln?

Die Broschüre ist eine Enttäuschung. Oder das Eingeständnis, dass Leipzig noch immer keine Strategie hat, die Stadt an den Klimawandel anzupassen.

„Wir werden uns den neuen Anforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, stellen. Um die Auswirkungen zu begrenzen, gilt es, den Kohlendioxid (CO2) Ausstoß weiter zu reduzieren“, meinte Angelika Freifrau von Fritsch, Leiterin des Amtes für Umweltschutz, am Montag. „Mit unserer Teilnahme am European Energy Award und unserem 2014 beschlossenen Energie- und Klimaschutzprogramm haben wir die Weichen gestellt, um unseren Verpflichtungen für heutige und zukünftige Generationen insbesondere zur Verringerung der CO2-Emissionen gerecht zu werden. Ungeachtet dessen müssen wir uns mit den Folgen des Klimawandels auseinandersetzen und Anpassungsstrategien entwickeln.“

Das klingt richtig gut, nachdem der Umsetzungsbericht zum „European Energy Award“ 2014 gezeigt hat, dass  Leipzig nicht einen Millimeter vorangekommen ist. Im Gegenteil: Der Kohlendioxidausstoß der Stadt wächst wieder, weil der motorisierte Verkehr wieder wächst und weil vor allem fossile Energieträger wie die Braunkohle nicht aus dem Leipziger Energiemix verschwinden.

Was aber nur indirekt mit dem Thema Klimawandel zu tun hat. Das sind zwar die Ursachen für den menschgemachten Klimawandel – aber bei der Anpassung an den Klimawandel geht es um ganz andere Dinge: Wie schützt man nämlich die Stadt und ihre Bewohner gegen die zum Teil dramatischen Folgen dieses Wandels?

Dann kommt wieder dieser Militärsprech, ohne dass Leipzigs Verwaltung von Strategie die blasseste Ahnung hat: „Die Anpassungsstrategien setzen sich aus einem Bündel aus Strategien verschiedener Handlungsfelder und Empfehlungen für Maßnahmen zusammen.“

Wäre Loriot noch am Leben, müsste man ihn an dieser Stelle anrufen. Eine Strategie, die sich aus lauter Strategien zusammensetzt?

Tatsächlich verrät genau dieser Satz, wie es in Leipzig um den Umweltschutz und die Klimawandelanpassung bestellt ist: Es gibt niemanden, der das Thema tatsächlich verantwortet. Niemand ist irgendjemandem rechenschaftspflichtig. Nicht mal die windelweiche Ratsversammlung hat so etwas jemals beauftragt. Wahrscheinlich wird man dort das bunte Papier so beschließen, wie es da steht: völlig unverbindlich.

Es wäre nicht das erste Thema, das Leipzig völlig vergeigt, weil niemand für irgendetwas die Verantwortung übernimmt.

Und das Eingemachte?

„Leipzig möchte trotz zunehmender Wärmebelastung als Wohnort attraktiv bleiben und möglichen Wanderungstendenzen in das geringer wärmebelastete Umland entgegenwirken. Das Ziel soll unter anderem mit einer Gründachstrategie erreicht werden, die derzeit erarbeitet wird. Als weiteres Beispiel kann das dem Klimawandel angepasste Regenwassermanagement angeführt werden, welches bei städtebaulichen Planungen angestrebt wird. Um das Ziel zu erreichen, werden unter anderem die notwendigen Grundlagendaten und Maßnahmen zum Schutz der wassersensiblen Infrastruktur in einem gemeinsamen Projekt mit den Wasserwerken erarbeitet.“

Das ist sozusagen Tante-Emma-Laden. Aber weder eine Zielbeschreibung noch eine ernsthafte To-do-Liste: Was soll bis wann umgesetzt werden?

Oder: Welches Problem ist eigentlich zu lösen? Vom Klimawandel reden derzeit alle. Und dann setzen sie sich in ihren SUV und fahren Brötchen kaufen an der Tanke.

„Der Klimawandel als weltweites Problem stellt die zentrale Herausforderung für die Menschheit dar und hat Auswirkungen auf nahezu alle Lebensbereiche – auch in Deutschland bzw. in Leipzig“, meint das Leipziger Amt für Umweltschutz. „Mit dem Klimaschutzabkommen von Paris, das im Dezember 2015 verabschiedet wurde, haben sich die Staaten verpflichtet, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, damit die Auswirkungen des Klimawandels beherrschbar bleiben.“

Wird aber so nicht passieren, weil sich alle so verhalten wie die Leipziger Stadtverwaltung: Nur ja nichts ändern.

Auch die Leipziger Durchschnittstemperatur ist seit dem vergangenen Jahrhundert um 1,5 Grad Celsius angestiegen, die Extremwetterereignisse haben zugenommen.

Der Deutsche Wetterdienst prognostiziert, dass auch in Leipzig mit einem weiteren Temperaturanstieg zu rechnen sei. Wobei es Grund genug zur Sorge ist, denn wer mit den aktuellen Hitzeperioden schon seine gesundheitlichen Probleme hat, wird ganz bestimmt erschrecken, wenn die Prognosen fürs Jahrhundertende weitere 2 bis 4 Grad mehr vorhersagen.

Das Umweltamt meint zwar, Leipzig sei 2011 und 2014 für seine „Bemühungen im Klimaschutz auf allen Ebenen der Stadtverwaltung mit dem European Energy Award als Europäische Energie- und Klimaschutzkommune ausgezeichnet“ worden. Tatsächlich wurde mit dem Award nur die Tatsache gewürdigt, dass Leipzig das Thema überhaupt auf den Schirm genommen hat. Die eigentliche Auszeichnung sollte dann der Award in Gold werden, den Leipzig aber nicht bekommen hat, weil fast alle Vorhaben in der Beschreibungsphase stecken geblieben sind.

Natürlich, weil der Stratege gefehlt hat, der sie hätte durchsetzen sollen.

Es ist genau dasselbe Problem, das Leipzig auch in der Lärm- und der Luftreinhaltthematik hat: Große Pläne, nichts dahinter.

Das nennt man Alibi-Politik.

Entsprechend gewürfelt liest sich denn auch, was das Umweltamt sich alles vorstellen kann: „Energieeinsparung, effiziente Energienutzung und Förderung des Einsatzes regenerativer Energien werden auch in Zukunft für die Stadt Leipzig, ihre Tochterunternehmen, die Verbände und Institutionen sowie die Leipziger Bevölkerung eine zentrale Rolle spielen. Gemeinsames Ziel ist es, die Kohlendioxidemissionen alle fünf Jahre um weitere zehn Prozent zu reduzieren.“

Die Schönwetterbroschüre zur Klimawandelanpassung in Leipzig. Cover: Stadt Leipzig
Die Schönwetterbroschüre zur Klimawandelanpassung in Leipzig. Cover: Stadt Leipzig

Das ist Quatsch mit Soße. Das war das Ziel im „European Energy Award“. Beim Klimawandel geht es darum, die Stadt so umzubauen, dass sie mit den kommenden Wetterextremen (Dürren, Hochwassern, Starkniederschlägen, Trockenperioden, Hitzerekorden, Hitzestau usw.) besser oder überhaupt zurechtkommt und die Menschen es dann in der Stadt überhaupt noch aushalten.

Grundlage dafür waren 2014 die Messungen des Deutschen Wetterdienstes, der mit seinem silbergrauen Mess-Mobil durch die Stadt fuhr und bestätigte, wie sich die Stadt an heißen Tagen regelrecht aufheizte und die Luft – bei fehlendem Wind – regelrecht brütete im inneren Stadtgebiet. Damals gab es auch eine Extra-Bürgerumfrage, bei der über 5.000 Leipzigerinnen und Leipziger zum Klimawandel befragt wurden. Und die überwältigende Mehrheit bekundete ihre Bereitschaft, ihr Verhalten zu ändern, um den Klimawandel irgendwie zu bremsen. Da kamen auch solche hübschen Dinge vor wie „mehr ÖPNV fahren“.

Die Leipziger wissen eigentlich sehr gut, was getan werden könnte, um Leipzig zu einer klimaschonenden Stadt zu machen. Dass so ein Verhalten auch helfen kann, in einer schon durch den Klimawandel belasteten Stadt Verhältnisse zu schaffen, die man besser aushält, klingt zumindest an. Auch in den vielen kleinen Maßnahmen, die die Verwaltung für ihre „Klimawandelstrategie“ zusammengesammelt hat.

Dass ein lebendiger, möglichst unzerschnittener Auenwald der wichtigste Baustein für ein aushaltbares Stadtklima ist, kommt als Baustein auch vor. Auf sehr seltsame Weise freilich: „Die grund- und oberflächenwasserbestimmten Auensysteme und die Feuchtbiotope sind aufgrund der Wasserstandsschwankungen und Verschlechterung der Wasserqualität stark gefährdet. Das Ziel der Stadt Leipzig ist daher die Schaffung einer klimawandelangepassten Vegetation und der Erhalt der Biodiversität.“

Eine Stadtverwaltung, die nur so etwas als Ziel sieht, darf man getrost zum Mond schicken. Denn hier verkündet die Stadt nicht das Ziel, den Auenwald lebendig zu erhalten, sondern ihn mit einer „klimawandelangepassten Vegetation“ zu bestücken. Er wird weder als erhaltenswerte Ressource begriffen, noch ist das Verständnis dafür da, welche Rolle intakte Wälder in der Stadt zur Milderung der Klimawandelfolgen spielen – bis hin zu Grundwasserständen und dem, was der DWD herausbekommen hat: Dass die einzige Luftzirkulation Leipzigs in windlosen Hitzetagen durch Luftschneisen vom Auenwald ausgelöst wird.

Hemdsärmelig klingt auch, wenn da steht: „Berücksichtigung des Prinzips der Verkehrsvermeidung, insbesondere bezogen auf den motorisierten Individualverkehr, bei allen strategischen Überlegungen (Haushalt) und Planungen.“

Tatsache ist, dass das bei keiner einzigen Planung die Hauptrolle spielt, weil das Ziel viel zu schwammig ist. Denn um Verkehr zu vermeiden, muss man Stadtstrukturen so verändern, dass niemand mehr ein Automobil braucht, um alle wichtigen Wege zurückzulegen. Aber schon beim Umgang mit dem ÖPNV zeigt sich, dass dieses Ziel schon seit 2009 einer Kürzungsstrategie geopfert wurde, die den Klimawandel überhaupt nicht berücksichtigt.

Das schlichte Fazit: Leipzig hat ein Sammelsurium ziemlich willkürlicher Maßnahmen (von denen die meisten überhaupt nicht bindend sind), aber weder eine Anpassungsstrategie an den Klimawandel noch einen Strategen, der sie verpflichtend umsetzt.

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„Die grund- und oberflächenwasserbestimmten Auensysteme und die Feuchtbiotope sind aufgrund der Wasserstandsschwankungen und Verschlechterung der Wasserqualität stark gefährdet. Das Ziel der Stadt Leipzig ist daher die Schaffung einer klimawandelangepassten Vegetation und der Erhalt der Biodiversität.“
Ökodisneyland a´la Lebendige Luppe? Keine wirkliche Veränderung?
Darüber hinaus: Grundwasserschwankungen bis zu 9 Metern sind im Auwald normal und erforderlich. Erst diese im Zusammenspiel mit regelmäßigen Überschwemmungen schaffen die Voraussetzungen für das Entstehen und den Erhalt der vielbeschworenen Biodiversität.
Was macht man statt dessen? Technischer Hochwaserschutz, neue Deiche, die den Auwald vor Wasser schützen, sinnloser Neubau des Nahle-Auslaßwehres, Gewässerausbau für eine motorisierte Gewässernutzung.
Statt Personal und finanzielle Ressourcen für ein Großmannssüchtiges Wassermotorisiertes Gewässerausbau Konzept zu verschleudern, sollten diese Ressourcen besser ausgeben für Klimakonzepte, die den Auwald und die umliegenden Gewässer zum Schutz und für die Erholung der Menschen vor Ort begreifen.

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