Auch die Freibeuter-Fraktion hat so ihre Vorstellung, wie man Leipzigs Verkehrspolitik ruckzuck ändern kann. Sie würde gern den STEP Verkehr, den die Ratsversammlung erst am 25. Februar 2015 nach heftiger Debatte beschlossen hat, außer Kraft setzen. Die Begründung: Die Prognosezahlen für die Bevölkerung stimmen nicht mehr.

Stimmt ja auch. Die jüngste Prognose, die die ganze Stadtpolitik zum Erbeben gebracht hat, stammt ja aus dem Frühjahr 2016. Seitdem rotieren OBM und Stadtverwaltung. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Leipzig im Jahr 2030 nur mit 600.000 Einwohnern rechnen muss, oder mit 720.000.

Die Passage im STEP Verkehr, auf die sich die Freibeuter beziehen, liest sich so: „Die Bevölkerungsvorausschätzung 2013 des Amtes für Statistik und Wahlen geht von einer Zunahme der Bevölkerung von 2012 bis 2025 um 56.000 auf 584.900 Einwohner in der Hauptvariante aus (562.800 Ew. in der unteren, 609.800 Ew. in der oberen Variante). Für die Planungen der Stadt und somit auch für den vorliegenden Stadtentwicklungsplan wird die Hauptvariante zugrunde gelegt.“

Die Zahl, die die Statistiker 2013 noch glaubten, erst 2030 für Leipzig annehmen zu dürfen, wurde nun schon im Herbst 2017 erreicht. Grund ist das nach 2012 deutlich noch einmal anziehende Bevölkerungswachstum. Von durchschnittlich 4.000 bis 5.000 zusätzlichen Einwohnern pro Jahr schnellte es auf über 10.000 hinauf. Was vor allem mit dem radikalen Wirtschaftswandel in Deutschland zu tun hat: Die Hauptwachstumsmotoren sind heute die Großstädte. Leipzig ist ein Musterbeispiel für die Strahlkraft einer solchen Stadt.

Es stimmt schon: Der STEP Verkehr von 2015 bildet die Entwicklung nicht mehr richtig ab.

Was die Freibeuter-Fraktion zu dem Antrag bewegte, der die Überschrift „Aussetzung von Maßnahmen nach STEP Verkehr und öffentlicher Raum aus 2014“ trägt: „Der Oberbürgermeister wird aufgefordert bis zu einer Neufassung oder weiteren Fortschreibung des STEP Verkehr und öffentlicher Raum keine Maßnahmen (ausgenommen solche mit ausschließlich temporärem Charakter) umzusetzen, welche zu einer Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit des ÖPNV oder des MIV führen würden“, heißt es darin. „Sollten solche Maßnahmen aus Sicht des Oberbürgermeisters nicht zurückgestellt werden können, wird er sie unabhängig von finanziellem Umfang dem Stadtrat im Einzelfall zur Beschlussfassung vorlegen.“

Das Ganze begründet die Fraktion so: „Im STEP Verkehr und öffentlichen Raum wird von einem Wachstum der Stadt auf 600.000 Einwohner ausgegangen. Durch eine Veränderung des Modal Splits wird keine Zunahme des KFZ-Verkehrs erwartet. Vielmehr wird eine Verringerung des KFZ-Verkehrs für möglich gehalten. Aufgrund aktueller Prognosen wird eine Einwohnerzahl von 720.000 erwartet. Damit passt der STEP Verkehr und öffentlicher Raum nicht mehr zu der tatsächlichen Entwicklung der Stadt. Alle Maßnahmen sind daher im Einzelfall auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.“

Möglich, dass sich die kleine Fraktion damit bei sehr vielen Leipzigern sehr unbeliebt macht. Denn viele haben sich seit 2011 in verschiedenen Werkstätten und einem großen Bürgerwettbewerb an der Entstehung dieses neuen STEP Verkehr beteiligt, der den ersten STEP Verkehr von 2003 fortschreibt. Übrigens ebenfalls schon mit einer deutlich erhöhten Bevölkerungsprognose. 2003 war man noch von einer stagnierenden Stadtbevölkerung ausgegangen. 2015 stand schon Wachstum drin. Das heißt: Dieser STEP geht auch schon vom Zuwachs in bestimmten Verkehrsarten aus – und von einer wahrnehmbaren Veränderung im Verkehrsverhalten der Leipziger.

Im Stadtrat wurde am Ende heftig darüber gestritten, ob der ÖPNV nun von knapp 17 auf 25 oder nur auf 23 Prozent Anteil wachsen soll. Und eine Fraktion betrachtete das schon als Nötigung für die Leipziger, als wären sie nun verdammt zum Umsteigen vom Auto auf die Straßenbahn.

Eine intensive Mobilitätsdebatte im Leipziger Rathaus vom 21.11.2017 auf Einladung der Freibeuterfraktion. (vlnr.) Carsten Schulze-Griesbach (Fahrgastverband Pro Bahn e.V.), Peter Alexander Bloi (Obermeyer Planen + Beraten GmbH), Prof. Gerd-Axel Ahrens (TU Dresden), Ulrich Milde (LVZ), Gert Ziener (IHK Leipzig) und Sven Morlok (FDP, Freibeuter). Video: L-IZ.de

Wer täglich Straßenbahn fährt, weiß, dass man niemanden dazu nötigen kann

Wer nicht mehr reinpasst, passt nicht mehr rein. Das System ist in der Hauptverkehrszeit an seiner Fassungsgrenze angelangt – genauso wie mancher Straßenabschnitt. Wer freilich im STEP konkrete Maßnahmen sucht, die nun – nach Wunsch der Freibeuter – gestoppt werden sollten, der wird keine finden. Denn der STEP definiert vor allem Leitlinien, in die sich die (Verkehrs-)Politik der Stadt einordnen muss. Das Hauptproblem wird eher umgangen, denn das bräuchte wirklich einen ganzheitlich denkenden Stadtplaner, den es in Leipzig nicht gibt.

Denn die wichtigste Maßnahme ist in Wirklichkeit die Verkehrsvermeidung: „Einen besonderen Beitrag zur Verkehrsvermeidung können neue Baugebiete leisten, deren Bewohner aufgrund der Lage im Stadtraum, der Qualität der Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel und attraktiver Bedingungen für den Fuß- und Radverkehr ihre Mobilitätsbedürfnisse auch ohne eigenes Auto gut befriedigen können. Autounabhängige Mobilität soll gefördert werden.“

Das eigentliche Mega-Thema der wachsenden Stadt

Sämtliche neuen Wohngebiete heute so zu bauen, dass ihre Bewohner problemlos auf den eigenen Pkw verzichten können – nämlich weil das Gebiet vom ÖPNV gut erschlossen ist (was gerade Leipziger Außenbezirke meist nicht sind) und alle wichtigen Infrastrukturen auch ohne Auto gut erreichbar sind. Auch das ist ein Problem. Verkehrspolitik ist ohne kluge Wohnungsbaupolitik nicht denkbar.

Man wird wenig finden, was nach dem Wunsch der Freibeuter im STEP Verkehr nun gestoppt werden müsste, weil es das Wachstum der Stadt behindert. Eher verlangt der STEP nach einer baldigen Überarbeitung, um erst recht das Wachstum der Stadt abzubilden. Es kann nicht mal Wunsch der Wirtschaft sein, das Ganze jetzt auszubremsen, wenn man nur an die Arbeitspunkte „City-Logistik“ und „Lkw-Vorzugsnetz“ denkt. Der Wunsch der Bürger schon gar nicht. Im Gegenteil. Gerade bei der Stärkung des Umweltverbundes wurden seit 2011 schon wichtige Jahre verschenkt und vertrödelt, in denen längst hätte gehandelt werden muss. Wer weiter bremst, verschärft die Verkehrsprobleme in Leipzig nur noch mehr.

Warum der mediale Kuhhandel der Leipziger CDU die Verkehrsrealität so völlig verfehlt

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