Im Juli wunderte sich die Linksfraktion erst über einen neuen Vorstoß des Leipziger Ordnungsdezernats, die Polizeiordnung für die Innenstadt mal wieder verschärfen zu wollen. Völlig unangebracht und wenig erfolgversprechend fand sie das. Aber nachdem sie schon den irrlichternden Alexej Dankckwart verloren hat, beschreitet jetzt auch Linke-Stadträtin Naomi Pia-Witte eigene Wege.

Ihr ging der Vorstoß des Ordnungsdezernats noch gar nicht weit genug. Sie findet, dass die Musikanten in den Fußgängerzonen noch viel stärker reglementiert werden müssten. Denn aus ihrer Sicht zerstört die manchmal etwas grelle Musik den schönen Kunstgenuss – wenn man noch Bach-erfüllt zum Beispiel aus der Thomaskirche kommt.

Ohne Berechtigung dürften Musiker gar nicht in Leipzig aufspielen, findet sie. Und möchte dafür auch gern eine Gebühr kassiert sehen.

„Leipzig ist eine Musikstadt. Viele der nationalen und internationalen Besucher Leipzigs kommen wegen des musikalischen Wirkens Johann Sebastian Bachs, Felix Mendelssohn-Bartholdys und Richard Wagners in die Stadt. Aber auch das Gewandhaus, der Thomanerchor und nicht zuletzt die Oper ziehen Besucher aus Nah und Fern in unsere Stadt“, begründet sie ihren Antrag, die Regeln für die Straßenmusikanten deutlich zu verschärfen. „Angesichts dieses musikalischen Erbes und Vermögens sollte man in Leipzig ein gewisses Qualitätsbewusstsein haben und ein sich daraus ergebenden Qualitätsstandard auch bei der Veranstaltung von Straßenmusik anlegen.“

Und dann schildert sie ihre Begegnung mit der Musikwelt da draußen: „Die Verfasserin dieses Änderungsantrages hat es schon selber erlebt, wie nach dem Besuch eines Konzertes in einer der Innenstadtkirchen die durch die Musik Johann Sebastian Bach erzeugte Stimmung jäh beendet war, weil eine Straße weiter eine Darbietung von Straßenmusikanten stattfand, die man nur als – wie es so schön heißt – Betteln mit Benutzung eines Musikinstrumentes bezeichnen kann. Wie sehr muss das erst die Gäste gestört haben, die weite Reisewege in Kauf nehmen, um in Leipzig an einem besonderen Musikerlebnis und Musikgenuss teilzuhaben. Die Stadt München hat vorgemacht, dass es möglich ist, auch bei der Straßenmusik ein gewisses Niveau zu erreichen und zu erhalten. Durch das angewendete Verfahren wird sichergestellt, dass Straßenmusik, die in Wahrheit ein Betteln mit dem Einsatz eines Musikinstrumentes ist, unterbunden wird. Das ist auch im Sinne der echten Straßenmusikanten, deren Ziel es ist, ihr Publikum mit guter Musik zu unterhalten.“

Da muss ja wirklich ein schriller Musiker ihren Kunstgenuss gestört haben.

Aber was kommt dabei heraus, wenn ein völlig unterbeschäftigtes Ordnungsdezernat und eine Linke-Stadträtin sich neue Regeln für freischaffende Musikusse ausdenken?

So etwas:

„Die Straßenmusik wird auf die Zeiten 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr und 15:00 Uhr bis 20:00 Uhr beschränkt. Von 13:00 Uhr bis 15:00 Uhr darf nicht musiziert werden.“ Das Ordnungsdezernat hatte das mit einem Satz wie aus dem Märchenbuch des ordentlichen Staatsangestellten von 1900 begründet: „Die im Absatz 4 getroffene Regelung der zeitlichen Beschränkung der Darbietung von Straßenmusik letztlich schützt die allgemein übliche Mittagszeit von 13:00 bis 15:00 Uhr, in der auch Beschäftigte Büros und Geschäfte verlassen, um zu Tisch zu gehen oder eine kurzzeitige Pause zu genießen.“

Solche Sätze können wirklich nur Stadtangestellte formulieren, die eine „allgemein übliche Mittagszeit von 13:00 bis 15:00 Uhr“ haben und dabei ihre Büros „verlassen, um zu Tisch zu gehen“. Der Herr trägt dabei einen gut gebügelten Anzug und eine dezente Krawatte zum gebügelten Hemd, die Dame darf ein dezent gemustertes Seidentuch zur Aufhellung ihres zurückhaltenden Bürokostüms umlegen und die „kurzzeitige Pause“ auch in Gesellschaft mehrerer Mitarbeiterinnen ihrer Abteilung zu sich nehmen. Und wenn sie auf der Straße Heinz Erhardt begegnen, dürfen sie ihm ein zurückhaltendes „Guten Tag, Herr Erhardt!“ wünschen.

Aber Naomi-Pia Witte geht noch deutlich über die Büroanweisung des Ordnungsdezernates hinaus. Ohne Spielberechtigung darf bei ihr gar kein Musikant die Straßen der Innenstadt behelligen. Hier ihre weitere Vorschlagsliste:

(2) Zur Veranstaltung von Straßenmusik im Innenstadtbereich (innerhalb des Rings, sowie im Bereich des Hauptbahnhofes) ist eine Erlaubnis (Spielberechtigung) durch die Stadt Leipzig erforderlich.

(3) Es werden täglich bis zu zehn Spielberechtigungen an die Straßenmusiker für den Innenstadtbereich ausgegeben, die Erlaubnis wird für einen Kalendertag erteilt, es wird jeweils nur eine Erlaubnis ausgegeben. Die Ausgabe erfolgt in der Reihenfolge der Anmeldungen. Die Erlaubnisse können zwischen 09:00 Uhr und 15:00 Uhr im Rathaus Zimmer … gegen eine Gebühr von 10,00 EURO abgeholt werden. Vor der erstmaligen Ausgabe einer Erlaubnis haben die Musiker eine ausreichende musikalische Qualifikation durch Vorspielen im ausstellenden Amt nachzuweisen.

(4) Interessentinnen und Interessenten können die Erlaubnis nur persönlich unter Vorlage eines Personalausweises oder Reisepasses abholen. Wollen mehrere Musikanten (maximal fünf) zusammenspielen, so braucht diese „Kleinkapelle“ eine gemeinsame Erlaubnis, auf der die Namen aller beteiligten Musikanten verzeichnet sind.

(5) Eine Darbietung an einem Ort darf 30 Minuten nicht überschreiten. Nach dieser Zeit ist der Standort um mindestens 200 Metern zu verlegen.

(6) Für Musikinstrumente, die nachweisbar bauartbedingt einen Verstärker benötigen, ist der Einsatz von Verstärkeranlagen bei Veranstaltungen von Straßenmusik bis zu einer maximalen Leistung von 20 Watt zulässig. Hierfür ist die Erlaubnis der Kreispolizeibehörde einzuholen.

(7) Am Karfreitag, am Buß- und Bettag, am Volkstrauertag und am Totensonntag ist die Veranstaltung von Straßenmusik verboten.“

Was sie noch vergessen hat, sind natürlich die sichtbar zu tragenden Nummern der Spielberechtigung, die die gnädig mit einer Lizenz zum Spielen ausgestatteten Künstler am Revers zu tragen haben. Oder am Hut, wenn sie Hutträger sind. Und wer die Prüfungskommission stellen wird, die die „ausreichende musikalische Qualifikation durch Vorspielen im ausstellenden Amt“ zu bewerten hat, muss auch noch festgelegt werden. Vorschlagsweise könnte man den Thomaskantor, den Gewandhauskapellmeister und den Rektor der Hochschule für Musik und Theater damit betrauen. Vielleicht auch zwei, drei wackere Stadträte und Stadträtinnen, die ruhig eine musikalische Vorbildung im Opernfach mitbringen dürfen.

Man kann sich schon die empörten Kommentare aus dem Kontrollzimmer vorstellen, wenn der Kandidat den hohen Ansprüchen der Kommission nicht genügt und die vielen bangenden Musiker in der Warteschlange immer kleiner werden, weil vom Urteil des Hohen Gerichts zwar ihr klägliches Einkommen abhängt, ein göttliches „Nein“ aber alle Träume von einem ruhmreichen Auftritt in Leipzig endgültig zerstört.

Die Neufassungsvorlage des Ordnungsdezernates.

Der Änderungsantrag von Naomi-Pia Witte.

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Es gibt 15 Kommentare

@ Stefan B.
Was ich in keinem Fall wollte ist, Ihren Blutdruck nachteilig beeinflussen.
Sie haben ihre Meinung zum Thema “Umgang / Auswahl von Straßenmusikanten seitens der Stadt geäußert.
“Also in München spielen die Musiker dem jeweiligen Beamten vor …”
Und ich äußerte meine Meinung dazu, dass es unverständlich ist, dass laufen München als Messlatte, Maßstab, Empfehlung etc. angelegt wird.

Auch wenn Ihr aktueller Vortrag um Deutlichkeit bemüht ist, so nehme ich ihn in seiner Gesamtheit als rückwärts rudernd auf. (richtig?)
…und kann es nur vermuten, da mir Fakten fehlen….
…Ich habe schlicht und einfach einen Fakt genannt, der mir zufällig bekannt ist: …
…Ich weiß nicht, ob der Beamte…
…Ich weiß auch nicht, ob durch dieses Vorgehen …
…Ich war noch nie wirklich in München …
…kann also auch keine eigenen Erfahrungen…
…Woher soll ich das denn wissen?…
…Ihren letzten Satz verstehe ich nicht….
Entspanntes Wochenende (ehrlich)
😉

@JG:
Klar tun Sie das. Vielleicht ja unbewußt und dieser äußerst unhöfliche Umgangston ist für Sie normal und Sie merken das ja vielleicht gar nicht mehr. Aber das weiß ich nicht und kann es nur vermuten, da mir Fakten fehlen.

Sie unterstellten mir, ich würde die Regelung in München in irgendeiner Weise hervorheben oder als nachahmenswert darstellen. Nichts dergleichen habe ich getan. Ich habe schlicht und einfach einen Fakt genannt, der mir zufällig bekannt ist: Nämlich, dass irgendein Beamter der Stadt nach individuellem Vorspielen darüber entscheidet, ob derjenige eine Auftrittserlaubnis bekommt oder nicht. Da kann jetzt jeder von halten, was er möchte.

Ich habe in meinem Kommentar dieses Vorgehen weder bewertet noch habe ich es zum “Maß der Dinge” erhoben” Wie kommen sie auf so einen Quatsch und werfen mir das dann auch noch vor?

Ich weiß nicht, ob der Beamte besondere musikalische Qualifikationen mitbringt oder nicht. Ich weiß nicht, ob das immer der selbe ist oder ob das viele verschiedene Beamte bewerten. Ich weiß auch nicht, ob durch dieses Vorgehen die Qualität der Straßenmusik höher geworden ist oder nicht. Ich habe in meinem Kommentar auch nirgendwo behauptet, irgendetwas davon zu wissen. Ich war noch nie wirklich in München (jedenfalls nicht in der Innenstadt), kann also auch keine eigenen Erfahrungen zur dortigen Straßenmusikszene und deren Qualität beisteuern. Vielleicht ist die ja auch furchtbar grottig. Woher soll ich das denn wissen?

Ich bin auch überrascht, dass Sie behaupten, eine grundsätzlich andere Meinung als ich zu haben. Ja zu welchem Thema denn überhaupt? Ich habe doch in meinem Kommentar gar keine Meinung geäußert.

Ihren letzten Satz verstehe ich nicht.

@ Yvonne
Ich lebte viele Jahre in München – das unterscheidet unsere Bewertung.

Und ja – es nervt, wird M ständig zum Maß der Dinge gemacht. M ist ein großes Dorf, und nicht mehr als das.

Ich halte diesen hochbürokratischen Weg auch nicht für der Weisheit letzten Schluss.

Es ist aber so, wenn Sie in der Innenstadt in einem Büro arbeiten und jahrelang den ganzen Tag diese massive Geräuschkulisse ertragen müssen, verändert das Ihre Sicht auf Straßenmusik erheblich.

Da ist nämlich nix mit 》hinter der nächsten Ecke hört man nichts mehr.《

Unterhalten Sie sich mich mal mit Einzelhandelsbeschäftigten in der Grimmaischen Straße. Oder mit Büroangestellten in der Innenstadt.

Jedenfalls dürfte es am 21.09. bei dieser Frage im Stadtrat interessant werden 😉

@JG
ich fand den Hinweis von Stefan B. zu der Art wie das in München geregelt wird, schon allein deshalb interessant, weil im Artikel ja auch die angeblich höhere Qualität in München erwähnt wurde…und als ich dann Ihren Kommentar gelesen habe, hatte ich auch den Eindruck, dass Sie vielleicht mit dem falschen Bein zuerst aufgestanden sind. Der Eindruck wurde beim zweiten Post nicht besser. Sie können meinen Kommentar sicher auch einfach wegwischen, aber Zwischentöne sind, aus meiner Sicht, eben auch Töne.

@Stefan B.
Ich gehe Sie nicht an! Sie persönlich schon gar nicht.
Ich habe aber aus eigener Erfahrung (lebte in Frankfurt, München, Spanien) eine grundsätzlich andere Meinung als Sie und habe mir erlaubt diese zu äußern.
Und da Sie mit Ihrem zweiten Post wahrlich persönlich wurden, Ihnen noch der Hinweis, meine Art und Weise (direkt und deutlich) ist wunderbar.
Und wo san nacha Sie heà?

Ich sitze im ersten Stock in einem Büro in der Innenstadt – und ich lechze nach einer solchen Regelung. Vor meinem Fenster wechseln sich ein Gitarrist, der seine Stimme wie eine taktische Waffe gebraucht, ab mit einem Saxophonisten, der sein Instrument nicht beherrscht. Beide haben anscheinend nur eine handvoll Lieder, die sie beherrschen. Und nach dem dritten, schiefen Mal “Rape me” in 20 Minuten ist meine Geduld dann auch am Ende. Und wenn die beiden sich dann noch Abewechseln… Und leider helfen geschlossene Fenster da auch nur bedingt.

Ich fänds ja schonmal ganz nett, wenn die Dame Strassenmusiker nicht pauschal als Bettler mit Hilfsmittel abtun würde. Das seh ich schon als Beleidigung.

@Stefan B.
“Also in München spielen die Musiker …”
Wen interessiert denn was in München passiert? Die sind NICHT das Maß der Dinge.
Es gibt weltweit viele gute Variationen der Herangehensweise

Hat die nichts besseres zu tun?
Manche “Musiker” spielen zwar nicht so toll, und es nervt, aber wenn die nach 30 min. den Ort wechseln müssen……, damit kann man leben.
Wir können unsere Bürokratie noch mehr erweitern, oder die Kirche im Dorf lassen.

Also in München spielen die Musiker dem jeweiligen Beamten vor und der entscheidet dann über ihre Eignung. Funktioniert wohl schon, wenn man so will.

Aber egal. Ich finde den Vorschlag, das auch in Leipzig einzuführen, trotzdem nicht so prall. So schlimm ist das Gefiedel und Geklimper nun auch nicht. Hinter der nächsten Ecke hört mans sowieso nicht mehr.
Und die weltfremde Formulierung des Antrages ist auch nur zum Kopfschütteln.

Gut dass da “Keine Satire” drübersteht. Ich hätt da sonst drauf gewettet.
Aber die Idee mit dem Nachweis der Qualifikation vor Beginn hat was, das könnte man bei Politikern doch gleich mal einführen.
Das könnte uns in Zukunft so manch dummen Antrag ersparen.

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